Es ist ein musterhaftes Beispiel für schlechte Kommunikation von allen Seiten. Gemeint ist der «Knall» (WOZ), der sich in Solothurn, dem verpennten Schweizer Vorzeigestädtchen schlechthin, das seit über 40 Jahren geradezu anachronistisch an den Schweizer Film weiterglauben will, zugetragen haben soll. Operiert wird mit Feuerwerksrhetorik und Lynch-Meta-phern. Es ist ein gefundenes mediales Fressen: Anita Hugi – erfolgreich, charismatisch, Frau – verlässt die Solothurner Filmtage als Direktorin und spricht «schockiert» von einer «Machtübernahme» (Tagblatt). Auf der Seite der Macht: Thomas Geiser, Filmtage-Präsident, ebenfalls charismatisch, weiss und Mann. Ausgerechnet der emeritierte Professor und Arbeitsrechtler, prominenter Fliegen-Träger und gern gesehener Experte beim SRF, sollte der Filmtage-Direktorin ihren Abgang per Medienmitteilung kommuniziert haben?
Eigentlich zu gut für einen Schweizer Film. Verständlich, dass da manch eine/r auf dem Weissenstein die Buchstaben HOLLYWOOD leuchten sah.
Es liegt in der Logik der heutigen Medien, dass diese Geschichte eine Empörungswelle befeuerte und mittels Opferdiskurs und aufge-bauschter Genderthematik zu einem Skandal heraufbeschworen wurde. «Die Filmtage stellen ihre Direktorin kalt», konstatierte der TA, «Schon wieder eine Direktorin weniger», titelte die NZZ a. S. Hugi selber befeuerte das Narrativ, indem sie im Netzwerk SWAN (Swiss Women Audiovisual Network) schrieb: «My departure is not an isolated event.» Unterstützung kam von der ehemaligen Ständerätin Géraldine Savary (auch schon Jury-Mitglied beim humanistisch angehauchten «Prix de Soleure»), die in femina.ch fragte: «Pourquoi vouloir la tête de Anita Hugi?» – Ja, warum eigentlich?
Die Mutmassungen reichten vom Frau-Sein der Direktorin bis hin zur These, «zu viel Erfolg» hätte «gewisse Alteingesessene» gestört statt gefreut. Dass ausgerechnet der Ex-Präsident der Filmtage, der 73-jährige Felix Gutzwiller, diese Erzählung über die NZZ a.S. in Umlauf brachte, liess aufhorchen. Wer sprang hier der Festivaldirektorin genau zur Seite und über welches Bild von «Erfolg» sprach man hier genau?
Es erstaunt nicht, dass einige Tage später, nachdem seitens der Filmtage stets betont wurde, der Abgang habe mit interner Strukturreform zu tun, nochmals eine ganz andere Geschichte aufgetischt wurde: In dieser Version ist von «autoritärem» Führungsstil der Direktorin die Rede (Solothurner Zeitung), von Krach zwischen Team und Direktion, von «schlechtem Informationsfluss, chronischer Überbelastung, fehlender Einbindung in Entscheidungsprozesse» (WOZ) und «Mikromanagement» (TA). Spätestens jetzt war klar: «Unbegründet» (NZZ a. S.) war hier wohl niemand «abserviert» (Tagblatt) worden und die feministische Empörung vielleicht eine zu einfache Antwort (ausserdem zeigt ein Bick auf die Homepage: operativ sind die Filmtage seit Jahren von Frauen dominiert).
Es ist müssig zu sagen, dass es um offensichtlich verschiedene Wahrnehmungen geht und «komplex» in diesem Fall ein Euphemismus ist. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist so simpel gestrickt wie ein Hollywood-Blockbuster: Es geht quasi um eine enttäuschte «Liebe» und eine unschöne «Scheidung». Letztlich, und das ist das eigentlich Interessante an dem Fall, geht es darum, wer zuerst seine Geschichte erzählt und als moralischer Sieger vom Platz geht. Solange dieser einfache Plot von Opfer und Täter, Siegerinnen und Verliererinnen, sein grösstes Publikum findet, werden wir als Publikum genau damit bedient. Fair enough!

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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