Morgen werde ich die Swisscom anrufen. Beim Wählen der Nummer werde ich mir sehr viel Zeit lassen und mich gedanklich auf die Musik vorbereiten, die mich in der Warteschlaufe malträtieren wird. Manchmal schweift man sehr lange in der Warteschlaufe umher. So lange, dass man vergisst, dass man sich überhaupt in eben dieser Warteschlaufe befindet. So lange, dass man längst gleichzeitig anderes am erledigen ist und das Gedüdel am heissen Ohr als realen Teil der menschlichen Existenz akzeptiert hat.

Ich rufe die Swisscom seit zwei Jahren immer wieder an, denn seit ich bei ihr sämtliche Abos gekündigt habe, schickt sie mir Geisterrechnungen. Die Geisterrechnungen erreichen mich einmal pro Monat und weisen immer einen Betrag von neun oder achtzehn Franken auf. Ich rufe die Swisscom alle paar Monate an und erkläre, dass ich vor mittlerweile zwei Jahren sämtliche Abos gekündigt habe. Die Menschen, die meine Anrufe am anderen Ende entgegennehmen, schenken mir jeweils zuerst keinen Glauben und sagen dann, dass sie die Rechnungen an mich storniert hätten. Im nächsten Monat bekomme ich dann wieder eine Geisterrechnung.

Als ich die Swisscom deshalb vor vier Monaten wieder einmal angerufen hatte, brach ich immer wieder in Lachen aus, da die Situation doch sehr absurd ist. Meine Befürchtung ist, dass ich, wenn ich morgen wieder anrufe, wieder lachen muss. Was natürlich nicht zu meinen Gunsten ist und meiner Sache sicher nicht hilft. Aber was tun, wenn eine Firma so lachhaft langsam ist? Ein Beispiel: Meine Mutter arbeitete während achtzehn Jahren zu hundert Prozent als Sekretärin bei der Swisscom. Nicht, weil sie so ihren Lifedream erfüllen oder ihrer Berufung folgen konnte, sondern schlicht, um mich und meinen Bruder zu ernähren und uns ein Studium zu ermöglichen. Nach siebzehn Jahren erfuhr sie per Zufall, dass ein Arbeitskollege von ihr, mit derselben Ausbildung und ein paar Jahre jünger, in der Firmenhierarchie ein wenig unter ihr stehend, aber etwa zur gleichen Zeit wie sie eingestellt worden, nun, dass dieser Kollege jeden Monat 1200 Franken mehr Lohn bekam als sie. Als sie das erfuhr, versuchte sie 1200 mal 17 Jahre zu rechnen, aber sie musste abbrechen, weil sich in ihrem Hirn eine mögliche Parallelvergangenheit aufzutun begann, mit Ferien einmal pro Jahr, Fremdsprachenaufenthalten für die Kinder und anderem Luxus. Ihr wurde schlecht und sie beschloss, dass sie diese Rechnung nie zu Ende rechnen würde.

Als sie ihren Chef nach einer Begründung fragte, erklärte dieser die Situation damit, dass ihr Kollege Kinder habe. Damals, als sie beide eingestellt wurden (um 2000 herum), sei es normal gewesen, dass ein Mann mit Kindern in eine höhere Lohnklasse komme als eine Frau mit Kindern. Das nun auszugleichen sei leider nicht möglich. Die Swisscom würde es nicht verkraften, sämtliche Frauen ihren Mitarbeitern finanziell gleichzustellen, und die Löhne der Männer runterzuschrauben, das gehe ja auch nicht. Nach diesem Gespräch war die Swisscom dann aber für einmal erstaunlich schnell und schaffte es, meiner Mutter innert kürzester Zeit zu kündigen. So konnte die Swisscom den Lohn einer fast sechzigjährigen Sekretärin einsparen, die sowieso viel weniger als ihre männlichen Kollegen verdient, was ihnen hoffentlich helfen wird, dynamischer zu werden.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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