Es kann gefährlich sein, sich einfach auszuklinken, und sei es nur einen Sommer lang. Die Welt dreht sich weiter, zu schnell, zu heftig, und plötzlich verstehst du nichts mehr. Was soll denn das heissen, Arbeitspflicht? Wie meint ihr das, Menschenrechte aufkünden? Wie soll das gehen mit Bargeldverbot, und ist das jetzt schon der erste Schritt auf dem Weg zur Überwindung des Kapitalismus? Typisch SP, oder?

Natürlich, es ist die Zeit der Wahlkämpfer, der Hymnensinger, der Ahnenstürme, und alle scheissen ungebeten Ideen in den Raum, als obs kein Gestern gäbe, als ob da überhaupt noch Platz wäre im öffentlichen Raum für so viel Unsinn. Haben wir uns nicht erst gestern noch über Dichtestress geprügelt? KESB abschaffen, rufen die einen. Weniger Parkbussen, die nächsten. Kriminelle Jugendliche ab in die Zivilschutzbunker zu den Asylbewerbern! Kein Einfamilienhaus ohne meine illegale Putzfrau! Weg mit Justiz, her mit Lynchmobs, in Amden, in Deitingen und in jedem anderen Hoyerswerda. Sogar in Sachsen-Anhalt protestieren sie wieder gegen Menschen, die ihre Heimat verlassen wollen. Unsere Kurzzeitgedächtnisse sind kollektiv abgeschaltet, seit die Zeitungsarchive kostenpflichtig sind, und im besten Fall können wir uns gerade noch merken, wer letzte Saison Meister geworden ist.

Du schliesst die Augen und versuchst einen Moment lang so zu tun, als wäre nichts geschehen. Machst Wochenendurlaub und suchst Piratenschätze. Unternimmst Waldspaziergänge wie all die Frühsenioren im Dauerzustand leichter Panik. Fragst dich ernsthaft, was denn die Lösung wäre. Und ob die Antwort nicht wie auf alle Fragen wäre: «Was es bräuchte, wären klare Strukturen und Regeln – und Ritalin.» Dieser Satz ist leider abgeschrieben.

Als du die Augen wieder öffnest, fragt dich einer: «Und warum sagt eigentlich die Linke nichts dazu?» Du stellst dein Bier hin. Und dann hörst du dich sagen: «Weil es nichts dazu zu sagen gibt. Weil das alles nur eine verdammte Nebelgranate ist. Weil wir demnächst jedem Flüchtling, der es bis zu uns schafft, zur Belohnung ein Iphone in die Hand drücken, die kosten ja eh nichts. Weil wir nur noch schwarz, schwarz, schwarz sehen, nicht wegen der Hautfarbe, sondern wegen dieser Ansammlung an Inkompetenz, Selbstbetrug und Klassengesellschaft, die irgendwer einer mal Schweiz genannt hat. Weil die Brandsätze schon so weit gelegt sind, dass es nur noch am Rauchverbot liegen kann, dass wir uns nicht schon längst alle abgefackelt haben. Und ja, ich bin neidisch auf IQ 39. Dieser Satz ist von Guz, aber ich habe derzeit einfach keinen besseren parat als Antwort auf so eine beschissene Frage.»

Es ist still geworden. Alle Augen sind auf dich gerichtet. Du stellst dein Glas hin, als ob es Blut wäre, das klebrig auf den Tisch tropft. Du bemerkst: Du hast nichts gesagt. Das war alles nur in deinem Kopf. Du verzerrst die Mundwinkel zu einer Grimasse, schluckst, blickst auf und antwortest: «Was es bräuchte, wären klare Strukturen und Regeln – und Ritalin.» Wieso auch nicht.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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