Wir alle kennen Bilder unseres Planeten, der von einer apokalyptischen Katastrophe völlig verwüstet wurde. Science Fiction in Roman und Film malt besonders gern das Ende unserer Welt aus und inszeniert eine Zukunft, in der es unmöglich ist, wie bisher zu leben. Wir haben «Mortal Engines» gesehen oder «Mad Max: Fury Road», vielleicht McCarthys «The Road» oder Richard Mathesons «I Am Legend» gelesen. Dies ist nur eine kleine Auswahl aus den unzähligen «postapokalyptischen» Produktionen, in denen Science Fiction versucht, uns actiongeladen unser tödliches Schicksal näherzubringen. Es ist ein naheliegender Gedanke, diese Geschichten auch als Warnungen zu interpretieren, und in ihnen zu erkennen versuchen, worauf wir möglicherweise zusteuern. Offenbar sind wir zurzeit nicht in der Lage, die massive Zerstörung zu stoppen, die wir der Erde zufügen. In diesem Sinne bringt die postapokalyptische Science Fiction in der ihr typischen Art der Übertreibung die Gefahren, die uns tatsächlich auflauern, und damit die Ängste, die uns wirklich plagen, zum Ausdruck.

Und doch ist Science Fiction heute nicht mehr als prophetische Literatur oder prophetisches Kino zu betrachten. Sie ist zu ironisch und zu tief in den Fragen ihrer Zeit verwurzelt, um nur noch in die Zukunft zu schauen. Vielmehr ist es ihr eigen, auf besondere Art Geschichten zu erzählen, deren Ursprung in einer diskursiven Tradition aus dem 16. Jahrhundert liegt: Die Utopie, geboren aus der humanistischen Feder von Thomas More. Aber was ist Utopie? Das Land des Nirgendwos (u-topos), das Land, in dem wir glücklich sind (eu-topos). Die Utopie ist also die Erfindung einer anderen, fiktiven Welt, um die reale Gesellschaft, aus der diese Welt entstanden ist, durch Spiegelung zu kritisieren.

So gesehen sind Utopie und Science-Fiction «reflexive Werkzeuge». Wir stellen uns eine Gesellschaft vor, die auf neuen Gesetzen (Utopie) oder auf neuen Wissenschaften und Technologien (Science-Fiction) aufbaut ist, die zwar fiktiv, aber im Lichte unseres enzyklopädischen Wissens verständlich sind. Dolly, das Schaf, wurde 1996 geklont. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass sich Schriftstellerinnen und Filmemacher ab dem Ende des 20. Jahrhunderts intensiv mit der Figur des Klons beschäftigen. Mit dem Durchbruch des Computers in den 1980er Jahren begann die so genannte «Cyberpunk-Science-Fiction» ständig die Geschichte des Alltags von Papiermenschen zu erzählen, die mit den virtuellen Netzwerken rangen.

Besteht also der Zweck von Science-Fiction-Hochrechnungen darin, vorherzusagen, was passieren muss? Eigentlich nicht. Es stellt sich heraus, dass diese Vermutungen zur Klasse von Tropen gehören, die Metaphern genannt werden. «La Métaphore vive» schreibt 1975 der Philosoph Paul Ricoeurs: Der Mensch ist nicht ontologisch ein Roboter, sondern der Roboter – wie in Karels Čapeks Stück R.U.R. (1920) – ist eine Metapher, die die symbolische Transformation des Menschen in eine seelenlose Maschine in einer industriellen Welt zum Ausdruck bringt. Eine Welt, die (menschliche) Ressourcen und kein (reflexives) Bewusstsein benötigt. Gleiches gilt für die künstliche Intelligenz im Spike Jonze Film «Her» (2013): Scarlett Johanssons Charakter entspricht nur ironisch der «intelligenten» Software unserer Zeit. Tatsächlich stellt der Film metaphorisch und sensibel den heutigen Menschen dar, der, von einer abnormalen Einsamkeit zerquetscht, seinen Körper verlässt, um in soziale Netzwerke einzutauchen, die ihm schliesslich helfen zu existieren.

Es gibt noch unzählige solche Beispiele, alle führen zum selben Ergebnis: Der Umweg zum räumlichen oder zeitlichen Anderswo hat nicht die Absicht, nach vorne zu schauen. Er findet seine Bedeutung in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt. So kann die Science-Fiction, im Gegensatz zu hartnäckigen Meinungen, nicht länger bloss als «Labor der Antizipation» betrachtet werden. Science Fiction ist ein «Labor», in dem die Sprache ihre edelsten Ressourcen nutzt – die Metapher ist eine davon – um die Transformationen zu charakterisieren, die gerade in der Gesellschaft durchlaufen werden. Und weil die menschliche Natur veränderbar ist – und weil Sprache verwendet wird, um unsere Beziehungen zur Welt und zu uns selbst auszudrücken – spielt Science Fiction eine wichtige Rolle: Wir brauchen narrative Spiegel. Und zwar solche, die uns einladen, uns selbst in aller Klarheit zu betrachten.

Aber wenn Science Fiction nicht vom Ende der Welt erzählt, um die Zukunft heraufzubeschwören oder uns vor zukünftigen Katastrophen zu warnen, warum tut sie das dann? Das offensichtlichste Element bei der Beantwortung dieser Frage besteht darin, die fiktiven Katastrophen von den realen Katastrophen – von denen uns Fachleute versichern, dass sie unmittelbar bevorstehen – zu trennen: Das erste ist ein narratives Motiv, das zweite ist eine praktische Virtualität. Sobald diese Trennung erreicht ist, ist klar, dass Science-Fiction-Erzählungen Katastrophen nutzen, um metaphorisch Bilder der Probleme unserer Zeit zu evozieren. Genauer gesagt: Was postapokalyptische Science-Fiction nie aufhört durch ihre Erzählungen zu flüstern, ist die Beobachtung, dass die Katastrophe bereits da ist, dass sie bereits eingetreten ist. Texte oder Filme sind daher «nur» Bilder der symbolischen Verwüstungen, die die Menschheit bereits erlitten hat.

Zu sehr in Unmittelbarkeit verstrickt, zu sehr im gesellschaftlichen Diskurs gefangen, fällt es uns schwer, uns von dem zu distanzieren, was uns umgibt. Diese Opazität der Realität, diese Schwierigkeit unser Handeln zu messen, können wir deutlich im Umgang mit der Klimakrise, in der wir uns befinden, sehen: Wir alle kennen die Gefahren, die unsere Lebensweise mit sich bringt, aber ändern wir sie? Wer berücksichtigt denn in seinem täglichen Handeln tatsächlich die problematische Situation, in der wir uns befinden?

Indem sie von den üblen Auswirkungen unserer Untätigkeit erzählt, schickt uns die Science Fiction das unschöne Bild unserer Hilflosigkeit zurück: Die Katastrophe ist bereits da, und wir warten nur passiv in unseren weichen Kokons darauf, dass sie wirklich eintritt. Der Mensch versucht nicht, die Katastrophe in irgendeiner Weise zu bekämpfen; im Gegenteil hört er nicht auf, sie immer weiter zu befeuern. Genau diese Spannung wird in Science Fiction dargestellt. Es ist die Verbindung zwischen dem Bestehenden und dem Unbewussten unseres Verhaltens, die postapokalyptischen Erzählungen Ausdruck verleiht. Sie sind daher die Spiegelbilder unserer Existenz. Wenn wir die ökologischen Diskurse der 1970er Jahre betrachten, ist es kein Zufall, dass viele Texte und Filme die ökologischen Probleme dieses Jahrzehnts als Hintergrund oder Schwerpunkt nehmen. Werke wie Ernest Callenbachs Roman «Ecotopia», der Marvel-Comic «Guardians of the Galaxy» oder der Spielfilm «Soylent Green» beschwören demnach darin auch nicht irgendeine apokalyptische Zukunft herauf, sondern reflektieren die damals sehr aktuellen Fragen von Umweltverschmutzung, Aerosolen oder dem Konsummuster eines «orientierungslosen» Westlers.

Generell führt die Entfaltung postapokalyptischer Fiktionen – vergangener wie gegenwärtiger – auch dazu, die demokratische Welt als entfremdenden Akteur und damit als unvermeidliche Folge derselben Welt wahrzunehmen: Diese Welt zerstört sich, weil die Subjektivität auf eine Objektivität reduziert wird, weil der Mensch konsumieren muss, um das zu ernähren, was ihn zerstört. Hier besteht nicht der Wunsch, Leserinnen oder Zuschauer zu erschrecken. Vielmehr wird metaphorisch auf die ontologischen Abweichungen einer verdinglichenden Moderne hingewiesen. Mit anderen Worten: Science Fiction zielt auf das Hier, kritisiert das Jetzt, um uns zu erschüttern, um das hervorzuheben, was wir nicht sehen (wollen): Die Katastrophe ist bereits da. Die Katastrophe hat ausserdem die Wahrnehmung des Menschen durch gesellschaftliche Diskurse bereits neu gestaltet. Indem wir die Apokalypse auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, handeln wir unschuldig weiter, wie wir es immer getan haben, ohne in diesen Handlungen die unvermeidliche Konstruktion unseres Untergangs zu sehen…

Als Literatur eines Katastrophen-Jahrhunderts weigert sich die postapokalyptische Science Fiction, dem Alarmierungsgeist einer schrecklichen Zukunft nachzugeben. Vielmehr ermutigt sie uns, die Katastrophen zu betrachten, die sich täglich in unserem Leben ereignen. Sich mit bereits aktiven Katastrophen auseinanderzusetzen bedeutet, in den Spiegel zu schauen, unsere eigenen Inkohärenzen aufzudecken, und das zu erkennen, was uns hindert, unsere Fehler oder Entfremdungen wahrzunehmen. Deshalb sind diese Geschichten «apokalyptisch»: Sie offenbaren uns den Zusammenhang zwischen politischer Verantwortung und selbstkritischer Einsicht.

Übersetzt von Rebecca Gisler

Marc Atallah ist Direktor des Science-Fiction Museums «Maison d’Ailleurs» und Dozent in Lehre und Forschung der französischen Abteilung der Faculté des lettres an der Universität Lausanne.

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