Habe «Es» – die Machtmythologie des weissen Mannes & ihre doch ganz realen Manifestationen – mit Kolleginnen durchgekaut, haben wiedergekäut und dann gelacht. Haben uns gesagt, das sind die letzten Dinosaurier, die noch leben.

Erster Schultag vor Ort in der Schreibstube

  • Ahja, hey was, du bist n Mädchen und schreibst?
  • Hey, was läuft mit dir, was machst du hier?
  • Hey, du, kannst du nur schön schreiben, oder was?
  • Hast Du schon Ehepläne für die Finanzierung nach em Bachelor?
  • Du hast aber eine hübsche Bluse an, kann man darin gut denken?


So war es nicht. Es war von Anfang an um einiges subtiler.

Erster Schultag vor Ort. Faubourg du Lac, Biel/Bienne.

Diverse junge Menschen, gut und besser gekleidet, etwas nervös, mal jemand Extravagantes, eine deutliche Überzahl an Frauen, zwischen 19 und 30 ungefähr, ich selber gehöre definitiv zu den Jüngsten, bin freudig aufgeregt, will mir das nicht anmerken lassen, habe mir aber vorher eine Kanne Kaffee in sportlichem Alleingang gegönnt, das heisst, bin relativ gut dabei, was Redeschnelligkeit und eine schnelle Hand anbelangt, da sitzen wir dann, werden dies oder das gefragt, alles läuft so mehr oder weniger bilingue ab, man lächelt verlegen oder lacht besonders laut, jaja, man will Bande bilden oder nicht.

Der männliche Studianteil im deutschsprachigen Teil des Jahrgangs beschränkt sich auf eine zurückhaltende Eins. Die lang und still zwischen vielen rauchenden Frauen steht, die sich durch Small talk jagen, das eigene literarische Wissen lobpreisen und / oder einfach schlicht Komplimente für Röcke, Hosen und Haarschnitte verteilen, relativ klassisches «Frauenverhalten» gemischt mit relativ atypischem «Frauenverhalten» (posing, Erwähnen der bisherigen Errungenschaften) – und den Nuancen dazwischen. Ich frage mich, wer hat schon was gemacht, wer steht auf wen, sind die im älteren Jahrgang nett, zutraulich, sind wir Neuen erwünscht oder leidige Bagage, können die Dozierenden was oder muss ich mir jetzt drei Jahre deren Gelaber anhören, das mich leidlich wenig interessieren wird.

Ich hege Zweifel ob einer möglichen Zersetzung des Schreibens, wie mir schwant, alles wurscht, ich möchte nicht auf Kuschelkurs gehen müssen mit lauter Fremden und mit ihnen durch mein Schreiben wühlen und von einem ehemaligen Germanistikstudenten (abgebrochen im 2.5 Semester) erklären lassen müssen, wie der Text würziger/griffiger/whatever werden könnte, ich möchte keine weich gewaschene Pseudokritik, keine wohlmeinenden pädagogisch hochwertigen Kommentare, sondern halt hartgesottenen Scheiss hören, ich bin bereit dafür, Dozierende am Kragen zu packen, ich habe schon gute Erfahrungen gemacht in dem Business, ich strotze eigentlich vor schreiberischem (und sonstwie) Selbstbewusstsein, mir kann hier niemand was, ich habe schon Gott und Moses und Rambo und alle getroffen und sie gingen vor mir auf die Knie, okay.

1,5 Jahre später, Bundesrepublik Deutschland, Berlin.

Naja, warte mal, hier vielleicht dann doch nicht ganz: Ich sitze mit einigen Theaterautoren beim Bier. Wir sahen uns davor ein Stück an. Das hatte einer der Anwesenden geschrieben. Es geht gegen 4 Uhr morgens und ich bin die einzige Frau.

Komisch. Irgendwann wird es semi-sexuell angeheitert und plitschplatsch feuchtfröhlich, was mich erst noch freut, dann beschämt. Als ich nachhause gehe, bin ich ein ausgeschneuztes Taschentuch, ein durchgewichstes Handgelenk, habe alle meine Biere selbst bezahlt und mir zum Schluss sagen lassen müssen, ob ich nicht beim Toni schlafen will. Nein, danke, Toni, ich hatte auf intellektuellen Austausch gehofft, auf Fragen an und wegen (Theater-)Literatur. Und nicht, dass du mich fragst, ob das Etikett an meinem Kleid vom Billo-Label forever 21 bedeute, ich hätte in forever 18 nicht mehr reingepasst. (Musste sogar selber über seinen Witz lachen, der alles bestätigt, was wir an Frauen scheinbar zu wollen haben: Dass sie dünn und jung sind, für immer vogelfrei zum Begehrt werden.)

Aaaaaber warte mal, kritisiere ich ihn dafür, dass er in wohl dokumentierte Rollenmuster hineintapsen und gleichzeitig den wohlsortierten, doch etwas schrullig-nerdigen grundintellektuellen Schriftsteller geben kann? Dass er da in eine Tradition reingeht, die ihm nun mal voll zufeedet? Und dass die Tradition, in die ich qua Geschlecht reingehen kann, kläglich klein ist und viel mit Betablockern, Substanzenmissbrauch im Allgemeinen und verleugnetem Talent im Spezifischen zu tun hat? Mit Opfernarrativen und Grenzüberschreitung? (Eine Geschichte von anämischen Frauen und / oder souveränen Suizidentinnen)

Diese Situation habe ich mit austauschbaren Fakten bereits ungefähr ungezählte Male erlebt. Ich bin jetzt 21.

Irgendwann habe ich dann jeweils damit angefangen, mein vermeintlich feministisches Instrumentarium darzulegen, meine Empfindungen und Überlegungen zu ihrem Verhalten auszusprechen, weil ich diese kleinen Herren der Schöpfung ja irgend alle doch mag oder mindestens gut leiden konnte oder weil die Hoffnung, die stirbt zuletzt. Ich war mit ihnen noch immer nicht fertig.

  • Hast du nicht das Gefühl, du erlebst in deiner Karriere voll viel positiven Sexismus?
  • Nö. Wie kommst du drauf?
  • Naja, erste Frau, die mit ihrem Debütstück Mülheim gewinnt, mit 20, dann dein Auftreten so, und hässlich bist du ja auch nicht
  • Das ist schon eine Vermarktungsstrategie von dir, oder. Das mit den Haaren
  • Du, ich finde das halt reizend, dass du prachlich so experimentierfreudig bist


WADDE MAL, HAT DAS BURSCHI «reizend» GESAGT?!
Und ich finde es reizend, dass wir es scheinbar nicht schaffen, einander als Gleiche unter Gleichen zu begreifen.

In der Folge meiner Entscheidung zu offensiver Kritik an männlichem Bier- und Spassgebaren bei gleichbleibendem Marginalisieren der «weiblichen Stimme» habe ich Fragen beantworten müssen, die eine jede «Minderheit» zu ertragen haben muss. Minderheitsexhibitionismus ohne Ende. Mein SONDERSTATUS als Frau und als Zootier. Am Ende auch noch dankbar sein sollen, dass die Herren der Schöpfung sich Zeit nahmen, diesen differenzierten Exkurs anzuhören. (Macht sich übrigens beim Aufreissen ganz gut, Jungs.)

Und jetzt soll ich auch noch geduldig mit konvertierungswilligen Chauvinisten ein Aufklärungscamp darüber veranstalten, warum ihre Privilegien unsichtbar sind für sie, aber ständig spürbar für andere?
Sehr klar fühlt sich das wie eine Zumutung an, bin ich qua meines Geschlechts ja schon ständig damit beschäftigt, dass ich durch das Entern einer Männerdomäne vermeintlich eine Schwelle überschritten habe. Das heisst, meine Vorsichtigkeit paart sich ständig mit Selbstreflektion. Dort, wo in der männlichen Kunstproduktion also Hybris und Freiheit sind, bin ich ständig damit beschäftigt, mir sachliche Argumente für meine Freiheit zusammenzuschustern.

Männliche Aggressivität = halt künstlerisch wehrhaft und allgemein standhaft. Weibliche Aggressivität – wir wissen’s bis zum Kotzen – = irgendein diffuses Problem mit der Gebärmutter, das sich im Gesamtverhalten niederzuschlagen scheint. I <3 you.

Ich merke wie ich versuche, mich schweigsam zu gerieren, an Texten nicht sachlich zu mäkeln, wo es eigentlich Grund gäbe, genau dies zu tun, sondern fange schlicht und einfach damit an, meine eigene Kraft zu untergraben. Systematische Selbsttötung auf Raten.
Ich zeichne still Tampons auf meinen Block. (Hat nicht geholfen.) (Hab‘ ich auch gar nicht.)

Einmal wurde ich nach einer leider misslungenen Inszenierung eines Stückes von mir, sprich nach dem Premierenapplaus von einem Theatermitarbeiter ob meiner frustrierten Fresse (rhethorisch, baby) gefragt: Hast du deine Tage – oder was ist mit dir los?
Natürlich wurde ich auch schon gefragt, ob das Frauenliteratur sei. Aber es geht doch gar nicht um die Schuhe der Protagonistin! Wie kommst du denn auf FRAUENLITERATUR?! Ach ja, stimmt, ich habe eine Muschi und Titten und die halten mich ganz schön davon ab, als Mensch zu schreiben.
Im vorgetragenen Text ging es um eine Abtreibung mittels Fischen, die in den Vaginalkanal einsteigen und den Embryo kauenderweise entfernen.
Aber für den Fragenden ist die Rechnung eine Gleichung und geht für manchen gerne und immer auf: Autorin, die einen Text vorstellt, in dem es fast mehrheitlich oder mehr um eine vornehmlich weibliche Person geht = Frauenliteratur = für die Mehrheit der wichtigen, sprich männlichen Leser zu labeln als eine Minderheit betreffend, deren vermeintliche Selbstthematisierung in ein Feld des Unwichtigen, maximal Zweitrangigen fällt. Na dann, für mich ein grosses Helles, Prost und danke.

Einmal auf einer Podiumsdiskussion in einem Literaturhaus zum Thema FRAUEN IN DER LITERATUR (gibt es denn so wenige, dass sie ein Fenster brauchen hinter dem sie sitzen?) versuchte ich anhand verschiedener Dokumente, Honorare, gemachter Erfahrungen und Auszügen aus Rezensionen deutlich zu machen, dass sich seit den 80ern (mindestens) sehr wenig verändert hatte an der öffentlichen Repräsentation und Wahrnehmung, Darstellung von Werken aus den Federn weiblicher Menschen. Dies tat ich vehement und so vorbereitet ich konnte. Die Gäste waren zu 90 Prozent Frauen über 50, auf dem Podium eine Autorin nebst mir sowie eine Moderatorin und natürlich ein Verleger. Nun denn, die eine Zuschauerin sagte also zu mir nach dem Podium: Es wird alles gut, armes Mädchen.

Naja, interessante Feststellung. Weder war ich zu diesem Zeitpunkt ein Mädchen noch hatte ich sie um das Schulterklopfen gebeten. Noch hatte ich geklagt, ich hatte sachlich dargelegt. (Anders als hier.)
So, liebe Leser*Innen, bevor ich euch in einen strahlenden Tag der Doppelmoral entlasse, möchte ich zur Abrundung und Verunvollständigung noch mein persönliches Best-of aus Leserkommentaren zu weiblichen Autorinnen auslegen. Der Name ist weggelassen.

(Natürlich findet sich Respekt woanders als in Leserkommentaren, nur sind die Verfasser und ihre Absichten die untersten in der Futterpyramide. Und dort zeigt sich ja, welchen Plankton die obendran snacken. Man lernt also dort am meisten über allgemeine, ansonsten in Diplomatie oder double bind Strukturen verkleidete Denkmuster.)

«Ich schaue XY in die Augen und denke
Was für ein Literaturinstitut hat dieses arme Mädchen versaut»

(Die Autorin XY war zum Zeitpunkt der Aufzeichnung über 30.)

Es wird also alles (nicht) gut, arme Mädchen.
LOVE, gute finstre Nacht,

Julia Weber gründete 2012 den Literaturdienst (literaturdienst.ch) und 2015 gemeinsam mit Gianna Molinari die Kunstaktionsgruppe «Literatur für das, was passiert» zur Unterstützung von Menschen auf der Flucht. Im Frühjahr 2017 erschien ihr erster Roman «Immer ist alles schön» beim Limmat Verlag in Zürich.
«Wehe» – Das neue, unregelmässig in der Fabrikzeitung stattfindende Format des Autorinnenkollektivs Rauf.

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