Diese Frage ist schon lange überfällig: was hat es mit der*dem ersten Schwarzen auf sich? Denn was es bis heute auszusagen scheint ist, dass es sich hier um eine wahnsinnig grosszügige Geste handelt – zumindest für die weissen und Schwarzen Personen, die ganz aufgeregt werden, wenn sie von der ersten Schwarzen weiblichen «Secretary of State» hören, dem ersten Schwarzen Präsidenten oder Vizepräsidenten, dem ersten Schwarzen Mann an der Spitze einer Schweizer Bank … und nun die erste Schwarze Frau, Ketanji Brown Jackson, als Richterin am US-amerikanischen Supreme Court.

Bei jeder dieser Ernennungen ist der Fokus auf die Hautfarbe eine ernstzunehmende Diskussion, deshalb würde ich gerne meine Gedanken dazu teilen: Die Weissen haben uns einen humanitären Gefallen getan, indem sie uns die Chance geben, eine wichtige Position innerhalb ihrer weissen Welt einzunehmen. Ich finde das völlig irrsinnig und muss mich fragen: Warum? Warum sollten wir uns im 21. Jahrhundert mit solch rassistischer Engstirnigkeit zufriedengeben? Warum sollten wir diese Art der Behandlung akzeptieren? Warum haben wir das als Norm akzeptiert – nach dem Druck, dem Mobbing, den Schlägen, verbalen Angriffen, dieser ganzen schmerzhafte Initiation, nur um eine Arbeit machen zu dürfen, die eigentlich den Weissen gehört?

Es spielt anscheinend keine Rolle, wie gut wir ausgebildet sind, wieviel Anstand, Toleranz, Beharrlichkeit und Geduld wir haben, um einen guten Job im von uns gewählten Beruf zu bekommen. Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir zuerst lernen, die Beleidigungen zu ertragen; erst dann ist die Welt bereit, begeistert dieden ersten Schwarze*n zu begrüssen.

Wie oft müssen wir uns damit noch auseinandersetzen? Wie oft müssen wir daran erinnert werden, dass wir mindestens 110 Prozent besser sein müssen als die Weissen, um als ebenbürtig angesehen zu werden? Weisse werden alles tun, um unseren Ruf zu schädigen, unser Selbstbewusstsein und unseren Selbstwert zu zerstören, bis wir es nicht länger aushalten können. Und dann werden sie sagen: Siehst du, das habe ich dir doch gleich gesagt: sie können einfach nicht so gute Arbeit leisten wie wir Weissen.

Falls du dann eine Top-Position bekommst, so wie der Schwarze Mann in der Schweizer Bank, um das aufzuräumen, was andere verursacht haben, dann erwartet man von dir innerhalb kürzester Zeit Wundertaten – so wie Präsident Obama, dem eine kränkelnde Wirtschaft im freien Fall hinterlassen wurde, die er in wenigen Monaten wieder richten sollte. Als das zu lange dauerte, fingen die Republikaner*innen an, ihn ins Kreuzfeuer zu nehmen. Auch er war ein «Erster Schwarzer». Ich habe noch nie von einem «ersten Weissen» in den USA, der Schweiz, in Europa gehört. Ich weiss schon, dass dies ein weisses Land ist. Aber das sollte nicht heissen, dass ich nicht genau wie du die Berge der Alpen erklimmen kann. Gib mir die Werkzeuge dazu und ich werde dir zeigen, dass ich nie die erste war, sondern einfach genau wie du auf meine Chance gewartet habe, eure Gipfel zu erobern.

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch
Aus dem Englischen übersetzt von Lisa Schons

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