In Schweizer Einkaufszentren ist immer etwas los, in Schweizer Einkaufszentren würde der Bär steppen, wäre das nicht offiziell Tierquälerei und deshalb verboten. Stattdessen lassen sie sich einiges an anderen Highlights einfallen, um ihre Kundschaft – gemäss neuesten Erhebungen immerhin eine mit durchschnittlich fünfhunderttausend Schweizer Franken an Erspartem auf dem Konto (!?)1 – zu überzeugen und zu begeistern. Obwohl mein Konto momentan null Franken und null Erspartes aufweist,2 und obwohl ich mich zu der in der Schweiz offensichtlich exotischen Gruppe der Armen zählen kann, darf ich mich trotzdem, und das ganz umsonst, an der hiesigen Einkaufseventkultur ergötzen. Wofür ich sehr dankbar bin. Unvergessen blieb mir etwa die Deutschschweizer Sandburgenchallenge, ein eigentlicher Grossevent, der auf ein Sandquadrat von fünf auf fünf Meter gequetscht und anschliessend zwischen den Glasschiebetüren von PKZ und Mango eingepfercht wurde. Oder die Glasmurmel Europameisterschaften, ein ähnlich grosses Eventquadrat voller ambitioniert murmelnder Männer jenseits der vierzig, welche zwischen den Eingängen von Beldona und Dropa Drogerie durchgeführt wurde. Gerade Drogerien und Apotheken scheuen den Partycharakter zur Kundschaftsgewinnung nicht: Letzten Sommer etwa bot die Helvetiaplatz-Apotheke während dem Caliente Festival als Spezialevent ein Caliente-Glücksrad an. Wer gerade seine Neuroleptika bezogen, seine Dosis Antabus eingenommen oder Herrenbinden in XL gekauft hatte, durfte danach an einem bunten Kartonrad drehen und tolle Sommeraccessoires oder auch einen Rabattgutschein gewinnen. Die Angestellten waren passend dazu farbenfroh angezogen.

Während die Gutverdienenden unserer Bevölkerung unverständlicherweise wenig beeindruckt von solchen Einkaufsevents sind, geniesse ich alles, was gratis ist und mich beim Einkaufen vom Einkaufen fernhält. Einer alten Tradition folgend bin ich einst, auf der Suche nach Arbeit und Kultur, vom Land in die Stadt gezogen. Wie so viele vor mir wurde ich, was die Arbeit betrifft, enttäuscht. Aber die Eventkultur hier, die übertrifft alle Erwartungen. Im Dorf, aus dem ich stamme, gab es zwar einen Volg, aber der machte nie spezielle Anlässe. Das einzig spezielle war, dass es ihn noch gab. Es gab auch eine Käserei. Als ich in der achten Klasse war, wurde sie verkauft und von einem Paar, sie war Schweizerin und er Türke, übernommen. Obwohl beide eine Käserausbildung hatten und verheiratet waren, wurden wir im Hauswirtschaftsunterricht von da an zum Einkaufen nicht mehr in die Chäsi, sondern nur noch zum Volg geschickt. Auf die Frage warum, antwortete die Hauswirtschaftslehrerin: «Wüus hie ke Chäsi meh git.3» Als ich sie antirassistisch klugscheisserisch darauf hinweisen wollte, dass es sehr wohl noch eine Käserei in unserem schönen Dorf gäbe, sagte sie: «Hör uf u gang i Voug». Was ich tat. Auf dem Weg dorthin sah ich, wie ein Bauer laut fluchend Krähen vom Himmel schoss. Das war aber kein Event, das war normal.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.
1 IBAN CH38 0079 0042 3956 1805 9, vielen Dank. 2 IBAN CH38 0079 0042 3956 1805 9, vielen Dank. 3 Das Dorf befindet sich im Kanton Bern, deshalb der komische Dialekt.

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