Die Grundidee der urbanen Planung Jerewans im 20. Jahrhundert basiert auf dem Konzept eines radialen Ringsystems mit ausgedehnten Parks und Gärten, einer Kombination von Amphitheater und Gartenstadt.

Die Idee einer Garten-Stadt findet ihren Platz im Planungskonzept durch die Bewahrung einer städtischen Struktur mit einer breiten grünen Zone. Dies wird in Form von Gärten und öffentlichen Parks, die in die umliegenden Gärten der Stadtbewohner übergehen, realisiert und trägt zu einem angenehmen ökologischen Klima bei. Ebenso wird aber auch das emotionale Klima der Stadt, die sich organisch mit der Naturlandschaft verbindet, vom malerischen Panorama des offenen Tales und den umrahmenden Bergketten des biblischen Ararat bestimmt.

Die Realisierung der Grundideen im Masterplan von 1924

Die ersten Arbeiten zum zweiten wichtigen Umbauprojekt von Jerewan, begann der Architekt und Stadtplaner Alexander Tamanjan im Jahre 1919 (während der ersten kurzen Periode der Republik Armenien 1918-1920). Die Genehmigung zur Realisierung des damals entworfenen Planes für den Umbau von Jerewan wurde im Jahre 1924 von der neuen Regierung erteilt, in der sowjetischen Epoche. Der Grundriss der Stadt war leicht angepasst worden, so dass er der Form von Hammer und Sichel ähnelt. Tamanjan stützte sich in seinem Projekt auf den Plan von 1856, vergrößerte jedoch die Stadtfläche unter Berücksichtigung der gestiegenen Einwohnerzahl. Das nicht realisierte Ringstrassensystem aus dem Plan von 1856 findet neuen situationsbezogenen Inhalt. Gleichzeitig findet eine Neuordnung der einzelnen Zonen mit neuen strukturellen Ideen statt. Im zweiten Generalplan wird die Stadt in mehrere Bezirke unterteilt. Das städtische Zentrum, der administrative Bezirk, nimmt ungefähr den Platz ein, auf dem sich zu Beginn der 20er Jahre die meisten staatlichen Einrichtungen befanden, die von der sowjetischen Macht besetzt wurden, und deren Entstehungszeit in der vorherigen Epoche lagen. Der größte Teil des Grüns befindet sich auf dem breiten Boulevard, der den zentralen Teil der Stadt ringartig umkreist. Auf diese Art nähert sich dieser ringförmige Boulevard von zwei Seiten dem Garten der Kommunarden (ehemaliger Englischer Garten) an und bedient gleichzeitig das Zentrum und die Peripherie. Außer dem ringförmigen Boulevard gibt es noch andere radiale Boulevards, die eine wichtige Rolle für die Luftregulierung entlang der Peripherie und des Stadtzentrums spielen. In der malerischen Schlucht des Flusses Hrazdan, mit den versteinerten basaltfarbenen Klippen, erstreckt sich ein großer Park. Dieser grenzt an den wiederaufgebauten Freizeitpark nahe dem kaskadenartig herabfallenden malerischen Wasserfall. Eine weitere grüne Kaskade steigt hinab von dem erhöhten kanakerischen Plateau, auf dem sich der Park der Kultur und Erholung befindet und fließt über in den weitläufigen ringförmigen Boulevard und die Grünanlagen mit Fontänen vor dem Staatstheater.

Die Verschmelzung regionaler und internationaler Elemente in der Architektur und Stadtgestaltung Jerewans

In seiner architekturhistorischen Art bildet das moderne Jerewan ein höchst farbiges Beispiel der Stadtplanung und Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Lauf der Geschichte – Erdbeben und Kriege – sind Gründe für das heutige künstlerische Bild Jerewans. Wenige bauliche Zeugnisse sind daher von der vorsowjetischen historisch-chronologischen emotionalen Atmosphäre, von den wichtigen Epochen der Stadt und dem imperialen (königlichen) Eriwan geblieben.

In der Geschichte der Architektur Westarmeniens hatte das 19. Jahrhundert eine neue Periode eröffnet. Die Veränderung des politischen Status des Landes und seine administrative Integration in den Bund des russischen Imperiums bedingte eine von Grund auf neue Weltanschauung. Die Verbreitung europäischer Ideen spiegelt sich deutlich in der Baukunst wider. Die internationale architektonisch-künstlerische Bewegung verbindet sich mit der regionalen Kultur und bestimmt die allgemeine Tendenz der Architektur, weg von der rein nationalen Architektur: hin zu einer, in der die traditionellen und fremden Motive sich verbinden, sich gegenseitig ergänzen und bereichern.

Hier kristallisiert sich die neue, originelle und progressive Kategorie der Form heraus, die sich deutlich von den zuvor gängigen Formen unterscheidet. Die sich zu den verschiedenen Zeiten, im Verlauf von 20 Jahrhunderten herausgebildeten nationalen, historischen und modernen architektonischen Stilrichtungen führen zu einer allgemeinen Vereinigung architektonischer Formen und Ideen, in denen sich eine harmonische Verflechtung der künstlerischen Konzepte wiederfindet.

Armenien wird von der internationalen architektonischen Bewegung in den Jahren 1830–1910 mitgerissen. Parallel dazu geht die Entwicklung und Veränderung der Traditionen einher. Und zwar nicht nur im Sinne der Formgebung, sondern auch im Sinne der ideologischen Vorraussetzungen, die sich deutlich von den europäischen Prozessen gesellschaftlicher Umwandlung abheben.

Das hartnäckige Festhalten an der lokalen Baukunst und der traditionellen bauhandwerklichen Arbeitsweise, bedingt die Präsenz und Vielfalt nationaler Formen im Charakter der armenischen Baukunst. Die architektonischen Aktivitäten im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wirken nicht nur im Sinne der Bereicherung der künstlerischen Arbeiten und der städtebaulichen Rekonstruktion. Die Neueinführungen dieser Epochen berühren vielmehr alle Bereiche der Architektur und finden sich wieder im Zusammenklang der Formen und Funktion sowie in der Interpretation der Bauweisen, der Entwicklung der Gebäudearten, der Konstruktionen und der Baustoffe.

Die Art der Gestaltung der steinernen Fassaden der Bauten, die durch Steinplastiken ausdrucksvoll unterstützten architektonischen Formen, die Farbgebung der klassischen und der nationalen ornamentalen Motive und die Ausschmückung mit schönen traditionell gestalteten Holzbalkonen, blieben allein dem Künstler überlassen.

Architekturbeispiele aus dem imperialen Jerewan

Wenige wunderschöne Beispiele des imperialen (zaristischen) Jerewan findet man im Baukomplex des klassischen Jungengymnasiums, den Bildungsstätten für Lehrer, der Schatzkammer und dem Kasinobau, der Staatsbank, dem Haus des Gouverneurs, in den respektablen Stadtresidenzen und den öffentlich zugänglichen Häusern des Hovhannisjan, Eghiazarjan, Ter-Avetikjan, Antonjan, Kalantarjan, Fon-der-Nonne, usw. wieder.

Sowjetische Bauten in Jerewan

Seit 1920, vor dem Hintergrund der geschichtlichen Veränderungen, entwickelt sich die sowjetische Architektur Armeniens. Ideologisch verbunden mit der Kunst der ganzen UdSSR, hinterließ die sowjetische Architektur ein Ensemble typischer Bauten, die das Stadtbild prägen.

Der Patriarch dieser neuen armenischen Architektur, die später «Tamanjanische Schule» genannt wurde, war der Architekt Alexander Tamanjan, einer der größten armenischen Architekten, Begründer und Star des russischen Neoklassizismus Anfang des 20. Jahrhunderts. Vor seinem Aufenthalt in Jerewan von 1906 bis1919 arbeitete er in Sankt-Petersburg, Moskau und anderen russischen Städten, in denen er einen breiten Bekanntheitsgrad sowie hohe akademische Auszeichnungen erreichte.

In seinen Bauwerken sind alle Errungenschaften der klassischen und nationalen Architektur in einer vollkommen einzigartigen Interpretation zu finden. Dies spiegelt sich besonders in zwei Werken wider, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der weiteren armenischen Architektur hatten. Die wichtigste seiner Arbeiten in Armenien ist das Haus der Regierung, das sich auf dem Hauptplatz von Jerewan befindet. Es ist ein monumentales architektonisch künstlerisches Ensemble am ovalen Platz der Republik (ursprünglicher Lenin Platz) und eines der beeindruckendsten Ensembles der republikanischen Hauptstädte der UdSSR. Einer der wichtigsten Baukommissare Sowjetrusslands, A. Shchusev, stand vor dem neuerbauten Korpus dieses Hauses und sagte, mit einem Bleistift in der Hand die Fassade abzeichnend, dass das Interesse für dieses umwerfende Denkmal der Architektur nie erlöschen wird. Es würde Jahrhunderte überdauern und die Erben der ganzen Welt würden jede seiner Linien erlernen. Und wenn ein Unglück geschähe und das Gebäude zerstört würde, dann wären sogar seine Ruinen noch interessant.

Ein weiteres einzigartiges Werk von A.Tamanjan ist das grandiose Gebäude des Staatstheaters. Die Idee des Projekts beinhaltet zwei verbundene, in ein Bauwerk eingeschlossene Theater, das Winter- und das Sommertheater. Für große Theatervorstellungen mit vielen Zuschauern erlaubt die Gestaltung des Baus die beiden Theater um die gemeinsame zentrale Bühne zu verbinden. 1937 wurde das Projekt mit dem Grand prix der Pariser Weltausstellung gewürdigt.

Die Jahre 1920 bis 1930 waren die Zeit der unterschiedlichsten Ausprägungen des Konstruktivismus, des Neoklassizismus, der Moderne, die mit den nationalen Traditionen der armenischen Baukunst verflochten wurden. Unter den Bauten der führenden armenischen Architekten finden sich die Hotels «Yerevan» und «Sewan», die Bank der Landwirtschaft, das Haus der Pioniere, und die Staatsanwaltschaft. Am Ende der 20er Jahre macht sich eine neue Tendenz in den Arbeiten junger Architekten bemerkbar, die sehr interessante Beispiele für die konstruktivistische Architektur liefern. Hier sind das Haus des KGB, Klub der Bauarbeiter und das «Schachbrett »–Wohnhaus zu nennen.

Ab der Mitte der 30er Jahre kommt der sozialistische Realismus nach Armenien. Die Besonderheit der Architektur Armeniens in der Zeit des sozialistischen Realismus der 30er bis 50er Jahre beinhaltet die Bewahrung fester traditioneller Werte, erlaubt jedoch die Trennung zwischen regionalen Stilrichtungen und dem grundlegendem Stil des Realismus der sowjetischen Architektur.

In den 60er Jahren bis hinein in die 80er, mit der Standardisierung und Typisierung der architektonischen Formen, werden neue funktionale und konstruktive Aufgaben gelöst. Zu den Bauten dieser Periode gehören der Sport-Konzert-Komplex, mit einer sehr interessanten Konstruktion, in der zwei Paar x-artig aufgebaute, bogenförmige Stützen das Dach der Säle tragen, der Flughafen Zvartnots, mit seiner effektvollen räumlichen Gestaltung, dem hufeisenförmigen Korpus des Wartesaals und dem zentralen Wachturm mit den Diensträumen – sowie besonders zu erwähnen: das Stadion «Hrazdan», beeindruckend in der Schönheit und dem eigenen Charakter vor dem malerischen Bild der Schlucht des Flusses.

Das 21. Jahrhundert stellt Jerewan vor wichtige städtebauliche Aufgaben mit der weiteren Umstrukturierung der Stadt, dem Bau neuer Hauptstraßen, der Gestaltung der Plätze und der Organisation der stadträumlichen Strukturen.

Marietta Gasparian ist Professorin an der State University of Architekture and Construction, Center of Historical and Cultural Heritage, Yerewan, Armenien.
Dieser Artikel erschien 2004 in einer längeren Version im Trialog Journal.

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