Sizilien im Winter. Auf der Fähre nach Stromboli trifft der Erzähler einen mysteriösen Amerikaner und eine Frau, die er wegen ihrer ikonischen Sonnenbrille Lolita nennt. Nachts erreichen sie die Insel, schon ziemlich betrunken, und wandern umher. Bis der Amerikaner einen Gullydeckel hebt und sie runter in die Finsternis steigen.

Es wurde immer verrückter. Bald war der Gang breiter geworden, gelbe Notlämpchen gestalteten den Weg ganz angenehm. – Wenn es sich dabei nun um einen Notausgang handeln sollte, fragte ich mich leise, wieso gehen wir ihn in entgegengesetzter Richtung? Obwohl es offenbar ein einziger, fast gerade verlaufender Tunnel war, der keine Abzweigungen besass, musste ich jetzt immerzu daran denken wie man sich in einem Labyrinth verliert, diesen Prozess des Verloren-Gehens, also dass man sich erst einmal in einem Irrtumssystem dergestalt nicht zurecht gefunden haben muss, um überhaupt darauf zu kommen!, dass es eins ist. Also zu wissen was man tut, und folglich, nicht zu wissen was man tut. Ich hingegen wusste nur was ich tat, und nicht, was ich nicht tat. Darin bestand ein nicht unerheblicher Unterschied, logisch UND ontologisch. – Lolita meldete sich, meinte, sie müsse kotzen, bei diesem Auf und Ab würde ihr generell leicht übel. Bevor wir ihr jegliche Hilfe anbieten konnten, hatte sie sich jäh abgekehrt, den linken Zeigefinger in den Hals gesteckt und einen plätschernden Guss gegen die Wand gespien. Es roch scharf, beizend fast. Daraufhin atmete sie einmal tief aus, richtete sich die Haare mit der Rechten und trank drei Mal kräftig aus der halbleeren Flasche, schmiss sich einen Kaugummi und weiter ging’s. – Vor einem fetten runden Schleusentor, das nach Evakuation oder Quarantäne aussah, das ein Bullauge hatte, das grün leuchtete, faselte der Amerikaner, unser Ortskundiger: Irgendwas, Unverständliches, heillosen Bullshit. Ich hörte gar nicht hin. Dann kurbelte er am Rad und wuchtete das Tor nicht ohne Mühe auf. Wir traten ein, es war geradezu faszinierend, so etwas hatte ich zuvor nicht gesehen. An einer Schaltzentrale mit vielen Bildschirmen, unzähligen Anzeigen mit Reglern und Knöpfen, fläzte sich der Amerikaner sogleich in einen Bürostuhl, der an den Seiten der Polsterung arg abgewetzt war. Er klapperte auf einer schmutzigweissen Tastatur herum, klickte ein wenig mit der Maus hin und her und es spielte sogleich eine YouTube Playlist ab, deren Lieder schmetternd und samtig aus einer wirklich ausgezeichneten Soundanlage zu uns hernieder in den grossen Raum flossen. Die Wände waren grob behauen und so belassen, das machte es insgesamt ziemlich gemütlich, aber auch die Sitzgelegenheiten luden unumwunden zum Entspannen ein. Ich konnte mich nicht entschliessen, ob es mehr Hobbykeller oder mehr Wohnzimmer war. Die Mikrowelle neben der Schaltzentrale sowie die okaye Unaufgeräumtheit sprachen für ersteres. Die Dekorationsgegenstände, Amphoren vom Typ Milazzo, rote Teppiche, sowie die ausgesuchten Möbel fürs Zweite. Als Lolita dann aber nach dem Bad fragte und der Gastgeber sich entschuldigte, uns im Vorfeld nicht Kniggegerecht, er sagte echt Kniggegerecht!, unterrichtet zu haben – uns folglich sofort nach Drinks und Snacks fragte, und sich nach dem Auskunft-geben ab in die Küche machte, schwante mir alsbald das absurde Ausmass dieser Ferienwohnung. Ich blieb vorerst einmal sitzen, das Sofa hatte mich gut im Griff. Ein physisches Wohlergehen begann sich von meinem Steissbein aus über die Wirbelsäule nach oben hin auszubreiten. Ich glaube, ich war gelassener als ich hätte sein sollen. Aus der Küche hörte ich Geräusche, Gläser die hervorgeholt wurden, das klappende Aufmachen einer relativ grossen Kühlschranktüre, dann das sirrende Eisfach, klacksende Eiswürfel, all die guten alten Geräusche. Der Auftakt zu einem Ausschank. Ferner, kaum hörbar, die Duschbrause. Ich murkste ein wenig herum. Um nicht ungeduldig zu werden, schaute ich. Drüben, hinter einem zur Felsenwand gerückten Ledersofa ragte ein hölzernes Stuhlbein oder etwas ähnliches hervor, etwas mit einer Rolle untenan, die ganz leicht wippte, in meine Richtung, ja, als winkte sie MIR zu. Ich setzte mich also auf, legte die Hände hinter die Hüfte und tat so als würde ich mich ehrlich interessiert umsehen, das gesellschaftlich akzeptierte Schnüffeln also. Ich durchmass recht flott den Raum bis ich beim gegenüberliegenden Sofa angelangt war, beugte mich nun oben über und lugte dahinter in den Spalt. Da lag ein umgestürzter Globus, lose in einer Verankerung einer zerborstenen Anrichte. Teile der Kugel waren abgesplittert und lagen wüst zusammengekehrt ringsum, auch die Elemente des Holzgerüstes waren bis auf ein Bein und die Hauptrahmung komplett dahin. Die Rolle am Beinende rotierte jetzt abnormal schnell. Ich stutzte. – Psst!, der Globus tat sich auf wie ein Visier, gerade einen spaltbreit. Ich kniete mich auf das Sofa, streckte meinen Rumpf ins Dunkel, und wollte die Kugel ganz aufschieben, da schnappte sie zusammen, klapp, und bewegte sich kein Stück mehr wie eine Auster. – Was!?, keifte ich. Der Globus tat sich wieder auf, schüchtern, nur ein wenig, zwei aufleuchtende weisse Punkte erschienen darin; ich zuckte gar nicht zusammen, sie erinnerten mich an Augen von Comicfiguren. – Hol mich hier raus! Ich bin in Gefahr. Der Typ ist ein Psychopath. Ich vernahm jetzt Schritte, leise sprang ich zum Schaltpult hinüber, griff zur Maus und scrollte die Playlist ab, las die Titel wirklich, und dachte mir was dabei, nicht dass es nur so aussah. Ich tat beschäftigt und gab mich leicht gelangweilt. Erst als es augenblicklich klirrte, ein Glas war an ein anderes gestossen, drehte ich meinen Kopf …; es sah sicher ganz geschauspielert aus. Der Amerikaner kam also mit einem vollen Tablett herein, sichtlich angestrengt wie ein Kellner, der noch nie gekellnert hat. Ich stand auf und kam ihm entgegen, er liess sich gern helfen. Nein, er konnte keinen Verdacht geschöpft haben. Nur…, welchen Verdacht hatte ich geschöpft?

Man konnte sich selbst etwas mischen, das taten wir und nippten daran. Ich hatte mich auf den Bürosessel verpflanzt und rollte ein bisschen unentschieden zwischen Hin und Her. – Ich fragte ihn also, wieso er eigentlich keine Minibar hätte, was in so einem Raum ja megagut hineinpassen würde. Eine Minibar müsste immer mindestens mit allem halbvoll sein, sagte er. Eine solide Antwort. Und dafür bin ich nicht oft genug hier. Die Erklärung war schon zu viel. Da war etwas faul. – Jetzt kam Lolita zurück, sie hatte sich umgezogen und sah auch sonst ganz verwandelt aus. Ihr Rücksäckchen stellte sie auf den Boden zum Sofa. Die nassen Haare waren in ein hellblaues Frotteehandtuch geschlagen. Sie hatte Brillen gewechselt. Trug nun grüne, runde, die wie Gurkenscheiben aussahen. Jetzt fehlte nur noch der Bademantel, dachte ich, aber sie hatte ein schlichtes schwarzes Seidenkleid mit Spaghettiträgern angezogen und ein weisses T-Shirt darunter. Das sind Abendbrillen, sagte sie, über unser Erstaunen im Klaren. (Oder eher Nachtsichtbrillen), dachte ich. Sie wusste echt fucking alles, dachte ich; dachte aber schnell etwas anderes, Strand mit Palmen, Palmen mit Kokosnüssen… nicht, dass sie mir mit ihren Gurkenbrillen noch ins Gehirn sieht und auch das noch weis. – Sie mischte sich einen Cosmopolitan, dann baute sie einen dicken Joint. Der Amerikaner trank irgendwas braunes, mit Milch und Kaffee, ein pervertierter White Russian vielleicht; er sah schon selig und etwas blöde aus. Ich blieb beim Klaren, obschon dieser ein ganzes Stück besser war als unsere vorige Wegzehrung. Wir führten wieder ein gutes, recht ernstliches Gespräch. Beinahe hätte ich meine Koinzidenz mit dem zerbrochenen Globus vergessen. Es fiel mir wieder ein wie ich ins Bad ging. – Als ich zurückkam, die troffen Haare nach hinten, klar im Geist vom guten Vodi und dem kalten Wasser, in das ich mein vertrocknetes Face getaucht hatte, legte ich los. Sie bemerkten meine neue Frische sofort. Ich begann mit meinem Plan und bat den Hausherren um eine Führung; Lolita fand, das wäre eine super Idee; er hatte keine andere Wahl.

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