Als einen Veranstaltungspunkt innerhalb eines reichen kulturellen Programms der so genannten Thearena Aktionshalle Zürich des Schweizerischen Werkbundes fand am 4. Dezember 1976 in der Roten Fabrik auch eine SWB-Informationstagung statt. Nicht ohne Grund fiel die Wahl für die «kritische Auseinandersetzung mit Problemen der Kulturförderung» auf diese Lokalität in der Stadt Zürich. Denn im Jahr darauf befand das Zürcher Stimmvolk über eine von der Sozialistischen Partei lancierten Volksabstimmung, mit der dem Stadtrat der Auftrag erteilt wurde, «eine Vorlage zur Nutzung der Roten Fabrik als Kultur- und Freizeitzentrum auszuarbeiten». Die Thearena-Wochen waren erfolgreiche «Funktionsproben» eines solchen kulturellen Programms und fungierten vor der Abstimmung als Werbeträger für die sinnvolle Kulturförderung und finanzielle Unterstützung eines zukünftigen Kulturzentrums.
Es sollte noch bis zu einer zweiten Abstimmung 1987 dauern – die so genannten Opernhauskrawalle Anfang der 1980er-Jahre machten die Forderung nach einem solchen Kulturzentrum nochmals deutlich –, bis die Stadt neben der arrivierten Kultur wie dem Opern- oder Schauspielhaus alternative Projekte und Orte fördern wollte und der Betrieb des Kulturzentrums definitiv aufgenommen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war der SWB allerdings nicht mehr unter den Gruppierungen, die in die Fabrik einzogen. Er hatte sich vielmehr im Vorfeld des weit über Zürich hinaus strahlenden beispielhaften Umnutzungsprojekts mit den Thearena-Wochen für diesen Ort alternativen Kultur-Engagements eingesetzt.

In den 1960er-Jahren fanden zwei Wettbewerbe zu Neubauten für die beiden grossen Zürcher Theater statt. Trotz bekannten Preisträgern – William Dunkel für das Opernhaus direkt am See und Jørn Utzon für das Schauspielhaus an ebenfalls zentraler Lage etwas erhöht am Heimplatz – wurden die Projekte nie realisiert. Da auch noch Anfang der 1970er-Jahren die «Probleme rund um die Zürcher Bühnen einer kulturpolitischen und urbanistischen Gesamtproblematik» zuzuordnen waren, stellte der Filmemacher Alexander J. Seiler im Auftrag der Ortsgruppe Zürich 1970 eine Arbeitsgruppe zusammen, die sich mit der Situation des Zürcher Theaters auseinandersetzen wollte. Es war dann der Kunsthistoriker und Theaterfachmann, selber Dramaturg, Regisseur, Theaterdirektor und SWB-Mitglied, Hans Curjel, der kurz darauf in einem Aufsatz in einer den Zürcher Theaterproblemen gewidmeten Ausgabe eines Heftes der SWB Schriftenreihe passende Räume für ein der Zeit gemässes Theater forderte. Das Theater sei «längst nicht mehr das Vorrecht der sogenannten Gebildeten», stellte der über siebzigjährige Curjel fest: «Theater ist nicht mehr ‹Darbietung›, sondern Konfrontation eines Konglomerates verschiedenster Menschen mit dramatischer Poesie, dramatischer Dokumentation, dramatischen Denk-, Frage-, und Aktionsereignissen, dramatischer Abstraktion, in Sichtbarkeit gebrachten automatischen psychischen Vorgängen. Der Theaterraum ist nicht mehr Festraum, sondern ein Denk- und Beziehungsraum.» An Stelle zwei grosser neuer Theaterbauten plädiert Curjel für eine kostengünstige Renovation der bestehenden Gebäude und fordert zusätzlich eine Art «offenes Theater», wie es damals bei Gastspielen mit kurzerhand («elastisch») angepassten Räumen der Züspa-Hallen und der Reithalle auf dem Kasernen-Areal ausprobiert worden ist. Was Zürich fehle, sei ein «Werkraumtheater für Experimente» – eine flexibel nutzbare Hülle. Bezug nehmend auf den «völlig freien Multi-Media-Raum», den der Engländer Cedric Price für die bekannte britische Theater- und Filmregisseurin und Gründerin des Theater of Action, Joan Littlewood, entworfen hat, und der unter der Bezeichnung Fun Palace bekannt wurde, schlägt Curjel für Zürich den Bau einer «Aktionshalle» vor.
Es war ein willkommener Zufall, dass im selben Jahr der Veröffentlichung der SWB-Broschüre Zürcher Theaterprobleme, die Stadt Zürich die ehemalige mechanische Seidenweberei Henneberg der damaligen Besitzerin, der Standard Telefon und Radio, abkaufte. Eigentlich sollte der Gebäudekomplex am linken Zürichseeufer abgerissen werden, um die Seestrasse verbreitern und einen Seeuferweg realisieren zu können. Die Rote Fabrik mit ihrem Stützensystem und der dadurch frei gestaltbaren Raumeinteilung bot aber genau jene flexible und grosszügige Struktur, die die von Curjel vorgeschlagene «Aktionshalle» haben musste.
An der Orientierungsveranstaltung im Kammertheater Stok vom 26. November 1973 informierte der SWB über das Projekt Thearena Aktionshalle Zürich und stellte die das Thema bearbeitende Studiengruppe vor. Neben Curjel, der kurz darauf verstarb, gehörten Peter F. Althaus, Jürg P. Branschi, Dona Dejaco, Remo G. Galli, Manuel Pauli, Lisbeth Sachs, Christoph Vitali (Delegierter der Stadtverwaltung), Paul Wehrli und Manfred Züfle dazu. An der Veranstaltung informierte Althaus über Aktionen der Kunsthalle Basel und Werner Ruhnau vom Deutschen Werkbund referierte über die Spielstrasse in München, ein während der Olympiade 1972 realisiertes Projekt eines flexibel bespielbaren Aktionsraums.
Bereits im nächsten Sommer konnte mit den ersten Thearena-Wochen ein Experiment in diese Richtung gestartet werden. Vom 24. August bis zum 7. September 1974 war deswegen auf dem Schiffländeplatz an der Limmat ein Zelt aufgestellt worden. Mit «konkrete[n] Produktionen» wurde versucht «auf neuen Wegen Kulturvermittlung zu leisten». Vor allem das spontane und direkte Mitwirken und die Konfrontation mit ungewohnten Erfahrungen standen methodisch im Zentrum. Das Programm deckte die gesamte kulturelle Bandbreite ab, von Musik, Poesie, Theater, Spiel über die bildende Kunst – sogar bis zum gemeinsamen Backen, einem Karneval und einem Schlussfest. Viele Künstler wie Hans Fischli, Hanni Fries, Richard P. Lohse oder Schriftsteller wie Franz Hohler, die Gruppe Olten und Adolf Muschg übernahmen einen Workshop, Schulklassen und Studenten der Kunstschule F + F wurden in die kostenlose Vorstellungen und Aktion eingebunden. Darüber hinaus wurden jeden Tag «kritische Stadtführungen» angeboten, an denen die Führenden die «Teilnehmer mit Problemen, Tücken und Sünden der Stadtplanung konfrontier[ten]».
Die Leitung der gesamten Thearena oblag Remo G. Galli. Die Grafikerin Ursula Hiestand gestaltete das Signet in der Art eines Stempels oder ähnlich Verkehrstafeln. Auf jeden Fall macht das eingängige Logo ganz direkt und auf allen Broschüren, Flugblättern und Plakaten angebracht unprätentiös auf die Veranstaltungen aufmerksam. Die Veranstaltungen waren durchwegs gut besucht und fanden in der Presse ein grosses Echo. Der «kulturelle[n] Jahrmarktstimmung» (Tages Anzeiger) wurde im Allgemeinen Wohlwollen entgegengebracht, und der prozesshafte, bisweilen auch unprofessionelle Charakter wurde durchaus als Teil eines grösseren Experiments verstanden.
Die zweiten Thearena-Wochen fanden ein Jahr darauf zur selben Zeit statt und waren ein grosser Erfolg. Wieder in Zelten untergebracht, bespielten sie diesmal den Münsterhof. Für das dritte und letzte Mal unter der Obhut der Zürcher Ortsgruppe des SWB wurden gleich über mehrere Monate Veranstaltungen geplant und während der Zeit vom März bis Mai 1976 und weiteren Anlässen durchs Jahr die Rote Fabrik in Beschlag genommen. Nun wurde Curjels Konzept einer Aktionshalle für Zürich tatsächlich Realität. 1978 fanden dann die vierten Thearena-Wochen erneut in der Roten Fabrik statt. Allerdings war der SWB dabei nur noch Kollektivmitglied des Vereins, der nun von Galli, Hiestand und Peter W. Gygax geführt wurde. Der Werkbund hatte sich zurückgezogen weil eine Weiterführung unter seiner Führung «zuviele Kräfte auf längere Sicht» gebunden hätte. Schliesslich war das Ziel ja erreicht worden, mit der ersten bis zur dritten Thearena konnten «Experimente alternativer Kulturvermittlung» erprobt werden. 1979 wurden dann die letzten Thearena-Wochen wieder auf dem Münsterplatz abgehalten. Seit der erfolgreichen Abstimmung von 1977 für ein Kulturzentrum war unter diversen Organisationen ein «ordentliches Gerangel» entstanden, was nicht im Sinne der Betreiber von Thearena war.
Die Aktionen Thearena Aktionshalle Zürich waren eigenwillige und in ihrer Art für Zürich originäre Veranstaltungen, mit denen die Ortsgruppe, aber auch der gesamtschweizerische Werkbund eine öffentlich-wirksame Plattform der Vermittlung und Präsentation von Kunst und Kultur erhielt. Sie waren zudem ein probates Mittel, Brücken zwischen klassischer, alternativer und Volkskultur zu schlagen.

Der Kunsthistoriker Thomas Gnägi war von 2005 bis 2010 am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich in der Forschung zu Städtebautheorien und städtischen Utopien des 19. Jahrhunderts tätig und ist heute für die Leitung des Schloss Werdenberg verantwortlich.
Der vorliegende Text wurde für die Publikation «Gestaltung Werk Gesellschaft – 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB» verfasst, die 2013 im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen ist.

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