Heute schon gedopt? Wahrscheinlich ja – wenn Sie zu den Kaffeetrinkern gehören. Koffein ist für viele noch immer der liebste Wachmacher und das populärste Fördermittel der Konzentration. Aber seit einiger Zeit rücken neue Medikamente ins Licht der Öffentlichkeit – Mittel, die in dem Ruf stehen, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit zu erhöhen. Die Rede ist vom «Neuro-» oder «Cognitive Enhancement», der Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit über das Normalmaß hinaus. Arzneimittel wie Modafinil oder Ritalin wird nachgesagt, sie könnten den Geist auf Trab bringen. Äußerst wenig davon wurde bislang im wissenschaftlichen Versuch oder der Praxis bestätigt. Warum werden die pharmakologischen Helfer gleichwohl fraglos aus den Regalen gereicht? Die kurze Antwort: Sie sind Zeichen einer veränderten Kultur, die statt auf Ekstase und Entspannung auf Leistung und Durchhalten setzt.

Nachdem mit LSD, Psilocybin und Cannabis die Halluzinogene der 60er in den 90er Jahren ein Revival erfuhren, sind diese Drogen auf der Beliebtheitsskala gesunken. Im Gegenzug trat die einstige Schicki-Droge Kokain einen Siegeszug an, der bis heute anhält. Und weltweit nehmen mittlerweile mehr Menschen synthetische Stimulanzien wie Amphetamin («Speed») zu sich, als die lange präferierten Opiate zu konsumieren.

Das legale Spiegelbild dieser Entwicklung hin zu leistungsfördernden Drogen sind Neuro-Enhancer wie Ritalin und Modafinil. Ritalin (chem. Methylphenidat) ist ein Derivat von Amphetamin und wie Modafinil ebenfalls ein Stimulans. Dass nun ausgerechnet solche primär leistungssteigernden Medikamente dazu beitragen sollen, einen kreativen Umgang mit sich selbst und seinen Mitmenschen zu fördern, verwundert. Funktion und Wille stehen im Vordergrund, so wurde beispielsweise Modafinil bei den britischen Truppen in Afghanistan und Irak sowie bei Space Shuttle Missionen eingesetzt.

Wie soll aber eine Gesellschaft mit Neuro-Enhancement und den pharmakologischen Substraten umgehen? Experten sehen die Verantwortung meist bei der Einzelperson. Grenzziehungen der individuellen Redlichkeit zu überlassen ist eine hehre Methode; sie funktioniert jedoch nur bedingt in einer Gesellschaft, die im Schneller, Höher, Weiter ihr Seelenheil sieht.

An den Neuro-Enhancern lässt sich zeigen, wie zweischneidig das Prinzip Eigenverantwortung ist. Denn Eigenverantwortung setzt zum einen den mündigen Konsumenten voraus und vernachlässigt zum anderen dessen Einbettung in das moderne Leistungssystem. Marx nannte das den «stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse». Heute, so scheint es manchmal, wird mit erhöhter Subtilität eine Wahlfreiheit vorgegaukelt, die letztlich doch nur wieder nur das Funktionieren in der Arbeitswelt garantieren soll.

Und geht es nicht um Arbeit, so geht es um die Eliminierung unerwünschter Persönlichkeitseigenschaften. Selbst Schüchternheit kann heute schon als behandlungswürdige Sozialphobie gelten. Die Kernfrage des Neuro-Enhancement geht also weit über die pharmakologische Beeinflussung des Geistes hinaus: Wie kann künftig die Grenze zwischen Selbstgestaltung und Selbstausbeutung gezogen werden?

Zahlen und Fakten

Bei aller Kritik der Verhältnisse darf vor Alarmismus gewarnt werden, ist doch die Verbreitung von Hirndoping noch gering. Der HISBUS Online-Panel befragt regelmäßig und repräsentativ deutsche Studenten. Zwischen Dezember 2010 bis Januar 2011 nahmen knapp 8.000 Studenten an einer Befragung teil, die den Dopingleidenschaften der kommenden wirtschaftlichen und kulturellen Intelligencia auf dem Grund gehen wollte. Glaubt man den Antworten, dann haben nur 5% der Befragten jemals eine psychoaktive Substanz eingenommen, um gezielt leistungsfähiger oder entspannter zu werden. Angesichts der verschiedenen Mittel, die angegeben wurden, ist das wohl erstaunlich wenig. Denn nicht nur die klassischen Cognitive Enhancer wie Ritalin und Modafinil fallen unter die Autoren-Definition des Hirndoping, sondern auch Drogen wie Cannabis, MDMA, Speed und Kokain sowie Arzneimittel wie Betablocker, Schmerzmittel, Schlafmittel und Antidepressiva. Der Großteil erhält das Mentaldoping vom Arzt verschrieben.

Wohlgemerkt geht es den Hirndopern laut eigenen Angaben überwiegend nicht um geistige Leistungssteigerung, sondern um die Linderung von Nervosität und Lampenfieber. Fast 50% der Doper wollen sich beruhigen, ein Drittel bekämpft Schmerzen. Hier wird nicht nur gedopt, sondern sediert, gefeiert und optimiert. Die Übergänge zwischen studentischer Vergnügungslust, Stressabbau, Gesundheitserhaltung über Ernährung und Nahrungsergänzung sowie lernorientierenden Konsumverhalten sind fließend.

Ritalin & Co.

Die Eltern von auf ADHS diagnostizierten Kindern hören es nicht gern, dass das verabreichte Medikament in der Tradition der Stimulanzien steht. Ritalin ist ein Amphetaminderivat und soll Kindern und Erwachsenen helfen zu fokussieren. In den Studien mit gesunden ProbandInnen sind die Ergebnisse allerdings widersprüchlich. Leistungssteigerungen stehen Leistungsabfällen gegenüber. Der Ruf, den Ritalin als Neuro-Enhancer hat, gründet weniger darauf, kreative Schübe auszulösen oder intelligenter zu handeln, als darauf wach zu halten.

Der Wirkstoff Modafinil galt lange als der verheissungsvollste Neuro-Enhancer. Die Aufregung um die Substanz liegt auch darin begründet, dass sie strukturchemisch nicht richtig zuzuordnen ist: Sie ist kein geartetes Derivat der Amphetamine, Alkaloide oder gar Halluzinogene. Dieser Umstand hält sie bislang aus dem Fokus der Drogenkontroll-Institutionen. Die Substanz hält wach, kann aber die kognitiven Leistungen nicht zuverlässig über ihre Bandbreite steigern – im Gegenteil. Oftmals nehmen die Leistungen in bestimmten Bereichen sogar ab. Die neusten Studien weisen darauf hin, dass Modafinil umso weniger hilft, desto intelligenter die einnehmende Person ist.

Dies deutet auf ein bekanntes Phänomen hin. Der menschliche Körper und sein Gehirn versuchen die Effekte von Fremdsubstanzen zu adaptieren und wirken ihnen entgegen. Toleranzbildung ist oft die Folge. Sollten nun tatsächlich weithin nebenwirkungsarme Neuro-Enhancer existieren, die sich in die Klasse von Kaffee und Tee einfügen, so besteht das Risiko, dass auch sie regelmässig eingenommen werden müssen, um uns überhaupt in Fahrt zu bringen.

Quantified Self

Durch den rasanten technischen Fortschritt beschränken sich die Optimierungsversuche längst nicht mehr auf pharmakologische Interventionen. Wo früher Waage und Fieberthermometer ausreichen mussten, um den eigenen Gesundheitszustand zu messen, stehen heute eine Vielzahl von Gadgets bereit. Bio-Sensoren und Apps können Körperfunktionen aufzeichnen, aus den gewonnenen Daten werden Handlungsanweisungen für optimalen Schlaf, gesündere Ernährung, bessere Fitness und höhere Intelligenz gezogen. Das Quantified Self ist geboren, die lose gekoppelten Mitglieder dieser Bewegungen nennen sich «Self-Tracker».

Dieser technische Enthusiasmus ruft Kritiker auf den Plan. Diese reiben sich nicht nur am gefährdeten Datenschutz, sondern befürchten einerseits einen Kampf gegen den eigenen Körper, der sich der Illusion hingibt, über eine gesteigerte Selbstkontrolle Herr über das eigene Schicksal werden zu können. Andererseits beginnt man in den Trackern die Spitze der gesellschaftlichen Tendenz und die physische Vollkommenheit als das höchste Gut im Leben zu sehen.

Jüngst hat sich die Autorin Juli Zeh mit einem grimmigen Artikel zu Wort gemeldet. Zeh hatte schon in ihrem Roman «Corpus Delicti» eine Gesundheitsdiktatur beschrieben, in der hyperhygienische Kontrollen und Regulationen herrschen. In der Selbst-Quantifzierung sieht sie nun eine Art Magersucht für Männer, in den Trackern die Versuchskaninchen für das aufkeimende «Konzept des Gesundheitsuntertanen». Ihr Argument: «Wenn es einen optimalen Lebensstil gibt, der zum optimalen Körper führt, dann gibt es auch messbare Abweichungen, an die sich Belohnung und Strafe knüpfen lassen.»

Man kann das für übertrieben halten. Florian Schumacher vom Quantified Self Netzwerk Deutschland gibt zu bedenken, dass es einen allgemein gültigen, optimalen Lebensstil ohnehin nicht gäbe, da sich jeder Mensch in seinem Stoffwechsel, seinen gesundheitlichen Voraussetzungen und seinen persönlichen Bedürfnissen unterscheide. «Lösungen nach dem Prinzip von Quantified Self zielen darauf ab, besser auf den Einzelnen mit seinen individuellen Besonderheiten einzugehen. Die Auseinandersetzung mit sich selbst führt zu Wissen, welches man für einen selbstverantwortlichen Lebensstil einsetzen kann.» Darin sieht er primär eine Chance zum mündigen Umgang mit der eigenen Gesundheit.

Allerdings fallen die Optimierungsbemühungen der Self-Tracker in eine Zeit, in der das Individuum ohnehin als durch und durch messbare und jederzeit zu verbessernde Gestalt interpretiert wird. Die Industrie steht zur Seite, wenn es darum geht, an beliebigen Stellschrauben zu drehen: Nahrungsergänzungsmittel für die tägliche Ernährung, Koffein für das Büro, Stimulanzien für den Abend und vor dem Halbmarathon ein paar Schmerzmittel.

So sehr man den Optimierungswahn auch kritisieren mag: Quantified Self könnte durchaus zur zivilen Selbstermächtigung und der damit möglichen Autonomisierung von den Institutionen des Gesundheitssystems und Fitnessbranche beitragen. Folgt man allerdings AutorInnen wie Juli Zeh, ist körperlich-geistige Kultivierung ohne Unterordnung unter das kapitalistische Leistungsdiktat überhaupt nicht möglich. Auch die junge Bewegung der Self -Tracker kommt nicht um die Frage herum, ob sie einer weiteren Form leistungsgesellschaftlicher Anpassungsvorgänge unterliegen und so zur Erosion gesellschaftlicher Solidarität beitragen.

In den modernen Informations- und Dienstleistungsgesellschaften hat die zentrale Bedeutung der entlohnten Erwerbstätigkeit ein Heer von Tätigen erschaffen, die aus ihrer Arbeit einen Grossteil ihrer Bestätigung, ihres Selbstbildes und Lebenssinns schöpfen. Wer hier versagt, dem bricht oft das innere Korsett weg. Wer dann nicht die Bremse tritt, dessen ständiger Stress greift die Körperfunktionen an. Die Übergänge zwischen Burn-Out und Depression sind fließend.

Und um auch noch das beliebte Schlagwort des Neo-Liberalismus ins Spiel zu bringen: Dieser hat die Verantwortung noch einmal mehr auf das Individuum verschoben, das deutlich stärker als früher für sein Schicksal und sein gelingendes Leben verantwortlich ist. Dem Arbeitsstress wird mit knallharter Meditation entgegen gewirkt: Am Samstag Rave, am Sonntag Yoga, am Montag Bank.

Die menschliche Taktung, die schon durch die Industrialisierung einen gewaltigen Schub bekam, scheint den stampfenden Rhythmus der Maschinen verlassen und sich den Oszillationen der Prozessoren anpassen zu wollen. Das stößt uns natürlich an die Grenzen der Belastbarkeit. Mithin wird das eigene Nervenkostüm als Feind aufgefasst, dass den Geboten des Multitasking angepasst werden muss. Dem in die Karten spielt ein ungebrochener Wissenschaftsglaube, der suggeriert, dass zu jedem Zustand, mehr noch, zu jeder Befindlichkeit, ein Mittel existiert, das den Zustand noch steigert, eliminiert oder zumindest dämpft. Die letzten drei Jahrzehnte der Medizin stehen nicht zufällig unter dem Primat der Hirnforschung. Sie bestimmt den Diskurs um menschliches Erleben.

Wo ist die Rettung? Auf subjektiver Ebene sicherlich in dem wachen Blick auf die eigene Geschichte, Sinnhaftigkeit von Tätigkeit und Leben – und im Bedarfsfall in der Wahl des richtigen Arztes, der in der Lage ist und sich die Zeit nimmt, die Gesamtperson, die vor ihm sitzt, zu würdigen. Intersubjektiv sicherlich in einer neuen Bestärkung des sozialen Miteinanders. Auf Systemebene ist eine stärkere Autonomie der medizinisch-pharmazeutischen Wissenschaft von der herstellenden Industrie anzustreben. Und nicht zuletzt kulturell gilt es, die verinnerlichten Konsummentalitäten aufzubrechen, die, gestützt vom Funktionsdenken, vorgeben, für jeden geistigen Zustand ein technologisches Mittel zu dessen Potenzierung oder Dämpfung zu besitzen.

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