Ich kann mich nicht entscheiden!

So mache ich eine Party. In der Küche stampft Irmgard Keun Trauben und schreit, dass sie mich kochen und fressen will. Eigentlich wollte ich sie noch fragen, ob sie denkt, dass es heute zu spät sei, aus einer naiven Sicht heraus zu schreiben. Aber der Sektkorken ist schon ziemlich weit gespickt.

Im Wohnzimmer geht Lucia Berlin meine Plattensammlung durch. Ich lege Molly Nilsson auf, sage: It’s the perfect music for a Meisterinnen party. Sie schlängelt die Hände wie Seegras und sagt: I DIG it.

Auf dem Balkon liegt Françoise Sagan und sonnt sich. Ich bringe ihr ein Glas Crémant, in der letzten heilen Champagnerschale. Merci, sagt sie, neigt den Kopf, um über die Ränder der Sonnenbrille die aufsteigenden Bläschen im Glas zu betrachten. Ich weiss nicht mehr was sagen und gehe aus dem Zimmer.

Ich bin schrecklich aufgeregt. Ich kann schlecht mit Autoritäten und mit solchen, die ich bewundere, noch weniger. Da zuckt mir die Nase, es will mir partout nichts Interessantes einfallen und ich mache einen schlechten Eindruck. Ich will gefallen, bitte! In der Küche schüttle ich Oliven in eine kleine Schale, mache eine neue Flasche auf. Die Kohlensäure steigt aufmunternd in die Haarwurzeln. Irmgard duscht sich die Füsse und patscht mit den nassen Zehen, singt einen alten deutschen Schlager.

Die Platte ist zuende, Lucia sitzt immer noch neben dem Spieler am Boden und liest in einem zerfledderten brasilianischen Buch über Singvogelzucht, das in Weinkiste zwischen den Alben lag. Ich drehe die Platte und sage: Meine Tante heisst auch Lucia. Ich habe ihr dein Buch geschenkt. Und allen anderen Tanten und meiner Mutter und meinen Cousinen und meiner besten Freundin. Ich denke an sie alle, wenn ich deine Bücher lese, und ich verstehe sie und bewundere sie. Ich schenke ihnen die Bücher und wünsche, dass sie sie auch lesen und stolz werden auf sich. Lucia schaut eine Zeichnung an von einer Vogelmutter, die ihre Jungen im Nest füttert und sagt: Everything is so bloody relative and silly.

Ich will so schreiben wie du, sage ich. Aber ich habe nicht als Vierjährige meinem Grossvater alle Zähne ziehen müssen, und dann traue ich mich auch nicht so viel. Nur wenn ich für mich schreibe, bin ich frei. Im echten Leben bin ich vernünftig und denke: Auch wenn ich sehr traurig bin, und morgens beim Aufwachen nur Weitertrinken und Rauchen will, dann verbiete ich es.

Lucia schaut vom Buch hoch, als hätte sie nicht zugehört. I am still not proud and I am not yet humble, sagt sie, als hätte sie das gerade in dem Vogelbuch gelesen.
Das kenn ich, sage ich.
Molly singt: We’re worlds apart, worlds apart.

In der Küche steht Irmgard auf einem Bein vor dem Waschspiegel und studiert meine Gesichtscrèmes.
Hast du keine Arden, fragt sie.
Nein, sage ich. Aber probier mal die, ist auch gut.
Hab ich schon, sagt sie und zeigt mir die leere Crèmebüchse
und ihr glänziges Gesicht. Arden ist besser.
Einmal, sage ich, habe ich versucht zu schreiben wie du.
Aber mein Agent sagte –
Forget it, sagt Lucia, die plötzlich im Türrahmen steht. He is an agent. He is a goddamn pimp.
Ja, sage ich, sobald dein Bild in der Zeitung ist, kommen sie
und wollen dich melken. Und die grossen Verleger rufen an,
sie wollen dich ausführen, schickes Restaurant, Tête à tête –
It sounds pretty awful.
Ach was, sagt Irmgard und schenkt mir ein, nimm’s nicht so bierernst. Geniess die Reste deiner Jugend! Zieh dir was Seidiges über und mach dir einen schönen Abend mit gutem Essen –
und wenn du dir nicht trauen kannst, steck halt rostige Sicherheitsnadeln an den BH.
Jawoll, rufe ich und leere das Glas in einem Zug, und Schimmelkäse zum Dessert!
Genau, prostet Irmgard mir zu, und nun lass die alten Meisterinnen allein, wir wollen uns unterhalten.

Auf dem Balkon lege ich mich neben Françoise,
sie zündet mir eine Zigi an.
Ich habe versucht, zu schreiben wie du, sage ich.
Eh bien, sagt sie und zieht die Brille aus, schliesst die Augen.
Die Sonne ist hinter den Schornstein gekrochen.
Bonjour Tristesse II, sage ich, das ist der Arbeitstitel. Es spielt in einem Seehaus im Aargau. Wir haben keine Villa am Meer.
Auch das Seehaus ist erfunden. Und doch bin ich nicht über eine Seite rausgekommen, es war mir zu nah und darum eklig, und schliesslich bin ich auch lange nicht mehr dieses junge Ding,
aus dessen Sicht ich schreiben wollte –
On est trop vieilles pour ça, bestätigt Françoise düster.
Meinst du?
Oui absolument, maintenant, toi, tu dois écrire des histoires
de vieilles dames avec gigolos –
Oh please, ruft Lucia, die Platte schon wieder umkehrend, stop mocking her. Françoise deklamiert mit zittriger Stimme: Pour la consoler, une idée cynique me vint, qui m’enchanta comme toutes les idées cyniques que je pouvais avoir: cela me donnait une sorte d’assurance, de complicité avec moi-même –

Lucia steht über uns, wir liegen auf dem Rücken und blasen den Rauch zu ihr hoch. Ich sehe ihr Gesicht verkehrt – kennt ihr das, rufe ich aus und verschlucke mich vor Lachen, wenn es so dumm aussieht, wenn das Kinn die Nase…

Und Françoise beginnt zu lachen, ein kehliges Lachen, auch bei mir; das ist, weil wir auf dem Rücken liegen, das beste Gefühl der Welt.
Und Lucia ruft: Irmgard! Come, you have to see this!

Irmgard patscht barfuss an, ich höre die Abdrücke, die sie auf dem abgeschabten Parkett hinterlässt, richte mich stöhnend vor Lachen auf und sage: Und nun tanzen wir!

Und während ich gerade Gal Costa auflegen will, knallt der
Ofen und eine Hyäne im Ballkleid erscheint in der Wohnzimmerür.

Dann rummst es heftig ans Haus, dass die Wände zittern.
Neben der Hyäne steht Leonora Carrington.

Hello, sagt sie. Ich glaub, die reissen grad dein Haus ab.
Hurra!, ruft Irmgard und lässt einen Korken an die Decke springen, auf das!

Die Hyäne erschrickt und lässt fallen, an was sie gerade geknabbert hat, es sieht aus wie das Gesicht eines Dienstmädchens.

Françoise nimmt es auf, und legt es sich übers Gesicht.
Uaaargh, macht sie. J’ai très peur de m’ennuyer à mourir.
Das Gesicht rutscht ihr vom Gesicht und hinterlässt eine blutige Spur, die im Mondlicht, das zum Fenster einfällt, schimmert.
Pass auf, dass dir die Finger nicht abfallen, sagt Leonora, und die Hyäne packt das bleiche Gesicht und stopft es sich ganz ins Maul.

Wieder wummst es an die Hauswand, die Platte springt eine Viertelstunde zurück und wir verschütten den ganzen Champagner.
Och, nicht schon wieder, sagt Irmgard und schenkt neu ein.
Lass losgehen, sagt Leonora, hier wird’s gleich ungemütlich.
Durchs offene Fenster weht der Gesang der Hausabreisser.

Wo gehen wir hin, frage ich.
Es ist ein Fest in einem Wald.
Müssen wir etwas mitnehmen?
Champagner, sagt Irmgard.
Cigarettes, sagt Françoise.
Ich hole das letzte Glas Aprikosenkonfitüre meiner
Grossmutter und einen Fischerhaken.

Der Mond pfeift uns nach, als wir im Schatten des Margarethenparks verschwinden.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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