Du fragst mich nach Jürgen Ploog? Was soll ich da sagen? Dass wir uns so und so viele Jahre kennen? Dass wir uns hier und da und dort und anderswo begegnet sind? Dass es Dinge gibt, die uns verbinden (wie Tanger zum Beispiel)? Dass es Dinge gibt, die uns trennen (wie Tanger zum Beispiel)? Wie viel es mir bedeutet hat, den einen oder anderen Text von ihm verlegt haben zu dürfen? Dass ich drei oder vier seiner seltenen Lesungen lauschen durfte? Dass wir uns sogar mal eine Bühne geteilt haben? Dass Ploog eine verdammt geile Karre fährt? Das könnte ich schon machen, ja. Ich fürchte nur, ich bin nicht sonderlich gut in solcherlei Sachen. Meiner Sentimentalitätsskepsis wegen (zum einen). Meines Goldfischhirns wegen (zum anderen). Ich könnte nicht mal genau sagen, wann wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Oder wann wir die erste der etlichen Mails ausgetauscht haben. Was wir gegessen haben, als wir über Tanger sprachen, entzieht sich meiner Erinnerung. Und ob die drei oder vier Lesungen nicht doch eher vier oder fünf waren: Ich bin mir nicht ganz sicher. Frag mich nicht, was er gelesen hat, bevor dieses hübsche Foto von uns beiden entstanden ist, das seit Jahren über meinem Schreibtisch hängt. Und ob Ploog den alten, schwarzen Mercedes überhaupt noch hat – nicht mal das weiss ich. Aber selbst wenn ich all das wüsste: Ich würde damit vermutlich mehr über mich als über ihn sagen. Und darum soll es hier gar nicht gehen.

Du fragst mich nach Jürgen Ploog? Was soll ich da sagen? Nachdenklich starre ich in den novermberfarbenen Himmel ausserhalb meines Kopfes und durch ihn hindurch. Der Blick auf ein Draussen, das Material bleibt (sagt Ploog). Ein Draussen, das schreibend zum Drinnen wird (sage ich). Der Blick auf ein Drinnen, das Ploog verhandelt. Aus Gründen. Die Flickermaschine in meinem Kopf wirft Schlaglichter auf Erinnerungsfetzen und triggert Gammawellen. Stimuliert kognitive Transzendenz. Erinnerungen an Nächte in Mainz, Frankfurt und Amnesien. Erinnerungen an Rotlichttalks, Nachttage-Dialoge und die Pornografie des Reisens. Gute 2418 Kilometer vor den Toren von Tanger. Erinnerungen an Schnittstellen und Reibungspunkte, an das zufällige Sich-Kreuzen der Wege. Wieder. Und wieder. Und wieder. In Bars. In Büchern. In Bedenken. Und immer wieder: in Wörtern. Das Sprachzentrum als erogene Zone. Als kleinste radikale Zelle. Als weit offen stehende Tür in den Grey Room. Die Neuordnung des Gewöhnlichen mit offenem Ausgang. Sich von der Unmöglichkeit nicht abhalten lassen. Schreiben: Schriftzeichen, Buchstaben, Ziffern, Noten o. Ä. in einer bestimmten lesbaren Folge mit einem Schreibgerät auf einer Unterlage, meist Papier, aufzeichnen oder in einen Computer eingeben, sagt der Duden. Schreiben: Eine magische Operation, sagt Ploog. Und schreibt. Und schneidet. Und schweigt. Word is virus. Tagnachtverschiebungen, in denen sich unsere Wörter berühren. Mails von Jürgen: Wortvoodoo eines Langstreckenschamanen. «Es muffelt nach Mittelmass & Konformismus, & das ist eine Mischung, die ich nicht vertragen kann.» Soulwords from a different consciousness. «Über Kontrolle und Macht wird viel zu wenig nachgedacht. Kurz gesagt, ich finde, das Schlamassel ist perfekt & die Schlauen schielen nach dem Ausgang.» Kommunikationsinseln in einem Meer von Schwachsinn. «Die einen tun so, als würden sie schreiben, & die anderen tun so, als würden sie es lesen.» Und immer so weiter und immer so fort. Jede Nachricht eine Umarmung. Jeder Absatz ein Bekenntnis. Jeder Satz ein induziertes Lächeln. Feinwuchtige Eigensinnigkeit. In Nähe erzeugenden Abständen. Zeitlichen. Räumlichen. Literarischen. Komplizen am Beckenrand des Haifischbeckens. Das Draussen immer fest im Blick.

Du fragst mich nach Jürgen Ploog? Was soll ich da sagen? Unterwegs auf Fernen Routen mit gemeinsamen Begleitern. And to all the good people that traveled with you. Reisend. Schreibend. Lesend. Pablo, Florian, Hadayatullah. Here’s to the hearts and the hands of the men. Beobachtend. Zweifelnd. Weitermachend. Burroughs, Weissner, Thompson. That come with the dust and are gone with the wind. Auf der Strasse ins Nichts. Südwestwärts 1&2, Kaleidoskopidschi, Fledermausland, A Night in Zurich, Im Land der kaputten Uhren – Mehrschichtigkeitsverschworensein.

Ploog lesen: Durch aufgebrochene Oberflächen in Abgründe schauen. Wortmagier. Schnitte quer durch die Landkarte des Verstehens. Ploog sehen: Begegnungen zwischen zwei Unwahrscheinlichkeitskoordinaten. ZeitReisender. Die Aura des Unbedingten. Ploog kennen: Trampen lernen von einem «Hitchhiker des Windes». Grösstherz. Swing-by-Manöver mit Kurskorrektur.

Du fragst mich nach Jürgen Ploog? Was soll ich da sagen?

Miriam Spies ist Autorin und Verlegerin. Sofern sie nicht gerade durch die Welt tingelt, um literarische Psychogramme über die Gattung Mensch zu erstellen, verlegt, liest und schreibt sie in Mainz. Zuletzt erschien «Im Land der kaputten Uhren – Mein marokkanischer Roadtrip» (Conbook, 2019). In ihrem Gonzo Verlag gab sie u.a. Hadayatullah Hübschs Gedichtsammlungen «Marock’n’Roll» (2010) und «beat manna – Eine Hommage an die Beat Generation» (2011) heraus sowie «Kaleidoskopidschi – Erinnerungen an Hadayatullah Hübsch» (2011).

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