Die Musik der australischen Band Vancouver Sleep Clinic klingt wenig überraschend. Und trotzdem kann sie einen aufwühlen. Am 21. Juni kommen sie in die Rote Fabrik.

 

Ein Mann sitzt im Kofferraum eines Autos, von Kissen und Zierpflanzen umgeben, den Kopf auf ein Seitenfenster abgestützt. Die Beine sind ausgestreckt, die Hände warten auf einer elektrischen Gitarre auf ihren Einsatz. Einen Einsatz, der nie kommt. Man hört zwar die Musik, hört, wie die Saiten gezupft werden, wie die Finger auf dem Griffbrett von einem Akkord zum nächsten rutschen, hört wie die Stimme einsetzt, im Falsett, ganz nah, ganz klar – aber auf visueller Ebene tut sich nichts, fast nichts. Der Sänger, Tim Bettinson alias Vancouver Sleep Clinic, findet nie in den Song. Er sitzt nur da, lässt sich mit offenem Kofferraum durch die Landschaft kutschieren. «Miles and miles apart, darling look how far we’ve come/I wish we would be closer, but we’re speaking different tongues/And like a kind mirage that’s been playing the desert sun/Everything I wanted became nothing real at all», klingt es auf der Tonspur des Songs «Ayahuasca», während draussen, hinter dem scheinbar eingefrorenen Musiker langsam die Dunkelheit einsetzt.
Dieser Videoclip, Ende Februar veröffentlicht, bietet einen guten Einstieg in die musikalische Welt des 22-jährigen australischen Musikers. Ein zarter, flüchtiger, achtminütiger Trip – vielleicht von Ayahuasca, dem psychedelisch wirkenden Pflanzensud, der aus einer Liane und den Blättern eines Kaffeestrauchgewächses gewonnen wird – vermittelt im Rahmen, in welchem Kosmos aus Ambient-Klängen, Alternative Folk, ätherischem Gesang, Synthie-Schwebereien und Elektronik sich die Songs Vancouver Sleep Clinic bewegen. Im Falle von «Ayahuasca» kommen irgendwann elegische Chorstimmen, orchestrale Schlieren und ein verlangsamter Hip-Hop-Beat vom Drumcomputer hinzu, ehe sich alles gegen Ende wieder auf die Gitarre und ein paar schwere Klavierakkorde reduziert.

All die langweiligen Namen waren schon weg, deshalb entschied ich mich für etwas Lächerliches.

Um die Geschichte von Vancouver Sleep Clinic zu erzählen, könnte man verschiedene Herangehensweisen wählen. Man könnte etwa mit dem Namen anfangen. Damit, dass Bettinson, geboren und aufgewachsen in der australischen Grossstadt Brisbane, mit Vancouver rein gar nichts am Hut hat. «Ich hatte eine Liste von vielleicht hundert verschiedenen Namen. All die langweiligen waren schon weg, deshalb entschied ich mich für etwas Lächerliches», sagte er kürzlich gegenüber dem Blog Pigeons and Planes. «Ich wollte einen Namen mit einer schönen, schläfrigen Winter-Ästhetik. Ich wollte, dass er ein gutes Bild ergibt.»
Gleichzeitig könnte man auch in die Wunderkind-Kerbe schlagen und davon berichten, wie er 2013, im Alter von 17 Jahren eine Handvoll Songs («Collapse», «Flaws») veröffentlichte, die ungemein reif und verletzlich waren und seinen Namen weit über den Stadtrand seiner Heimatstadt Brisbane hinaustrugen. Ein kleines Märchen, das wahr wurde. Genauso wie der klassische Disput mit der Plattenfirma. Über zwei Jahre musste er warten, ehe Sony Music sein Debütalbum «Revival» Anfang letzten Jahres endlich veröffentlichte. Erst vor kurzem konnte er sich schliesslich aus dem Vertrag loseisen. Er habe sich taub gefühlt, unfähig kreativ zu sein, erzählte er in den wenigen auffindbaren Interviews über die Zeit, in der er in der Warteschlaufe hing.

Wie man aus seinen Liedern schliessen kann, waren für die Lethargie und Taubheit aber auch anderweitig verursachte Stimmungsdämpfer verantwortlich. Beziehungen, die Verarbeitung von Ablehnung und die Selbstverortung sind die grossen Themen seiner Songs.

Oftmals klingen seine Lieder wie ein finales Zugeständnis zu der eigenen Gefühlswelt. Wie ein Dammbruch. Wie ein auf Tonband gebanntes Manifest, in dem steht: Ja, ich bin verletzt worden. Da gibt es nichts zu leugnen.

Wie immer bei guter Popmusik ist seine Musik auch Zeitgeschichte. Sie erzählt etwas darüber, wie sich 2016, 2017 und 2018 angefühlt haben und anfühlen. Von Aussen bertrachtet wirkt es, als habe Tim Bettinson in fünf Jahren schon die gesamte Gefühlspalette eines Menschen- und alle Facetten eines Musikerlebens durchgespielt. Vielleicht steht seine Entwicklung somit irgendwie sinnbildlich für den Hyperspeed unserer Zeit. Ausserdem hört man, wie selbstverständlich heute Musikstile kombiniert werden und man sich gleichzeitig wieder zu mehr Authentizität zurücksehnt. Und dass moderner Musik trotz dieser Sehnsucht oft etwas Formelhaftes anhaftet.

Bettinsons Songs können einen mit ihrer Unmittelbarkeit übermannen. Seine Musik ist in ihren besten Momenten hochberührend – «Ayahuasca» ist ein Beispiel, «Living Waters» ein weiteres – , aber sie ist keineswegs frei von Klischees. Das, was er macht, ist nicht neu. Seine Art zu singen und viele seiner Songs klingen altbekannt. Man kann sogar benennen, was sich da tut: Bon Iver hat schon lange vor ihm so gesungen, gewisse Passagen erinnern auch Chris Martin und Coldplay; die Kombination von zärteligen Folk mit Beats und Elektronik und dem Ganzen einen träumerischen Touch zu geben, ist bekannt.

Dazu kommt das Handwerk von echten Profis. Mittlerweile wohnt Bettinson in LA, zählt Künstler wie Raury, Gnash und Wafia zu seinen Freunden und arbeitet seit 2016 immer wieder mit Hitproduzent Al Shux zusammen. Weitere Kunden sind: Jay-Z, Kendrick Lamar, Lana del Rey, Plan B, Kelela.

Es scheint also einen Plan zu geben oder eine Richtung. Oder doch nicht? «I don’t know what I’m chasing. Maybe I’ll never know», heisst es im Refrain von «Ayahuasca». Eine Userin namens «Jendippity» hat auf Youtube unter dem Video einen Kommentar hinterlassen. Sie schreibt: «I lie here awake when everyone else is blissfully asleep, thinking about the man I love, madly, and don’t have, questioning if our paths will ever cross again. I’m feeling defeated… But your beautiful voice and melody fills the space around me, covering the sound of teardrops on my pillow.» Es scheint, als hätten Sender und Rezipientin einander hier gefunden.

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.
Miles and miles apart, darling look how far we’ve come I wish we would be closer, but we’re speaking different tongues And like a kind mirage that’s been playing the desert sun Everything I wanted became nothing real at all And I don’t know what I’m chasing Maybe I’ll never know When everything else around me is fading I don’t know where to go Let the rain come down I just wanna feel again Let the rain come down And I don’t know what I’m chasing Maybe I’ll never know When everything else around me is fading I don’t know where to go I could fly to the stars I could die in your arms I could fly to the stars I could die in your arms I could fly to the stars Racing in my mind, doing 100 in a 60 I been swerving in the car driving demons out the city Racing in my mind, doing 100 in a 60 I been swerving in the car driving demons out the city Racing in my mind, doing 100 in a 60 I been swerving in the car driving demons out the city Racing in my mind, doing 100 in a 60 I been swerving in the car driving – out the city Running all the lights All I see is red with the devil in the district Running out of time I just gotta drive till I figure how to fix this Running all the lights All I see is red with the devil in the district Running out of time I just gotta drive till I figure how to fix this Running all the lights All I see is red with the devil in the district Running out of time I just gotta drive till I figure how to fix this («Ayahuasca» von der EP «Therapy Phase 01», 2018)

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