Das Theaterkollektiv Merker/Bieri/Murray/Pavillon/Schoch hat mit «Geister» ein Stück über die Rettung einer verlorenen Zukunft geschrieben. Dafür haben sich die Macher*innen vom Glauben verabschiedet, es gäbe keine Geister – und bitten sie sogar mit auf die Bühne. Ein Gespräch mit Dramaturg Martin Bieri und Textschnipseln aus dem Stück.

Miriam Suter: Das Stück ist eine «Hommage an das Verschwundene» – warum?

Martin Bieri: Weil wir eine Sympathie dafür haben. Vielleicht kommt das daher, dass Theater selbst so eine flüchtige Angelegenheit ist. Jede Aufführung, jede Figur auf der Bühne verschwindet nach ihrem Erscheinen wieder und nichts bleibt. Das ist schrecklich und gleichzeitig tröstlich. Ein Theaterstück ist etwas, das vorbei huscht wie ein Geist. Wahrscheinlich haben wir die Sehnsucht, ihn für einen kurzen Moment doch festzuhalten.

Ein Ritter in voller Montur, Brust- und Rücken-
panzer, Bein- und Armschienen, Fäustlinge und
Helm mit Visier. Er ist in der Geheimtür, die
versteckte Auf- und Abtritte erlaubt, eingeklemmt.
Hallo!
Hört mich jemand?
Ich stecke hier fest!
Hallo!
Ist da jemand? Verstehen Sie mich?
Das gibt’s doch nicht.
Ich bin hier drüben. Vielleicht sehen sie
mich einfach nicht. Hier drüben.

Ich wollte eben weiter.
Eigentlich sollte ich gar nicht mehr da sein.
Ich wollte grade weg,
Jetzt bin ich noch nicht weg, aber auch nicht mehr da.
Jetzt steck ich hier fest.
Das gibt’s doch nicht. So was wie mich gibt’s
eigentlich nicht.
Hallooo!

Werde ich überhaupt wahrgenommen?
Versteht mich jemand?
Also ich rufe jetzt nicht um Hilfe, das wäre peinlich!
Hallooo! Hilfe!

Also ich glaube, das müsste doch ganz anders sein grade.
Hallo?
Ich glaube tatsächlich… dass die Gegenwart das Potential hätte, ganz anders auszusehen, als das der aktuelle Stand der Dinge befürchten lässt.

AUA! Ah, mein Arm, und ah, jetzt hat sich der spitz zulaufende Brustpanzer in der Wand verhakt!
Also, jetzt wird es peinlich. Jetzt schäm ich mich.
Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann ja gar nichts machen.
Ich habe den Anschluss an meine eigene Geschichte verpasst.
Nicht mehr und noch nicht, dazwischen stecke ich irgendwo.
Ich warte auf Erlösung und stecke fest.

Ahh, dieser Helm, jetzt verrutscht dieser Helm, jetzt sind diese kleinen Löcher nach oben gerutscht und ich seh gar nichts mehr. Na toll!
Hallo… hört mich niemand. Bin ich noch da?
Also, jetzt häng ich hier schon so lange fest, was ich mir über sich selbst erzählt habe, gilt doch schon gar nicht mehr. Was erzähle ich mir denn jetzt? Was Neues ist noch nicht erschienen.
Eine Vergangenheit hat jeder, aber eine Zukunft… die muss man sich…
(Macht einen Ausbruchsversuch)
Ich muss meine Zukunft wiedergewinnen.

Wie stellen Sie sich das Ende der Welt vor?

Das Schicksal hält ein paar Möglichkeiten bereit, einige davon scheint die Menschheit sogar selber wählen zu können. Zu befürchten ist allerdings, dass, egal was passiert, immer noch der Kapitalismus herrschen wird.

Und wie sieht das Ende des Kapitalismus aus?

Der Kapitalismus steht für eine behauptete Alternativlosigkeit, an die zu glauben wir uns weigern. Mit «Geister» fragen wir uns, wo denn all die Ideen hin sind, die mal eine andere Zukunft in Aussicht gestellt haben. Wo sind diese Zukünfte geblieben und warum haben wir sie aufgegeben oder vergessen? Gleichzeitig erleben wir, wie schlechte Ideen, die man tot geglaubt – oder gewünscht? – hat, doch noch da sind, weil sie offenbar wirklich länger leben: Nationalismus, Faschismus, gibt’s euch tatsächlich noch?

Macht Ihnen die Zukunft Angst?

Nicht besonders, nein. Aber wir sind nicht blind. Natürlich sehen wir, was alles schief zu gehen droht.

Wie meinen Sie das?

Wenn man etwas aus der Geschichte lernen kann, dann, dass es immer auch anders hätte kommen können.

Ein Geist tritt auf.

Schlecht ging’s mir.
Sehr schlecht.
Alle glaubten schon, ich sei tot.
Als sie Mussolini erhängten.
Und als sich Hitler erschoss.
Dachten alle: Haben wir überstanden.
Den sind wir los.
Sowieso, als sie die NPD in Deutschland verboten haben.
Ganz schlecht ging’s mir.
Aber jetzt, so langsam.
Ich erhole mich.
Hier und dort geht’s wieder.
Italien sieht schon nicht schlecht aus.
Der Osten.
Und auch Amerika, kann man sagen, glaube ich.
Hätte ich nicht gedacht.
Meine Feinde hatten sich schon gefreut.
Aber jetzt.
Augenhöhe, würd ich sagen.
Langsam sind wir wieder auf Augenhöhe.
Sobald ich irgendwo Fuss fassen kann.
Wenn ich mal richtig Stand hab, geht’s sicher besser.
Ich sag euch, 50 Jahre am Boden, kein Spass.
Aber jetzt, ich muss sagen.
Ich glaub, ich habe eine Zukunft.
So langsam fühl ich mich.
Es geht.
Wirklich, es geht.
Gut.
Ich glaub, jetzt kann ich wieder.
Es geht vorwärts.

Wie lange haben Sie an diesem Stück gearbeitet?

Das Projekt hatte einen relativ langen Vorlauf von etwa zwei Jahren. Die Probezeit betrug dann die üblichen sechs Wochen.

Woher kam die Geister-Metapher?

Sie schien uns sowohl für ein bestimmtes Lebensgefühl wie auch für einen allgemeinen Diskurs treffend. Wir beobachten, dass viele Leute und gesellschaftliche Gruppen im Gefühl eines Bedeutungsverlusts leben und diesen auch beklagen. Sie glauben, nicht gesehen zu werden, sich nicht verständlich machen zu können, irgendwie nicht mehr vorzukommen. Und das könnte genau das Problem sein, das Geister auch haben. Zudem leben sie in einer Situation des Nicht-mehr und doch Noch-nicht. Nicht mehr da und doch noch nicht ganz im Jenseits. Als wäre das Vergangene verloren, das Neue aber noch nicht klar erkennbar. Das scheint uns keine schlechte Beschreibung der Gegenwart zu sein.

Was war die grösste Herausforderung beim Schreiben des Stücks?

Es handelt sich nicht um einen vor Beginn der Proben fertig geschriebenen dramatischen Text. «Geister» ist eine Stückentwicklung. Welchen und wie viel Text es gibt, zeigt sich in den Proben, das Ganze ist eine ausgesprochene Gemeinschaftsarbeit, eine einzelne Autorschaft gibt es nicht. Eine Schwierigkeit besteht darin, rasch richtig zu entscheiden, welche Texte drinbleiben und welche nicht.

Und beim Proben?

Wir haben uns mit der direkten Darstellung von Geistern beschäftigt. Wie sehen sie aus, was tun sie, wie sprechen sie? Wie zeigen sie sich den Menschen? Weil es uns aber auch um das Gefühl des Nicht-Verstanden-Werdens und Nicht-Verstehens geht, haben wir versucht, Situationen zu finden, in denen die Kommunikation zum Erliegen kommt, in denen es keine Übereinstimmung zwischen den Anwesenden gibt. Nicht zuletzt deshalb sprechen die SchauspielerInnen Emma Murray, Viviane Pavillon, Matthias Schoch und Max Merker auf der Bühne drei Sprachen gleichzeitig.

Geist 1:
Bei mir war es nicht ein Augenblick, der alles verändert hat.
Das fing langsam an und plötzlich war es da.
Ich habe keine Ziele mehr, auf die ich mich freue.
Man könnte sagen Illusionen, Ideale, aber das ist nicht das richtige Wort.
Wünsche.
Sachen, auf die ich mich freue, wenn sie Realität werden.
Das gibt’s nicht mehr.
Wenn die Zukunft so oder so aussehen würde, dass ich mich darauf freue.

Geist 2:
Ich vermisse den Anfang.
Als wir über alles sprachen, die grosse Ideen.
Wie wir in diesem Raum sassen und über das
kollektive Erinnern sprachen.
Und dass wir das beste Stück ever machen würden.
Das vermisse ich wirklich.
Ich will dorthin zurück.

Geist 3:
Eigentlich ist ja auch alles ok.
Und das war früher nicht so.
Mich stört nichts mehr.
Aber das ist wichtig, dass einen was stört.
Ein Stachel im Fleisch.
Sonst ändert sich ja nichts.

Geist 4:
Ich will wieder träumen.
Aber es geht nicht mehr.
Ich schlafe nicht mehr.
Aber ich will Träume haben.
Da ist immer nur diese Realität.
Ich habe keine Träume mehr.
Ich möchte andere Optionen haben.
Andere Möglichkeiten haben.
Vermisst ihr das Träumen nicht?

Für wen ist das Stück?

Für Geister natürlich. Und alle, die nicht an Geister glauben, sie aber trotzdem mögen.

Interview von Miriam Suter

«Geister» feiert am Mittwoch, den 13. März
Premiere im Fabriktheater.

Miriam Suter (*1988) ist freie Journalistin. Sie schreibt vor allem über Feminismus und soziale Anliegen, unter anderem für die WOZ, das Surprise Strassenmagazin und Das Lamm.
«Geister» feiert am Mittwoch, den 13. März Premiere im Fabriktheater.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert