«Kopenhagen nimmt neu den Spitzenplatz der lebenswertesten Städte ein, Zürich verliert zwei Plätze, Genf ganz draussen». Wenn man sich durch die tagesaktuellen Medien liest, lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass mittlerweile nahezu jeder Aspekt des Lebens in eine Rangreihenfolge gestellt wird. Solche Ranglisten und Tabellen sind leicht zu erstellen und einfach zu verstehen. In einer Zeit, die in beinahe religiösem Eifer nach Nummern und Statistiken giert, geben sie uns vor, ein Destillat von Erkenntnis zu sein. Die Kehrseite davon ist jedoch, dass auch die behandelte Materie, ebenso wie wir selbst, in den Diskussionen selbst immer stärker zu ebendiesen Datensätzen, medialen Fuss­abdrücken und Anzahl «Likes» werden.

In dem von China seit 2005 angestrebten Konzept eines «Social Credit System» sind es ebendiese Likes und Dislikes, die zählen. Was zählt, sind die Bewertungen des eigenen sozialen Ranges durch seine Einkäufe, seine Kommentare und Bewertungen von Freunden. Deren Auswirkungen sollen in naher Zukunft unmittelbar mit den Rechten und Möglichkeiten als Bürger verknüpft werden. So kann es vorkommen, dass ein Kredit verweigert wird, sollten die persönlichen Werte und Einstellungen nicht zu denen des herrschenden politischen Systems passen. Zeigt sich in der Datenspur online eine Vorliebe für Computerspiele, kann dies als Zeichen für eine tiefe Leistungsbereitschaft oder Faulheit interpretiert werden. Der Social Credit Score sinkt – und mit ihm die eigenen Möglichkeiten.

Die Kombination einer von Big Data betriebenen Überwachung und einem öffentlichen sozialen Ranking droht damit weit über die Visionen einer totalitären Orwellschen Überwachung hinauszugehen. Und es ist längst nicht allein China, wo mit solchen Systemen experimentiert wird. Die Ereignisse um Facebook und Cambridge Analytica, die pychologischen Experimente um das Online-Verhalten ihrer Benutzer zeigen deutlich, dass auch hier versucht wird zu verstehen, wie erwünschtes Verhalten gefördert oder gehemmt werden kann. Wir befinden uns in einer Zeit, in der staatliche und wirtschaftliche Akteure an Einfluss gewinnen und versuchen, ihre User im Auge zu behalten.

Diese Ausgabe der Fabrikzeitung dreht sich um die durch Big Data getriebene soziale Profilierung und Bewertung und untersucht dabei wissenschaftlich, essayistisch und literarisch Phänomene wie Chinas «Social Credit System», Deutschlands «Schufa» und Social Media.

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