Das grösste Missverständnis der Gegenwart ist die Annahme, die «Guten» seien im Grunde alle im Kampf gegen den Klimawandel – Trump, Putin und einige wenige Irrläufer ausgenommen. Das gesellschaftliche Bewusstsein für die globale Problemdimension von Klimawandel, Erderhitzung, den damit zusammenhängenden sozialen Verwerfungen und dem menschlichen Elend ist in vielen Milieus vorhanden oder sogar hoch, keine Frage, aber dieses Bewusstsein ist fatal, weil es das Handeln bisher nicht befördert, sondern ersetzt. Es ist wie ein Gebet, mit dessen Aufsagen man die Sache erledigt hat. «Wirtschaft, Politik und Gesellschaft schaffen sich die perfekte Illusion, dass eine Menge getan werde, während alle verfügbaren Daten zum Umweltverbrauch und Konsum atemberaubende Steigerungsraten auf­weisen», sagt der Soziologe Harald Welzer, einer der wen­igen öffentlichen Intellektuellen in Deutschland, die Zukunft über die Lösung des Klimaproblems denken können.

Heisst: Wir tun viel zu wenig, weil wir alle davon ausgehen, dass wir wahnsinnig viel tun, ja es womöglich sogar mal wieder übertreiben. Berliner etwa verweisen gern darauf, dass sie ja kein Auto besässen – was angesichts des ordentlichen öffentlichen Nahverkehrs kein Problem ist, sondern naheliegend. Das benutzen sie als Argument, um viel durch die Gegend zu fliegen. Ohne sich klarzumachen, dass ein Mittelstrecken-Flug mehr CO2 produziert als ihr Autoverzicht im ganzen Jahr. Das ist individuelles Bewusstseins-Greenwashing.

Aber selbst ein ehrgeizig CO2-arm lebender Grossstädter tut das auf einem Emissions-Sockel, der die angestrebten 2 Tonnen pro Kopf und Jahr weit überwiegt. Es geht nicht über individuelle Pfade, es geht nur über einen neu­en gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Pfad. Das ist der politische Punkt, auf den sich eine Mehrheit einigen muss. Dafür braucht es ein neues, ich nenne es, aktives Bewusstsein.

Warum gehört der Kampf gegen die Erderhitzung nicht mal zum kulturellen Kanon der linksliberalen politisierten Gesellschaft bzw. warum verblasst er gegenüber den klassischen emanzipatorischen Minderheits- und Be­­freiungsbewegungen von 1968ff?

Die Diskrepanz zwischen dem beschworenen und gelebten Verhalten ist deshalb so gross, weil das von der moralisch sensiblen neuen Mittelschicht beschworene Ver­halten gar nicht in Einklang zu bringen ist mit den eigenen Idealen von Weltbürgerleben und dessen Notwendigkeiten und Alltagsgepflogenheiten. Kurzstreckenflüge gehören zu den Normalitätsvorstellungen von einem mobilen Berufsleben, das von der politischen, kulturellen, beruflichen und konsumistischen Realität unterstützt, ja gefordert wird. Zur Normalitätsvorstellung gehören aber nicht Fahrverbote in Innenstädten wegen 10’000 Schadstofftoten im Jahr. Zur Normalität gehört das Abwenden von Fahrverboten im Namen der Freiheit und des Status Quo.

Weil nun aber in der sichtbaren Welt nur die ärmsten Opfer der Ungerechtigkeit nicht Auto fahren und fliegen (können) und unsereins ja nun leider fliegen muss – im absurdesten Fall zu einem Klimawandel-Symposium – fehlt es bei diesem zentralen Thema an der handelsüblichen Gut-Böse-Konstellation der kulturell und emotional eingeübten identitätspolitischen Themen. Daraus entsteht zunächst der Versuch, das Problem in Trump, Putin und den Saudis zu sehen. Aber in letzter Konsequenz führt das dazu, dass Trumps misogyner Proletensatz «Grab them by the pussy» einen stärkeren emotionalen und damit diskursiven Impact auslöst als die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens zur globalen Eindämmung der Erderhitzung.

Trumps anti-emanzipatorische und xenophobe Verfehlungen markieren unseren emanzipatorischen und identitätspolitischen Fortschritt. Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen dranbleiben und dafür kämpfen. Stimmt ja auch.

Nur sozialökologisch ist das eben nicht so. Trump ist hier eine grosse Bedrohung. Keine Frage. Aber wir sind hier halt in Wahrheit selbst auch nicht auf dem richtigen Pfad. Überhaupt nicht. Wir sind in diesem Bereich auf dem inakzeptablen Niveau, das Trump gegenüber Frauen an den Tag legt. Dies alles ist die Grundlage dafür, dass es für den sozialökologischen Diskurs keine Role Models, keine Popkultur und keine Hochglanz-Medien gibt, wie in allen anderen emanzipatorischen Bereichen. Es gibt praktisch gar keine Ökomedien, die über die Nische hinausreich­en und keine Mainstreammedien, die einen funktionierenden Umgang mit dem Thema gefunden hätten. Es findet in Fernsehtalkshows praktisch nicht statt. Und wenn doch einmal, dann völlig missglückt.

Die Handvoll Prominente, die sich gegen Klimawandel engagieren, werden nicht gelobt sondern ignoriert, und, wenn sie gar keine Ruhe geben wollen, als Heuchler gejagt. Motto: Gross reden, aber selbst rumfliegen. Wenn jemand indes wirklich dem Hochmobilitätsleben entsagt, das wir alle führen und sich in eine Höhle zurückzieht, dann wird er als Aussenseiter positioniert. In Nuancen hat das etwas von der Betrachtung eines tatsächlich zölibatär lebenden Priesters. Was für eine Willensleistung. Aber schön blöd, sich den grössten Spass entgehen zu lassen. Die Diskurse zielen immer darauf, das Engagement zu diskreditieren und den eigenern Lebensstil zu rechtfertigen.

Man kann Sozialökologie nicht leben, indem man korrekt spricht oder denkt. Das ist das eine. An dem Punkt haken es demnach viele ab oder reden sich raus und verpassen damit die Auflösung. Sie besteht darin, dass ein ökologischer Lebensstil durchaus eigene Stromproduktion mit Solardach oder Windanlagen-Beteiligung enthält – aber nicht als Ersatz für eine politische Energiewende, sondern als gelebte Kultur und damit als Basis für eine andere, also eine sozialökologische Politik. Ein mehrheitlicher Energiewechsel im privaten Bereich ist gescheitert, auch wenn es in einer kurzen Phase bereits anders aussah. Gerade auch aufrechte Linke beziehen ihren Strom hartnäckig aus der Steckdose, statt eigeninitiativ und selbstbestimmt zu einem Ökostromanbieter zu wechseln. Die Gründe sind menschlich und gehen von der Ignoranz über die Bequemlichkeit bis zum Preis und selbstverständlich dem Warten auf das sozialistische Paradies, in dem sich die profanen Widersprüche des Irdischen von selbst erledigen.

Entscheidend ist nicht die Privatentscheidung, sondern der schnelle Kohleausstieg. Dafür muss sich demnach der problembewusste Bürger engagieren, darauf muss er drängen. Der Wechsel des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Pfades kommt nicht über Einsicht oder Moral, sondern über Routine und Normalität. Also über Ordnungsrecht. Eine Fahrradbewegung hilft, aber am Ende braucht es einen Fahrradweg. Und sozialökologische Mehrheiten dafür. Wenn aus der Steckdose hundert Prozent erneuerbarer Strom kommt, dann ist das auch bei ökoresistenten Politikern wie Oskar Lafontaine, Christian Lindner und Sigmar Gabriel so. Nicht mal die AfD-Kundschaft wird ihr eigenes Volkskohlekraftwerk laufen lassen können, damit ihr Fernseher mit dreckigem deutschen Kohlestrom weiterlaufen kann.

Warum, fragen viele, war denn die Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland damals so gross und erfolgreich und warum ist es die Energiewende- und Mobilitätswendebewegung heute nicht? Anti-AKW passte in die aus der Befreiungsbewegung von 1968 entstandene Kultur; es schien ein stringentes Wir gegen die Konzerne, Gut gegen Böse zu sein.

Die Grüne Kultur dagegen funktioniert nicht. Meine Vermutung ist, dass die Ökos und die Grünen das Problem zum Teil selbst verursacht haben durch die permanente Moralisierung des Themas. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat vor ein paar Jahren von einem «Jahrmarkt der Erlösereitelkeiten» gesprochen, an dessen Ende sich die Leute vor «Rettung vor den Rettern» sehnten. Überzogen, aber die Richtung stimmt.
Das grüne und das Öko-Projekt der Umerziehung des Menschens ist erwartungsgemäss gescheitert. Es bringt überhaupt nichts, anderen Leuten (sind ja immer die anderen) vorzuwerfen, dass sie soziale Netzwerke nutzen, obwohl die ihre Daten verkaufen. Dass sie Steuer­­schlupflöcher suchen, um das Geld nicht der Gesellschaft geben zu müssen. Dass sie Industriefleisch essen. Und auch die schöne Idee von der Loslösung des Politischen vom Staat durch 1968 und die Neue Linke kommt hier an ihre Grenzen. Klimawandel ist nicht in einer Gegenwelt zu stoppen und nur in einem unzureichenden Ausmass durch gesellschaftliche Selbstorganisation.

Auch die soziale Frage (Krankheit, Arbeitslosigkeit, Ab­­sturz in völlige Armut) wurde in Deutschland nicht durch freiwilliges soziales Engagement der Gesellschaft gelöst, sondern durch Sozialgesetzgebung. Die sozial-ökologische Frage ist in diesem Sinne in einer Situation wie die Sozialpolitik vor mehr als 100 Jahren. Oder Denkmalschutz: Die historischen Innenstädte würden alles andere als historisch aussehen, wäre der Denk­malschutz eine Frage der privaten Moral. Das regelt die Politik und das ist so normal, dass sich in diesem Kontext auch keiner mehr agitieren lässt, wenn FDP-Chef Christian Lindner «Freiheitsberaubung!» oder «Markt!» rufen sollte.

Es ist also albern und geschichtsvergessen, eine so komplexe und zentrale gesellschaftliche Herausforderung wie Klimaschutz und sozialökologische Wirtschaft über den Markt oder individuelle Entscheidungsfreiheit herstellen zu wollen. Das ist wichtig, um jegliche «Ökodiktatur!»-Aufschreie zu parieren, die angeblich im Rahmen der Fahrverbotsdebatte zurückkehrt. Ökos kommen ja tatsächlich immer wieder an den Punkt, wo sie seufzend überlegen, zum Wohle aller die Demokratie doch gegen eine Ökodiktatur einzutauschen. Aber, so schwer der Weg auch ist: Die Frage, ob wir die Erderhitzung so begrenzen, dass die Weltgesellschaf­­ten in Zukunft gut leben können, muss demokratisch entschieden werden. Es muss die Möglichkeit geben, nein zu sagen. Nur dann kann es – siehe Anfang des Textes, ein wirkliches Ja geben. Die Gesellschaften müssen sich für Zukunft entscheiden. Oder dagegen.

Es geht um und über eine Neubetrachtung der teilweise überholten zentralen Begriffe Gerechtigkeit und Freiheit. Beides wird durch einen sozialökologischen Paradigmenwechsel vorangebracht. Die Wege sind Wirtschaft, Kultur und Ordnungspolitik.

Es braucht eine experimentelle Mehrheit aus den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Aggregatzuständen, die sich auf sozialökologische Essentials einigen und sich, Regierungen und in der Folge die Unternehmen darauf  verpflichten. Es braucht Prominente, die Aufmerksamkeitsströme umleiten und sie in Sachen Sozialökonomie verbreitern, es braucht Intellektuelle, die das vertiefen und Medien, die Progressivität neu denken können.

Die sozialökologische Zeit beginnt mit dem Ende des Ökodenkens, wie wir es kannten. Mit dem Ende der Vorstellung, der progressive Bürger stehe in Opposition zum «Mainstream», einer verkrusteten Mehrheitsgesellschaft. Der Aktivismus von Minderheiten oder die Unterstützung berechtigter Partikularanliegen (Homosexuelle, Feministinnen, Einwanderer) gegen die Mehrheit lässt sich in der Klimawandelfrage nicht anwenden. Klimawandel ist eine Mehrheitsangelegenheit. Er trifft die Armen früher und härter als die Reichen, aber letztlich bedroht er die ganze Weltgesellschaft.

Sozialökologische Emanzipation bedeutet daher, dass die Weltbürger des Westens für ihre Interessen gegen ihre Interessen handeln müssen. Das geht nur durch eine neue und andere Politik.

Peter Unfried ist Chefreporter der taz und Chefredakteur von taz.FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik.

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