Seit Kochen nicht mehr das ist, was Mutter am besten kann, seit Kochen mehr ist als ein Hobby, seit es eine abgehobene Kunstform vor allem auch für Männer ist, ist für die Praktizierenden dieses neuen Lebensstils der alltägliche Nahrungskauf zu einem Abenteuer der Sinne geworden.

Betritt der zeitgenössische Gourmet ein geläufiges Lebensmittelgeschäft, z.B. den Coop Wiedikon, tut er dies nie uninspiriert. Bereits auf der Rolltreppe spreizt er seine Nüstern und spätestens ab dem ersten Früchte- und Gemüseregal kennt er kein Halten mehr. Sich in einer orientalischen oder mindestens mediterranen Markthalle wähnend, schnuppert er an Randen, klopft auf Melonen, lauscht an Kohlraben und lässt seine Nasenhaare sachte über Aprikosen gleiten. Für den zeitgenössischen Gourmet ist Essen einzukaufen ein sinnliches Erlebnis, welches er mit dem ganzen Körper erfahren will. Seine Vorbilder Yotam Ottolenghi und Jamie Oliver machen es schliesslich nicht anders, nachdem sie den Verkäufer hinter dem Gemüsestand per Handschlag begrüsst haben.

Auf der Suche nach dem ultimativen Geschmackserlebnis geht der zeitgenössische Gourmet unkonventionelle Wege, denn er ist ein kreativer Mensch. Und doch bodenständig: Das Wichtigste ist ihm, dass die Produkte frisch und regional sind. Verständlich also, dass er nachts im Schlaf aufschreit vor Freude, weil er gerade geträumt hat, dass er von einem Biofleischbauern kollegial auf die Schultern geklopft wurde. Ein Schulterklopfen unter Brüdern mit Sinn für Qualität. Qualität ist momentan nicht nur in, sondern auch wichtig. In Zeiten, da hungrige Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken oder in zerbombten Städten verenden, in solchen Zeiten ist Qualität, wenn man im Globus Delicatessa 5 Franken für ein Bürli bezahlt. 5 Franken, die gut angelegt sind, denn nicht nur hat der Bauer (Urs Erni aus Mettmenstetten) den Boden vor der Aussaat mit Globuli behandelt, auch der Müller (Roland Frick aus Meilen) mahlt in der Tradition einer vor hundert Jahren ausgestorbenen Mahlart aus dem hinteren Mendrisiotto. Er war bis vor wenigen Jahren noch erfolgreicher Werbetexter, bis er sich an seine Wurzeln erinnerte, nämlich wie seine Grossmutter selber Brot gebacken hatte, was ihm eine enorme Erdung verschaffte und daraufhin hat er eine alte Mühle bei Meilen gekauft, mit einer lokalen Firma nachhaltig renoviert und seine Firma «Aufs Korn» gegründet.

Das alles erzählt uns ein zeitgenössicher Gourmet im Fernsehen, denn er macht mit bei SRF bi de Lüt-Mannechuchi und lässt sich so beim sinnlichen Einkauf eben dieses Bürlis filmen.

Das alles wird von Fritz Näf aus Rüti mit Staunen betrachtet, als er nach einem anstrengenden Tag im Stall und auf dem Hof vor dem Fernseher Znacht isst. Es gibt aufgewärmte Hörnli von gestern mit Apfelmus aus der Dose und Cervelat vom Denner, von seiner Frau liebevoll zu einem Menu zusammengekocht. Er selber kocht nicht, ein richtiger Bauer kocht nicht, weil Männer, die kochen, das ist schwul.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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