«Damals hatte meine Mutter noch Freude an mir», schrieb Roger Levy 1966 in einem Schulaufsatz. Heute macht er KulturTV, den Blog, auf dem er mal im Taxi, mal im Schaufenster Kuratorinnen, Aktivisten und andere Kunstschaffende portraitiert. Daniel Boos führte mit ihm ein, ja genau, Stichwortgespräch.

Blogs bieten jedem die Möglichkeit, in einer Öffentlichkeit über etwas zu berichten. Neben viel Redundantem sind so auch einige thematische Blogs entstanden, welche traditionelleren Berichterstattungen durchaus ebenbürtig sind. Eines der Blogs im Kulturbereich ist das von Levy initiierte KulturTV. Roger Levy filmt, seit er 1969 ein Portrait des Kunstmalers Willi Keller mit Super8 aufgezeichnet hat, Gespräche rund um Kunst, Kultur und Medien. Befragt werden die Kunstschaffenden, KuratorInnen, Aktivistinnen, KulturvertreterInnen und anderen Kunstinteressierten gerne mittels Stichworten. Zum Beispiel so:

Daniel Boos: Stichwort: Reichweite
Roger Levy: Das hat für mich eine doppelte Bedeutung. Reich, erreichen. Ich erreiche gewisse Leute. Wieviele ist mir egal. Lieber 50 Leute, die das ganze Video ansehen, als 20’000 Leute, die nach 15 Sekunden wegklicken. Die Weite des Netzes interessiert mich nicht. Wen erreiche ich? Das ist das Spannende, denn es variert je nach Material.

Stichwortgespräche sind ein beliebtes Format bei dir. Was macht Stichwortgespräche so interessant?
Ich möchte meinen Gesprächspartnern einen möglichst breiten Raum bieten. Stichwortgespräche entstehen, indem ich jemanden, der den zu Interviewenden gut kennt, frage, welche Stichworte er gerne von ihm beantwortet hätte. Mit fünf Stichworten, die nicht von mir sind, komme ich dann beim zu Interviewenden an. Ich vermittle – und so habe ich schon zwei Besucher des Videos garantiert: Der Stichwortgeber, den die Antworten interessieren, sowie der Antworter, der im Abspann herausfinden kann, wer die Stichworte geliefert hat. Der Antwortende kann sich Zeit lassen und überlegen. Wenn es eine Stunde geht, dann geht es eine Stunde. Es gibt lange und kurze Antworten. Manchmal spricht einer 15 Minuten über ein Stichwort. Zum Beispiel George Gittoes, ein weltweit bekannter Künstler und Dokumentarfilmer. Er sass in seiner selber gestalteten Holzbox in einer Berner Galerie und ich musste aus jedem Stichwort ein eigenes Video machen. Ich habe gemerkt, dass ich auf diesem Weg an persönliche Informationen gelange, was mit Recherchieren nicht möglich gewesen wäre. Auch ist es weniger interessant, wenn der Fragesteller nur Fragen stellt, deren Antwort er kennt und sich im Gespräch nur seine gründliche Recherche bestätigen lässt. Durch die Stichworte komme ich zu Informationen, die ich im Vornherein nicht kannte, was es auch für mich umso spannender macht.

Deine Beiträge sind alle im Internet und unter einer Creative Commons Lizenz, das heisst die Werke können von anderen genutzt werden. Weshalb machst du das und was sind deine Erfahrungen damit?
Ich will keine Einschränkungen machen. Menschen schenken mir ihre Zeit, indem sie ansehen, was ich verbreite. Es wäre arrogant ihnen vorzuschreiben, dass sie es zwar ansehen, aber nichts daraus machen dürfen. Ich bin froh, dass es Creative Commons gibt. Wenn jemand meine Werke sieht und etwas daraus machen will, dann soll er die Möglichkeit haben – ohne bürokratische Hürden. Das kommt aus meinen eigenen Erfahrungen. Ich habe auch schon etwas entdeckt und wollte dann gleich etwas damit machen. Wenn ich aber Tage oder Monate zur Klärung brauche, dann weiss ich oft gar nicht mehr, was ich damit wollte. Das ist so bei künstlerischem Arbeiten.
Ich mache jeweils meine Partner auf Creative Commons aufmerksam. Die meisten kennen es nicht; andere sind überrascht, einige positiv, einige auch negativ. Es besteht oft eine Angst, dass ein Werk entfremdet werden könnte. Darin besteht sicher eine gewisse Gefahr, aber wenn das jemand will, macht er sowieso – egal unter welcher Lizenz das Werk steht.

Vor kurzem hast du eine Serie von Gesprächen rund um Urheberrechte aufgenommen, im Auftrag von Suisseculture (Dachverband professioneller Kultur- und Medienschaffender). Was fällt dir bei den Diskussionen auf?
Sie rennen etwas nach, das längst überholt ist, und das in der Form, wie es im Gesetz vorgegeben ist, nicht mehr realisierbar ist. Am meisten stört mich, dass keine konstruktiven Vorschläge kommen. Im Prinzip will man das Bestehende einbetonieren und ist an Veränderungen nicht interessiert. So merkt man gar nicht, dass man längst von der Realität abgerückt ist. Man kann zwar noch Gesetze erlassen, Nutzer kriminalisieren, Warnung auf dem Bildschirm fordern usw. Aber dem User geht das am Arsch vorbei.
Die Krux liegt an einem anderen Ort. Jeder Künstler, jede Künstlerin, jede Kulturschaffende muss sich bewusst werden, dass er oder sie nicht einen geschützten Arbeitsplatz hat, sondern ein Kleinunternehmer ist. Gewisse Künstler gehen ja bereits soweit, dass sie die Arbeiten nicht mehr selber machen, sondern nur das Konzept dazu liefern. KünstlerInnen müssen Unternehmer sein. Das heisst, sie müssen wegkommen vom Zufallsprinzip, von: entweder bezahlt der Staat oder eine Stiftung oder sonst wer, und wenn nicht, ist dumm gelaufen. Kunstschaffende müssen unternehmerisch handeln. Sie sollen das Projekt im Voraus finanzieren können. Dazu gehört auch, dass die Lebenshaltungskosten und alle anderen Kosten einberechnet werden. Man muss sehen, dass man Folgeaufträge hat und das Ganze an ein Publikum gebracht wird. Nur so ist man ein seriöser Unternehmer. Das Ganze muss umgestaltet werden. Dazu braucht es die Verwertungsgesellschaften nicht. Jede Arbeit, die man macht, ist bezahlt.
KulturTV ist eine Informationsquelle für Kunst in der Schweiz. Auch Dock18 hat dort einige Künstler entdeckt, die später eingeladen wurden. Wie findest du die Künstler? Was entsteht daraus?

Ich bewege mich meistens am Rande von Szenen. Da finden die Bewegungen und Entdeckungen statt. Der Rand hat aber das Problem, dass er dauernd ins Zentrum gedrückt wird. Ich muss also Acht geben, dass ich am Rand bleibe und von dort aus darüber berichte.
Das ursprüngliche Ziel von KulturTV war, ein Netzwerk zu bilden. Es ging darum, Künstler zusammenzuführen mit der Idee, dass diese irgendwann etwas gemeinsam machen. Ich bin eigentlich nur der Vermittler. Sehr gerührt hat mich, als letzten Dezember zu meinen Ehren in Göschenen ein Fest organisiert wurde, ein Blind Date. Als ich gesehen habe, wer alles eingeladen worden war, war für mich der Moment erreicht, wo ich hätte aufhören können. Die Leute haben zusammen gearbeitet, ohne mich.

Wir danken für das Gespräch und hoffen, dass trotz der gelungenen Vernetzung weiterhin Beiträge auf KulturTV erscheinen werden. Am 6. Dezember führt Roger Levy im Dock18 Sand-Ur-Gespräche.

Die Medienkulturgespräche sind eine Reihe des Dock18 Institut für Medienkulturen der Welt. Daniel Boos und Mario Purkathofer recherchieren monatlich aktuelle Themen der neuen Medien und sprechen mit betroffenen Menschen auf verschiedenen Kanälen.
Roger Levy, geboren am 23. Februar 1952 in Zürich, betreibt KulturTV seit 2004. Unter folgendem Link finden sich Informationen zu kulturTV's Anfängen, Levys erstem Drehbuch von 1967, seinem aktuellen Spielfilm, sowie dem Höhepunkt seiner DJ-Karriere. Weitere Infos zu Roger Levy und KulturTV: www.kulturtv.ch

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