Im November ging mit «Moumouni / Gültekin» in der Kaserne Basel die Premiere der ersten postmigrantischen Late Night Show der Schweiz über die Bühne. Um Fatima Moumouni und Uğur Gültekin versammelte sich eine illustre Runde spannender Persönlichkeiten von Nationalrätin Sibel Arslan bis hin zu Tiktoker Cyrill David. Was sie alle verbindet: Die Erfahrungen als Mensch mit Migrationshintergrund in der Schweiz und die Stärke und Resilienz, die diese Erfahrungen erfordern: Der sogenannte Migrationsvorsprung. 

Wir haben mit Fatima Moumouni, Moderatorin und Drahtzieherin, darüber geredet, wieso sie Rassismus-Debatten nicht mehr bei null startet und wie wichtig es ist, gemeinsam zu lachen, um als Gesellschaft weiterzukommen. 

FZ: Fatima, wie hast du dich nach der Premiere in Basel gefühlt?

FM: Ich war sehr erleichtert und glücklich, dass das endlich tatsächlich passiert ist. Wir haben seit dem ersten Late Night Show Pilot in Zusammenarbeit mit INES (institutneueschweiz.ch) 2018 am Projekt Diasboah weitergearbeitet. Dazu gehört der Diasboah Podcast mit Carlos Hanimann, Content auf unserer Instaseite und die Late Night Show Moumouni/Gültekin. Das jetzt Realität werden zu lassen, ist grossartig. Die Show hatte natürlich den Charme einer Premiere.

FZ: Wenn am Ende einer Late Night Show Gäste und Publikum Arm in Arm auf der Bühne Halay tanzen, habt ihr vermutlich ganz schön viel richtig gemacht. Was hast du für Reaktionen erhalten?

Von einigen Reaktionen war ich tatsächlich sehr gerührt. Es sind Leute zu mir gekommen und haben gesagt «Genau das ist es! Genau darüber muss gesprochen werden!» Eine Person hat mir erzählt, dass sie mehrmals zu Tränen gerührt war. Zum Beispiel bei einem Statement von Sibel Arslan, in dem es darum ging, wie sehr Rassismuserfahrungen einen aufhalten, Zeit kosten und Energie rauben. Dass «selbst eine Nationalrätin» damit zu kämpfen hat, sie aber einen Umgang damit gefunden hat und dazu bereit ist, sich mit den Menschen im Publikum und darüber hinaus zu verschwestern und verbrüdern. Das hat viele Zuschauer*innen berührt und empowert.

FZ: Was wiederum auch euch in eurer Arbeit bestätigt und empowert?

FM: Ja, auf der einen Seite zeigen solche Rückmeldungen, dass das was wir tun richtig und wichtig ist, und dass sich viele Menschen von unseren Themen angesprochen und abgeholt fühlen. Andererseits macht es auch fast ein bisschen hässig zu sehen, dass dieses «sich angesprochen fühlen» für viele Leute so rührend, überraschend und neu ist. 

FZ: Weil man es sich von einer Arena des SRF beispielsweise eben anders gewöhnt ist… 

FM: Das Thema Rassismus mit der Frage zu eröffnen, ob es Rassismus überhaupt gibt, hat schlicht und einfach mit journalistischer Inkompetenz zu tun. Zu ihrer Verteidigung könnte gesagt werden: Das SRF hat eben einen Auftrag und damit andere Voraussetzungen. Dass wir das nicht haben, wollen wir unbedingt gut nutzen. Wir dürfen und wollen an einem anderen Punkt ansetzen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Formaten empfinden wir den Anspruch an Inklusion nicht als Belastung. Sondern genau dieser Anspruch und wie man ihm begegnet, ist es, was uns am Ende interessiert. Denn wenn eine Diskussion über Jahre hinweg immer und immer wieder bei null anfängt, kommt man nicht weiter.

FZ: Wie kommt man weiter?

FM: Durch Zuhören, ernst nehmen und sichtbar machen. Es geht um die Validierung bestimmter Erlebnisse. Solche, die im «Schamkästchen» stecken, die normalerweise nicht an die Oberfläche geholt werden und «lieber vergessen werden wollen». Erfahrungen, von denen man irgendwann selber glaubt, sie seien nichts wert. Weil sie im gängigen Narrativ der weissen Mehrheitsgesellschaft nicht vorkommen. Die Anerkennung, dass diese Erfahrungen real sind, ist das allerwichtigste. 

Mit Diasboah schaffen wir einen Raum, in dem man sich diesbezüglich nicht anlügen muss, nichts schönreden muss. Ein gewisses Grundverständnis für das, worüber wir hier reden, ist bei uns schon gegeben, allein schon durch eben diesen Migrationsvorsprung. 

FZ: Der Migrationsvorsprung steht dem Migrationsdefizit gegenüber. Wer ist eure Zielgruppe? Menschen mit ähnlichen Erfahrungen und Geschichten oder auch solche, die ihr Defizit noch erkennen und daran arbeiten müssen? Wen wünschst du dir im Publikum? 

FM: Beide. Die Zielgruppe sind alle, die bereit sind und Bock haben, sich diesem Defizit zu stellen, die neue Schweiz anzuerkennen, weiterzutragen und voranzutreiben. Alle, die bereit sind, Diskussionen auf einem anderen Niveau zu führen und sich gemeinsam mit Fragen von Identität und Solidarität in einem grösseren Rahmen auseinanderzusetzen. Was brauchen wir für Grundvoraussetzungen, um gemeinsam an einer Gesellschaft weiterzuarbeiten, in der sich möglichst viele Menschen und verschiedene marginalisierte Gruppen wohlfühlen? Da spielen dann nicht nur Migrations-, sondern auch Klassen- und Genderfragen eine grosse Rolle. Die Frage ist, wie schafft man es, mit möglichst vielen Leuten gemeinsam über diese Fragen nachzudenken, ohne dass schon während dieses gemeinsamen Nachdenkprozesses viele Verletzungen entstehen?

FZ: Das sind schwierige Fragen und ernste Themen. Auf der Bühne geht’s aber auch um Entertainment. In Basel wurde viel gelacht… Wie schafft ihr das?

FM: Uğur und ich sind natürlich privilegiert, dass wir uns auf diese Art und Weise mit der Thematik auseinandersetzen dürfen. Wir haben quasi die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der antirassistischen Arbeit bekommen und reihen uns da in die Arbeit vieler vor uns ein, die uns das erst überhaupt ermöglicht haben. Antirassistische Arbeit ist anstrengend und hart. Das in eine Show umzuwandeln, die auch Spass machen darf, und in der Zusammenhalt und gemeinsames Lachen im Vordergrund steht, ist wunderbar. Auch, weil dieses Archiv an geteilten Erfahrungen auch eine riesige Ressource für Humor ist. Das wollen wir nutzen, um mehr zu erfahren, mehr Storys von betroffenen Menschen auszugraben und sichtbar zu machen.

FZ: Auf wessen Storys und Perspektiven darf sich das Publikum demnächst in der Roten Fabrik freuen? 

FM: Unter anderem auf die des Berner Rappers Nativ und die der Schriftstellerin Dragica Raijcic. Sie hat ein unglaublich poetisches Buch in «gebrochenem Deutsch» geschrieben. Ein wunderbares Beispiel für eine Realität, in diesem Fall eine Sprache, die in vielen Kontexten der Mehrheitsgesellschaft abgewertet wird, aber eben schön, kreativ und unbedingt aufschreibenswert ist. Ich bin gespannt und freue mich sehr!


Update: Die Show wurde aus pandemischen Gründen aufs Frühjahr 2022 verschoben. 

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