Es wird wieder berichtet über «Züri brännt» – vierzig Jahre danach. Bei SRF gibt es ein paar Dokus und Beiträge, die niemandem auf die Füsse treten wollen und insgesamt wohlwollend betonen wie offen und attraktiv die Stadt Zürich heute dank den wilden Achtzigern ist. Vielen Dank auch! Der Spitzel und der Bewegte geben sich die Hand, sie sind nun befreundet, wer will schon nachtragend sein. Völlig verkehrt ist das ja nicht, höchstens etwas schönfärberisch, zugeschnitten auf das Mittelmass des aussterbenden Schweizer-Fernseh-Zuschauerinnentums. Dabei wünsche ich mir gerade den Disput zurück ins Schweizer Fernsehen – mehr Mut zum Unvorhergesehenen, zum Chaos, zum Streit.

Denken wir etwa an die Sendung «Telebühne – Widerstand gegen Staatsgewalt» vom 2. Juli 1980. Die Aufführung des Stücks «Antigone» im Fernsehstudio sollte Anlass sein, um mit einem durchmischten Publikum im Kontext des «heissen Sommers» über die Legitimität von Gewalt durch den Staat und den gewalttätigen Widerstand dagegen zu diskutieren. Der gut gemeinte Versuch des Schweizer Fernsehens, eine Plattform für ein offenes Gespräch zu schaffen, endete mit dem Abbruch der Sendung. Nach mehreren Versuchen des verdutzen Moderators, die verkleideten Personen im Publikum zu einem «fairen» Dialog und der Beachtung der Spielregeln aufzurufen, musste die Aufzeichnung frühzeitig beendet werden.

Das Motto «me mues doch vernünftig rede mitendand» wurde dabei regelrecht sabotiert: Quietschende Luftballone, Seifenblasen, Rasseln, Trillerpfeifen, Zwischenrufe, Faxen, das Herumwedeln von Schweizer Fahnen und sinnloser Singsang – vom Moderator zunächst als «neckische Scherze» abgetan – führten dazu, dass niemand seine Meinung zum Ausdruck bringen konnte. Wider Erwartung traten die Bewegten nicht mit Anschuldigungen zur Gewalt durch Staat und Polizei auf. Fragen des Moderators wurden lediglich mit dem Herauslassen von Luft aus Ballonen und Seifenblasen quittiert, die an leere Sprechblasen und inhaltsleere Argumente erinnern. Voten von Zuschauenden wurden mit Zwischenrufen wie «huga huga huga», «bonmot, bonmot, birevixxxer, dasch, dasch, dasch suuber, heile welt», zusammenhangslosen Aussagen wie «Freiheit für ali Pinguine in Grönland», und unsinnigem Singsang («pi pa pi gü pi pa pi gü») gestört.

Erziehungsdirektor Gilgen wurde aus dem Publikum Gurkensalat angeboten; Polizeikommandant Bertschis Aussage «ich chume mir vor wie im Chindergarte» mit Jauchzen und Klatschen begrüsst. Die Reaktion des Moderators «ich cha nur hoffe, dass das nöd die einzig Artikulation isch, zu dere sie fähig sind, mini Dame und Herre» wird mit «doch doch doch» quittiert; den Wunsch des Moderators, «das mir wenigstens versueche würded mitenand is Gespräch z cho» mit «ähä ähä ähä» und eifrigem Kopfschütteln torpediert. Man wollte nicht reden, nicht diskutieren, und sich auf die gleiche Ebene begeben wie die «Feinde» mit ihren gut gemeinten Versuchen die «Jugend» zu verstehen. 

ANTIGONE: «Ich, ich will alles, sofort und vollkommen – oder ich will nichts. Ich kann nicht bescheiden sein und mich mit einem kleinen Stückchen begnügen, das man mir gibt, weil ich so brav war.»

Aus den Interventionen im Schweizer Fernsehen hat man gelernt: Diskussionsformate werden heute vorproduziert, notfalls wird rausgeschnitten, was sich nicht gehört; wer ins Studio will, braucht einen personalisierten Badge. Was nicht heisst, es könnte uns nichts Neues einfallen. 

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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