Warum entwickelt ein Mann eine Verhütungs- und Fruchtbarkeitsapp? Nun, das ist eine längere Geschichte. Vor einigen Jahren haben meine Partnerin Patricia und ich uns mit dem Thema Verhütung auseinandergesetzt. Die Pille war für sie kein Thema. Sie wurde ihr zwar von ihrer Frauenärztin empfohlen, aber aus Vorlesungen zum Thema weiblicher Zyklus, Hormone und Psyche im Rahmen ihres Psychologie-Studiums, war für sie klar, dass sie keinen so starken Eingriff in ihren natürlichen Hormonhaushalt wollte. Auch aus ihrem Kollegenkreis wusste sie von den vielen möglichen Nebenwirkungen der Pille. Das wollte sie sich schlicht nicht antun.
Auf der Suche nach einer natürlicheren Alternative sind wir auf die Symptothermale Methode gestossen. Medien und Ärzte verbreiten ja oft, dass natürliche Verhütungsmethoden nichts taugten, da sie zu unsicher seien. Die Studien zur Symptothermalen Methode vermittelten uns aber ein ganz anderes Bild: Sie belegten wissenschaftlich, dass es möglich sei, mit der Beobachtung von zwei leicht erfassbaren Massen und derer gemeinsamen Berücksichtigung so sicher zu verhüten wie mit der Pille. Indem eine Frau also ihren Körper sorgfältig beobachtet, sollte sie auf genaue Art und Weise ihre Fruchtbarkeit bestimmen können? Wir wurden neugierig.
Über sichere Verhütung hinaus versprach diese Methode auch die Chance, sich vertieft mit dem eigenen Körper und dessen natürlichen, zyklischen Prozessen auseinanderzusetzen und diese besser kennenzulernen. Die Möglichkeit, ein besseres Verständnis zu gewinnen, wie der Zyklus mit der Psyche zusammenhängt, fanden wir sehr spannend. Wie hängen die zyklischen Schwankungen des Fühlens und Denkens zusammen mit beispielsweise körperlichen Schmerzen, und gibt es da systematische Beziehungen?

Indem eine Frau ihren Körper sorgfältig beobachtet, sollte sie ihre Fruchtbarkeit bestimmen können?

Durch Patricia’s Studium in Psychologie, meinen Hintergrund in Informatik und unser starkes wissenschaftliches Interesse kamen wir bald auf die Idee, ein gemeinsames Projekt zum Thema zu machen. Zuerst wollten wir bloss eine simple App bauen, die einem das Hantieren mit Stift und Zyklusblatt abnehmen würde. Aber wenn man dann statt manuell noch automatisch auswerten und so Flüchtigkeitsfehler vermeiden könnte, würde das die Methode doch noch sicherer machen… So haben wir das gesamte Regelwerk für die Auswertung mit eingebaut und ausgiebig getestet. Die App konnte schliesslich selbst die Regeln der Methode korrekt anwenden und die fruchtbare Phase bestimmen. Patricia war begeistert, wie gut die App funktionierte. Wir dachten, dass sicher auch andere natürlich verhütende Frauen von der App profitieren könnten und haben schliesslich 2011 die App als eine der allerersten Android Apps dieser Art veröffentlicht. Wir bekamen dann 2014 Team-Verstärkung durch Christian. Er unterstützt uns seit diesem Zeitpunkt substantiell bei der Entwicklung des PDF Zyklus Report und entwickelt die Windows und iPhone Version von Lady Cycle.

Die Hauptfunktion der App liegt in der Bestimmung der fruchtbaren und unfruchtbaren Zyklusphasen. Diese basiert auf der oben genannten sympthothermalen Methode, entwickelt von der Arbeitsgruppe für Natürliche Familienplanung in Deutschland. Sie gilt als die sicherste natürliche Familienplanungsmethode überhaupt und wird offiziell von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfohlen. Ihr Pearl-Index liegt bei 0.4 bei korrekter Anwendung mit Papier und Bleistift. Das bedeutet, dass 0.4 von 100 Frauen innerhalb eines Jahres ungewollt schwanger werden. Im Vergleich dazu sind es bei der Pille zwischen 0.1 (bei korrekter Anwendung) und 3 (Mini-Pille unter Alltagsbedingungen) Frauen und zwischen 0.6 und 12 Frauen bei Kondomen. Um eine definitive, wissenschaftlich fundierte Aussage darüber machen zu können, wie gut der Pearl-Index bei reiner Anwendung mit unserer App ist, ist eine grössere Studie in Planung. Diese wird von der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe, welche die Symptothermale Methode entwickelt hat, durchgeführt. Eine erste unabhängige Studie zu Lady Cycle bei Verhütung wurde bereits von einer US-amerikanischen Forschergruppe durchgeführt.

Die Sympthothermale Methode ist eigentlich simpel. Sie verwendet zwei Masse: die Zervix- oder Gebärmutterhalsschleim-Qualität und die Basaltemperatur. Beide variieren über den Zyklus; die Zervixschleim-Qualität mit dem Östrogenspiegel, die Basaltemperatur mit dem Progesteronspiegel. Die intelligente Kombination dieser beiden Masse erlaubt dann die Bestimmung des aktuellen Fruchtbarkeitsstatus. Alternativ zum Zervixschleim kann die Anwenderin auch Muttermundeigenschaften eingeben. Bei der Messung der Basaltemperatur ist wichtig, dass man unmittelbar nach dem Aufwachen vor jeglicher körperlicheren Betätigung misst. Bei der Zervixschleim-Beobachtung sind zwei Aspekte wichtig für die Frau. Erstens das Empfinden: Fühlt sich mein Scheideneingang trocken an oder fühle ich leichte Feuchtigkeit, gar Nässe? Zweitens das Aussehen, das nebenbei beim täglichen Toilettengang geprüft werden kann. Gibt es Schleim an meinem Scheideneingang? Falls ja, ist dieser weisslich, dicklich oder eher durchsichtig und spinnbar?

Man kann hier die berechtigte Frage stellen, ob das alles nicht viel Zeit in Anspruch nimmt. Für die Angewöhnung und das Vertrautwerden mit der Beobachtung sollte man sich auf jeden Fall etwas Zeit nehmen. Aber einmal an die tägliche Beobachtung gewöhnt, läuft sie ganz nebenher. Und mit heutigen Digital-Thermometern dauert das Basaltemperaturmessen kaum mehr länger als die Einnahme einer Pille. Frau weiss so auch immer, wo sie gerade in ihrem Zyklus steht und kann sich auf ihre verschiedenen Zyklusphasen einstellen.
Das regelmässige Messen, Beobachten und Einschätzen erfordert natürlich etwas Disziplin. Es ist aber nicht besonders kompliziert. So haben Studien gezeigt, dass die Symptothermale Methode in verschiedenen Kulturkreisen und unabhängig von der Bildung der Frau bzw. des Paares erfolgreich für die Verhütung angewandt werden kann, Wir empfehlen aber allen Frauen, sich mit der Methode und den Regeln gut vertraut zu machen.
Die Verwendung der App ist aber an sich ganz einfach. Die Beobachtungen der beiden Masse werden in die App eingegeben. Dieses zeigt dann einen grünen Halo um die Lady Silhouette an, wenn sie gerade unfruchtbar ist, und einen roten Halo, wenn sie fruchtbar ist. Für Kinderwunsch wird zusätzlich die hochfruchtbare Phase kurz vor dem Eisprung besonders hervorgehoben mit einem breiten roten Halo. Die Anzahl unfruchtbarer Tage pro Zyklus hängt von der Zyklusdauer der Anwenderin ab. Bei einer durchschnittlichen Zyklusdauer von 30 Tagen werden ca. 10 Tage als fruchtbar bestimmt und 20 Tage als unfruchtbar. Es ist dem Paar bzw. der Frau überlassen, ob sie während der fruchtbaren Tage keinen Geschlechtsverkehr haben oder mit Barriere Methoden wie z.B. Kondomen verhüten möchte.

Es geht darum, ein gutes Verständnis für den eigenen Zyklus sowie die Methode an sich zu bekommen, und somit auch die gemachten Körper-Beobachtungen richtig einzuschätzen. Die App birgt allenfalls die Gefahr, dass man sich nicht mehr mit dem Thema beschäftigt, weil ja alles «automatisch» ausgewertet wird. Ebenso gibt es mittlerweile sehr viele andere Apps auf dem Markt, bei denen die Verhütungssicherheit stark variiert. Leider locken viele mit irreführenden Angaben wie «99% sicher» – auch solche, die sehr unsicher sind oder deren Sicherheit gar nie wissenschaftlich untersucht wurde. Da durchzuschauen ist für den Laien leider nicht einfach. Unser Ziel ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und nicht unnötige Abhängigkeiten zu schaffen.
So gibt es, neben dem Kalender, dem Zyklusblatt und umfangreichen Statistiken über die vergangenen Zyklen, eine Tagebuch-Übersicht für eigene Text-Einträge zur Selbstbeobachtung und Analysefunktionen, um sich den Verlauf von Symptomen über den Zyklus oder deren Zusammenhänge miteinander (z.B. zwischen Libido und Stress) berechnen und visualisieren lassen zu können. Patricia plant dazu gerade ein Forschungsprojekt, das unser Wissen über die Zusammenhänge psychischer und körperlicher Symptome und den weiblichen Zyklus erweitern soll. Viele Frauen leiden z.B. unter prä-menstruellem Syndrom oder unter starken Schmerzen während der Menstruation. Das Ziel ist es, herauszufinden womit diese Symptome zusammenhängen. So können neue Wege exploriert werden, wie diese Symptome reduziert oder ganz zum Verschwinden gebracht werden können.

Die in Lady Cycle eingegebenen Daten betrachten wir als sehr persönlich, sensibel und dementsprechend höchst schützenswert. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, die Daten der Anwenderin nur lokal auf ihrem Gerät zu speichern und nicht wie viele andere Apps automatisch online zu synchronisieren. Das heisst, dass jede Anwenderin selber verantwortlich ist, ein Backup ihrer Daten vorzunehmen, da diese nicht automatisch über die Cloud auf einem neuen Smartphone verfügbar sind. Die Daten können aber sehr einfach per E-Mail, USB-Kabel oder SD-Karte auf ein neues Smartphone übertragen werden. Diese erhöhte notwendige Eigenverantwortung für die eigenen Daten ist etwas ungewöhnlich für eine App.
Bis jetzt haben wir das Projekt hauptsächlich unentgeltlich in unserer Freizeit entwickelt – nun suchen wir nach Möglichkeiten längerfristiger finanzieller Unterstützung. Wir prüfen gerade, ob wir einen Beratungsservice und eine Reihe an aufwändigeren Zusatzfunktionen einführen sollten, die optional für einen kleinen Betrag genutzt werden können. Die bereits etablierten Funktionalitäten unserer App sollen aber weiterhin immer völlig kostenlos bleiben.

Und durch weitere Übersetzungen der App in verschiedene Sprachen – die meisten Anwenderinnen sind aus dem deutschen oder englischen Sprachraum – möchten wir das Wissen um die symptothermale Methode weiter in der Welt verbreiten, speziell in Regionen mit schlechtem Zugang zu Verhütungsmitteln. Es muss jedoch bedacht werden, dass die Methode natürlich nicht vor sexuell-übertragbaren Krankheiten schützt. Unser Ziel ist es, hier einen Beitrag zu leisten, dieses Wissen zu teilen und leicht zugänglich zu machen. Wir möchten Frauen ein Werkzeug in die Hand geben, autonom, natürlich und sicher verhüten zu können und ihr Wissen über ihren eigenen persönlichen Zyklus und die damit einhergehenden Veränderungen besser kennenzulernen. Wir freuen uns, wenn wir hier einen Beitrag leisten können. Als Mann wünsche ich mir, dass Frauen die Wahl haben, auch ohne drastischen Eingriff in den eigenen Hormonhaushalt, eine sichere Verhütungsmethode benutzen zu können, und somit auch keine negativen Konsequenzen für die Persönlichkeit, Gesundheit oder Libido fürchten zu müssen.

Für den Einstieg ins Thema empfehlen wir die Bücher «Natürlich und Sicher» sowie «Natürliche Familienplanung heute» von der Arbeitsgruppe NFP.

www.ladycycle.com

Stephan Gerhard hat mit seiner Partnerin das Verhütungs- und Fruchtbarkeitsapp Ladycycle entwickelt. Er ist Informatiker und Neuroinformatiker und arbeitet am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und dem Howard Hughes Medical Institute in Washington DC.

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