Von der Stadt Zürich sollte es verwaltet werden, das Kultur- und Freizeitzentrum. So verlangte es die 1973 lancierte Initiative der SP zur Erhaltung und Umnutzung der Rote Fabrik. Betraut mit diesem etwas ungewöhnlichen Geschäft, setzten sich die Mühlen der städtischen Verwaltungsbürokratie mit beträchtlicher Verzögerung und unter einigem Geächze in Bewegung. Bis Betriebstemperatur erreicht war, hatte der Gemeinderat längst einen – 1977 von der Stimmbevölkerung angenommenen – Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet, der eine Vermietung an im öffentlichen Interesse tätige Organisationen und damit die Übergabe des Kultur-betriebs an eine private Trägerschaft vorsah. Eine neue städtische Amtsstelle für die Rote Fabrik war damit eigentlich vom Tisch. Doch wenn die Verwaltung einmal Fahrt aufgenommen hatte, war sie so schnell nicht wieder zu stoppen. So produzierte die intern eingesetzte Arbeitsgruppe Ende der 1970er-Jahre weiterhin unermüdlich Entwürfe für das geplante Kultur und Freizeitzentrum unter der Federführung der Stadtverwaltung.
Die dabei entstandenen Dokumente und Entwürfe atmen noch den Geist der Nachkriegszeitmoderne, zwischen technokratischem Zukunftsoptimismus und sozialem Konformismus. «Die Umgebung soll vor allem als Familienaufenthaltsort geeignet sein», waren sich die Verantwortlichen von Sozialamt und Präsidialabteilung in Bezug auf das Areal einig. Während einige Gebäudeteile an Werkstätten und Kulturbetriebe wie das Opernhaus vermietet sowie für ein Arbeitslosen-Integrationsprogramm genutzt werden sollten, würde der Rest des Areals entsprechend für Spielen, Basteln, Sport und Hobbies zur Verfügung stehen. Im Aussen-bereich würde das Gartenbauamt nach Abriss der seeseitigen Fabrikteile eine Parkanlage gestalten. Diese wurde nie realisiert – zu erwarten gewesen wären asymmetrisch-verspielte Geometrien und kontrastreiche Kombinationen von Beton- und Natursteinelementen, wie sie sich etwa in den damals stilprägenden Werken des Landschaftsarchitekten Willi Neukom fanden. Als Zentrum und Treffpunkt war eine Cafeteria angedacht, nach dem Vorbild der modernen Kantine der eben erbauten ETH Hönggerberg, idealerweise vom Zürcher Frauenverein betrieben und selbstverständlich alkoholfrei. Anderes sei gar nicht vorstellbar, da ein Betrieb an dieser Lage unmöglich eine Rendite abwerfen würde. Die Lage war es denn auch, die den Beamten Kopfschmerzen bereitete. Wie würden die als Zielgruppe anvisierten glücklichen Kleinfamilien auf ihrem Sonntagsausflug überhaupt zur Roten Fabrik gelangen? Fehlte doch auf dem Grundstück der Platz für das wesentliche Emblem der Schweizer Nachkriegsidylle – das Auto.
Doch nicht alle der Verwaltungsmitarbeitenden waren in den Denkschleifen von Expressstrassen, Normalverbrauchertum und Grossmassstäblichkeit der Hochkonjunktur gefangen. Der freisinnige Urs-Peter Müller hatte etwa schon vor seinem Stellenantritt als Sekretär des Zürcher Stadtpräsidenten Sigmund Widmer mit seinem Projekt eines autonomen Jugendzentrums in Solothurn ein gutes Gespür für den gesellschaftlichen Aufbruch in den 1970er-Jahren bewiesen. In einem dicken Dossier zur Roten Fabrik aus seiner Feder plädierte er eindringlich für die integrale Erhaltung der Gebäude mit dem Argument, dass der «Fabrikcharakter» neuerdings und auch in der absehbaren Zukunft als «modern», sprich angesagt, gelte. Die Hallen würden sich für eine polyvalente Nutzung im Rahmen verschiedenartiger kultureller Projekte hervorragend eignen. Auch Müller schwebte ein gastronomischer Betrieb auf dem Areal vor, jedoch nicht im Kantinenstil, sondern mit der Lizenz für eine Gartenwirtschaft, damit die Gäste von der idyllischen Lage direkt am See profitieren könnten. Der Untergrund sei dabei zu kiesen und ja nicht zu asphaltieren, warnte der atmosphärenbewusste Müller. Und in Bezug auf den geplanten Kinderspielplatz hielt er fest: «Von Stahlrohrgerüsten und Betonröhren ist dabei abzusehen. An ihrer Stelle sind Spielgelegenheiten zu planen, die Kinder zu kreativem Tun anregen.»
Müller hatte den Blick für das, wofür seine Beamtenkollegen blind waren, nämlich das Potential der Umnutzung der historistischen Fabrikanlage als Ort eines mediterranen savoir-vivre und vielfältiger kreativer Aktivitäten einer pluralen Gesellschaft. Im Vergleich mit der damaligen Stadtverwaltung wirkt er geradezu wie ein postmoderner Visionär. In einem Punkt blieb er aber ganz moderner Bürokrat: Die Übergabe an die IGRF als privater Trägerschaft nach dem bewegten Sommer 1980 war ihm als Bürgerlichem ein Dorn im Auge. Kurzfristig – und zu spät – brachte er im Spätsommer 1980 eine andere Gruppe von Bewerbern ins Spiel: die Macher der kurz zuvor abgebrannten «Weissen Fabrik» an der Nordstrasse. Deren Konzept eines «völlig gesetzeskonformen», «nach unternehmerischen Grundsätzen» geführten und damit von Subventionen unabhängigen Kulturbetriebs hätte es ihm vermutlich wesentlich erleichtert, das Zepter aus den Händen zu geben.
Eine Gelegenheit, in der Roten Fabrik mitzumischen, bot sich den umtriebigen Kulturmanagern von der Nordstrasse einige Jahre später dann doch noch: Der damalige Mitinitiant Heinz Aebi, nun selber Stadtbeamter, war als Adjunkt der Präsidialabteilung Mitte der 1980er-Jahre für die Rote Fabrik zuständig. Hier fühlte er sich offenbar kraft seines Amtes frei, die Aktionshalle ausgiebig mit einem von ihm zusammengestellten – und kommerziellen – Musikprogramm zu bespielen – sehr zum Leidwesen der IGRF, die sich vom ehemaligen Konkurrenten Aebi «unter Beschuss» und sabotiert fühlte. Und so nahm die spannungsvolle Geschichte der Roten Fabrik auf ihrer Suche nach der Autonomie und den behördlichen Bestrebungen, das Kulturzentrum am See in die eigenen Strategien und Pläne einzupassen, ihren Lauf…

Nadine Zberg ist Historikerin und forscht an der Universität Zürich zur Politisierung der Stadtplanung im Zürich der 1970er-Jahre. 2016/17 hat sie in der Shedhalle u.a. an einem Projekt zu «Urban Citizenship» mitgewirkt.

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