Als der gemeine Schweizer hört, dass der Bundesrat die Zertifikats- und Maskenpflicht aufgehoben hat, geht er sofort in die Migros und kauft zehn Packungen Fertigrösti. Das tut er nicht ohne Grund. Ab fünf Packungen gibt es 25% Rabatt. Der gemeine Schweizer isst und ist alleinstehend. Auch das nicht ohne Grund. Der Schweizer hat einfach ein Kreuz mit den Frauen. Und deshalb ist er eben gezwungen, sich ausschliesslich von Fertigprodukten zu ernähren. Das erzählt er seinem Arzt aber jeweils nicht, wenn der ihn auf seine zu hohen Cholesterinwerte aufmerksam macht. Weil der Schweizer ist gut im Schweigen. Und der Arzt ist ein Schwabe.
Schweigend bezahlt der gemeine Schweizer also seine Fertigröstis, schweigend geht er wieder nach Hause und schweigend verstaut er die zusätzlichen Packungen im Luftschutzkeller. Dort prüft er kurz, ob alles funktioniert, wegen den Russen. Alles tiptop, auch die Notfall-Toilette ist noch in Ordnung. WC-Papier hat es sowieso noch genug, noch von 2020. Teigwaren auch. Und jede Menge Rindfleisch, noch aus den 90ern, wegen BSE. Der Schweizer ist gut im Umgang mit Geld und mit Krisen. Und eine Frau hätte bei ihm auch genug zum Kochen, denkt er. Dann packt er seine Rösti in die Mikrowelle und schaltet den Fernseher ein. Weil der Schweizer ist ein Informierter. Und dann, am Tisch sitzend, mit der aufgewärmten Rösti vor sich, kommt etwas über ihn. Er weiss nicht was es ist, ist es Freude? Vielleicht, jedenfalls legt er seine linke Hand auf das lauwarme Fertiggericht und denkt: «Finger uf d Rösti».

Ob er nach Bern fahren soll? Vielleicht nimmt Herr Dr. Cassis ja ein Bad in der Menge und der Schweizer könnte ihm nun endlich die Hand schütteln. Zum Dank für dessen währschafte Politik weit rechts vom gesunden Menschenverstand, und das, obwohl der Doppelbürger ist!
Aber dann erfährt er, dass Herr Cassis leider Corona hat.
Darauf folgen Bilder einer Corona-Demo. Er persönlich ist da nie mitgelaufen, obwohl Bruno gesagt hat, dort habe es viele geile und total verzweifelte Weiber. Bruno ist auch geimpft, aber er ist eben auch alleinstehend. Der gemeine Schweizer war jedoch noch nie an einer politischen Demonstration und er ist sich sicher, dass ihm unwohl wäre dabei. Es ist ihm recht oft unwohl, aber Essen und Jassen hilft eigentlich immer.

Und dann erfährt er etwas, das sein Kauen doch noch ins Stocken bringt. Es sind die Suisse Leaks. Genau verstehen tut er das nicht, er ist ja ein gemeiner Schweizer. Und als solcher hat er sein Geld bei der UBS deponiert, nicht bei der Credit Suisse. Aber was, fragt er sich, ist da eigentlich genau der Unterschied? Die UBS hat eine Filiale in der Nähe. Aber sonst? Will die internationale Gemeinschaft den Schweizern jetzt das Geld wegnehmen? Ist das alles nicht irgendwie zu viel auf ein Mal? Der gemeine Schweizer hat in seinem Leben nur eine Abstimmung verpasst, damals war er im Krankenhaus, wegen Darmdivertikel. Höchstwahrscheinlich wegen zu viel Käse und Trockenfleisch, hat ihm der Arzt damals gesagt. Aber sonst hat er immer abgestimmt, und zwar so, wie es vom Bundesrat empfohlen worden war. Denn was wäre der Schweizer ohne seinen Bundesrat? Eben kein Schweizer.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert