Der ständige Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas gibt bekannt: «China hat ein Wunder in der Geschichte der Menschheit vollbracht.» Nach jahrelangem Staatsterror zur Bekämpfung von Covid-19 und der 180-Grad-Wendung im letzten Dezember wird jetzt spontan der «Sieg» proklamiert. Geiler Style! 

Und vielleicht ein guter Anlass um nochmal kurz über die unwahrscheinlich scheinheilige Position der Schweizer Linken zu Zeiten der Pandemie zu reden, die jetzt dankbar dem stillen Vergessen übergeben wird.

Stellte man sich geschlossen und mit beinahe groteskem Mangel an Differenziertheit hinter sämtliche Covid-Massnahmen, obwohl beispielsweise mit dem Zertifikat defacto eine Ausweispflichteingeführt wurde, die für viele Leute das Ende des öffentlichen Lebens und des Zugangs zu lebensnotwendigen Institutionen bedeutete (man denke an über 100`000 Sans-Papiers in der Schweiz), war die Kritik am Überwachungsstaat China und seiner rigorosen Terrorpolitik gross. Natürlich zu Recht. Spannend dennoch die Doppelmoral, mit der sich offenbar alle ganz gut zurechtfanden.

Wie fest man sich exponierte, übte man (legitime) Kritik an staatlichen Massnahmen, musste beispielsweise die Autorin Sibylle Berg erfahren. Vor der zweiten Abstimmung zum «Covid-19-Gesetz» empfahl sie die Vorlage zur Ablehnung. Nicht als Einzige, aber im links-intellektuellen Spektrum allein auf weiter Flur. 

Berg, ein Jahr zuvor für ihren überwachungs-dystopischen Roman «GRM» noch gefeiert und mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet, geriet nun zwischen die Räder. Es wurde augenscheinlich, dass Kritik an Überwachung und Biopolitik offenbar nur in fiktionaler Literatur erwünscht ist. 

Es reichte aus, vor den sich etablierenden Überwachungsstrukturen zu warnen, um (gerade von linker Seite) harsch und zuweilen unter der Gürtellinie angegangen zu werden. Dies geschah vor allem auf Twitter, zuweilen in gutpatriarchalem, völlig vermessenem Ton («Oje, Sibylle…») gegenüber einer Schriftstellerin, die sich über Jahre intensiv mit Überwachungsstrukturen auseinandergesetzt hat, zuweilen steckte man sie «unter eine Decke» mit rechtsextremen Gruppierungen der Massnahmenproteste («aufpassen, mit wem du dich ins Bett legst»), so als würde eine Analyse ungültig, nur weil sie vom politischen Gegner für andere Ziele instrumentalisiert wird. 

Wir haben es, kurz gesagt, mit einer Persönlichkeit zu tun, die ihren Positionen, ungeachtet der realpolitischen Panik, treu bleibt und dadurch erst Heldin, dann Feindin wird. Sagt sie im Grunde im Fiktionalen und Nicht-Fiktionalen dasselbe, ist es im einen Fall grossartig, weitsichtig und preiswürdig und im anderen unsolidarisch und abwegig, ja geradezu gefährlich.

Mit dem abflauenden Verlauf der Krise nahmen auch die kritischen Blicke auf das Geschehene wieder etwas zu, aber nur leise und noch immer vereinzelt. Irgendwie hat sich die linke Öffentlichkeit stillschweigend darauf geeinigt, dass man über diese Episode Gras wachsen lässt. Vielleicht hat man ein bisschen gemerkt, dass man die eigenen Grundsätze etwas vernachlässigt hat, dass man auf dem Rücken der prekärsten Überwachungsmassnahmen gutgeheissen und aus dem schnieken Home-Office die Kritiker*innen etwas gar leichtfertig beschimpfte. Upsi.

Von Andi G. Schütze

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