Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Eher Verschwörungspraktiker. «Ja klar mach ich den Abfall runter.» «Ich meld auch gleich morgen das Modem ab, versprochen.» «Ok, ich schau dann wegen einer Putzfrau, klar doch, ich schwörs.» Dann gehen wieder zwei, drei, fünf Monate ins Land mit wichtigen anderen Dingen, und schon hab ich mich verschwört. Oder zumindest verversprochen.

Ich bin auch kein Rassist, aber ich glaube, das ist einfach, weil ich Schweizer bin. Wie hat denn unser Land begonnen? Mit dem Rütlischwur, also indem wir uns alle, alle gemeinsam verschwört haben gegen die Habsburger. Was im Übrigen auch gar nicht wahr ist, stell dir das mal vor: 1291, die ganzen Bauern treffen sich in der Dämmerung im Wald und beschliessen den Umsturz, gleich nachdem sie das Ganze säuberlich in Latein niedergeschrieben haben, mit den üblichen Floskeln und einigen Regelungen zur Strafverfolgung. Wir mussten in der Sek mal im Zeichnen den Bundesbrief abschreiben, mit Tinte auf einem schönen A3-Blatt, das hat uns dann ein Semester lang ganze zwei Wochenstunden beschäftigt, und ich bin nicht fertig geworden. Was haben die anderen wohl gemacht in der Zeit? Rütlischwur aufsagen, so lange bis den jeder auswendig kann? Es heisst übrigens bei Schiller «Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern», und nicht «einig». Einig wäre ein besserer Schwur gewesen, aber da haben sie sich halt verschwört. Und wenn man einen neuen Staat auftun will, warum macht man dann nicht eine richtige Urkunde zur Staatsgründung? Die wäre dann natürlich auch in Latein abgefasst, aber offiziell besiegelt. Da würde auch etwas von einem neuen Staat stehen, von den Gesetzen, die dort gelten, von den neuen Rechtsverhältnissen, die damit geschaffen werden.

Wenn sich die ganze Sache wie eine Verschwörungstheorie anhört, dann wohl deshalb, weil es eine ist. Ziemlich sicher ist der Bundesbrief von 1291 nichts weiter als eine von sehr vielen Urkunden, mit denen man über staatliche Grenzen hinweg elementare Formen der Zusammenarbeit sicherte; heute mit Schengen-Dublin, EU und Nato, damals eben mit dem Bundesbrief. Schade eigentlich, dass man den Bundesbrief nie anführt, um für die EU einzutreten, schliesslich gründet unser Land auf einem polizeilichen und militärischen Aussenbündnis, und das hat sich ja irgendwie bewährt. Ausserdem steht noch im Bundesbrief, dass man keine fremden Vögte will und die bestehenden Besitzverhältnisse gewahrt bleiben. Lokale Machthaber schreiben also in ein Dokument, dass die lokale Macht zukünftig von den lokalen Machthabern ausgeübt wird. Dem würde ich jetzt persönlich nicht allzu viel umstürzlerische Bedeutung beimessen. Woher kommt die Theorie von einer Verschwörung der Urschweizer gegen Habsburg? – Wie so oft aus späterer Zeit, als man einerseits eine Rechtfertigung brauchte für den aktuellen Konflikt und andererseits auch nicht mehr so genau wusste, wie früher alles war. Ist ja dann auch schon über 100 Jahre her. 1420 wird die Verschwörungstradition in der Berner Chronik von Konrad Justinger erstmals eingebracht, 1470 im weis­sen Buch von Sarnen präzise dargelegt, kurz darauf entstehen Tellenlieder, die noch zusätzliche Details nachliefern. Das alles hat keinen wirklichen Bezug zur Situation in der Eidgenossenschaft um 1300 und lässt sich nicht an irgendwelchen authentischen Quellen oder Funden belegen, steht vielmehr oft im Widerspruch dazu. Auch der Umstand, dass die Geschichten je länger desto präziser werden, deutet auf nachträgliche Dichtungen hin. In einigen Fällen sind die Fälschungen auch direkt belegt: Verschiedene Bundesbriefe aus der Zeit um 1350 wurden neu aufgelegt, wobei sie an die neuen (respektive neu gewünschten) Machtverhältnisse angepasst wurden und dann rückdatiert wieder ins Archiv gelegt wurden. Um 1500 war es dann schliesslich soweit, dass nach offiziellen Chroniken und Archivquellen die Eidgenossen ein starkes und rechtschaffenes Volk waren, das sich aus der bitteren Unterdrückung durch die gemeinen Habsburger losgerissen hatte, und zwar durch eine Verschwörung in ferner Vergangenheit. Der Link zum Bundesbrief und die Datierung der Bundesgründung auf den 1. August 1291 ist dann wieder eine Verschwörung der Berner im 19. Jahrhundert gegen die damalige Tradition, welche den Bund von Brunnen (1315) feierte. 1891 wurde die Stadt Bern 700 Jahre alt, und indem man den Bundesbrief zum Gründungsdokument erklärte, konnte man die Eidgenossenschaft gleich mitferiern. Das war damals etwas weit hergeholt, hat sich aber durchgesetzt, weil die wichtigen Leute gemeinsam beschlossen haben, so zu tun, als sei dies irgendwie ein Fakt.

Wir Schweizer sind also Verschwörer und Verschwörungstheoretiker, das liegt in unserer Natur. Wir verschwören uns, um eine Verschwörung zum feierlichen Gründungsakt unseres Landes zu erheben. Und lernen in der Schule den Verschwörungseid, so wie ihn ein deutscher Dichter niedergeschrieben hat, der nie in der Schweiz war. Und auch noch falsch. Also wir verschwören uns selbst beim Verschwören. Kein Wunder, sind wir bis heute manchmal etwas paranoid.

Apropos paranoid: Wie steht es denn mit dir? Bist du Verschwörungstheoretiker? – Ich frag nur mal so, jetzt nicht, weil das für mich was ausmacht, aber ich hab kürzlich mit der NSA gesprochen und ich dachte, dein Name sei gefallen. Also glaubst du so Dinge wie dass der CIA die Türme gesprengt hat? Oder dass Flugzeuge geheime Chemikalien über uns versprühen? Dass Impfungen Autismus erzeugen?

Die Theorie, dass Impfungen Autismus erzeugen, ist übrigens ebenfalls eine Verschwörung. Rechtsanwälte von Eltern autistischer Kinder haben einem Arzt Geld gegeben, und dieser hat eine Studie publiziert, welche den Zusammenhang anhand einer Gruppe von zwölf autistischen Kindern nahelegte. Die Ergebnisse sind wahrscheinlich komplett erfunden, haben aber zwei Effekte gehabt: Erstens wurden auf der ganzen Welt über 100 Studien mit teilweise 30’000 Kindern durchgeführt oder erneut überprüft, wobei sich in keinem Fall ein Zusammenhang zwischen Autismus und Impfungen belegen liess. Zweitens sinkt die Impfrate, wir haben wieder Epidemien von Masern, Mumps und Röteln, Leute werden hospitalisiert, Menschen sterben.

Ich bin allgemein eher skeptisch, was die meisten Verschwörungstheorien anbelangt. Nicht weil die Amis oder andere Regierungen das nicht tun würden, dafür gibts ja genug Belege, das kann man auf Wikipedia und in zahlreichen seriösen Publikationen nachlesen, nicht zuletzt auch in offiziellen Regierungsdokumenten aus der Zeit. Zum Beispiel: Die USA haben 1962 in der «Operation North­woods» geplant, Terroranschläge in Amerika durchzuführen, um einen Vorwand für die Invasion Kubas zu erhalten, was letztlich nur am Widerstand von Präsident Kennedy gescheitert ist. «Operation Mongoose» war eine Verschwörung von 400 Beteiligten mit dem Ziel, Castro zu stürzen, egal wie. In Italien haben rechtsextreme Terroristen mit Unterstützung von NATO, CIA und MI6 zahlreiche Anschläge durchgeführt und die linksextremen Roten Brigaden dafür verantwortlich gemacht. Die USA haben zwischen 1984 und 1994 rund 51 Millionen Dollar aufgeworfen, um Schulbücher für Afghanistan zu drucken, in denen Primarschülern eine gewalttätige Auslegung des Korans und die Pflicht des religiösen Krieges vermittelt werden. Von Nixon gibt es Tonbandaufzeichnungen, wie er mit seinem Stabs-Chef verschwört, einen Reporter zu ermorden oder zumindest sonst unschädlich zu machen, aus Angst vor einer mormonischen Verschwörung. Wenn du also an Verschwörungen glaubst, dann bist du entweder paranoid oder gut belesen. Oder beides, Theoretiker sind ja meist gut belesen, das liegt in der Natur der Sache. Und leider sind die Verschwörungspraktiker bei den Geheimdiensten auch recht phantasievoll und greifen auch mal etwas weit, um ihre Ziele zu erreichen. Vielleicht sind Verschwörungstheoretiker auch einfach nur die Leute, die schon paranoid waren, bevor sie wussten, dass sie verfolgt werden.

Vielleicht müsste man das Feld in der heutigen Zeit einfach komplett neu definieren. Es gibt anerkannte Verschwörungstheoretiker wie Daniele Ganser, der an der Uni Basel einen Lehrstuhl hat. Der Mann forscht und doziert eigentlich nur über Verschwörungen, nur ist das, was er sagt, im Allgemeinen sehr gut belegt. Und überhaupt dürfen Forscher ja auch wackelige Theorien vertreten. Wenn man mit Sicherheit weiss, dass etwas stimmt, dann muss man es ja nicht erforschen. Historiker beschäftigen sich häufig mit der Konstruktion von Geschichte, also was Leute beschliessen für wahr zu halten. Genau genommen sind das auch Verschwörungen, so wie wir Schweizer uns eben dazu verschworen haben, eine Verschwörung als Gründungsakt unseres Landes zu sehen. Dann gibt es noch ein paar Leute am Rand, welche die Mondlandung für erfunden halten oder hinter allen Dingen, die passieren, eine jüdische Weltverschwörung wittern. Das ist originell und eher etwas abwegig, aber eigentlich auch nicht krasser als das, wofür wir Belege haben. So, wie Esoterik nicht abwegiger ist als Quantenmechanik, sondern einfach weniger gut belegt.

Ich schlage also vor, dass wir Verschwörungstheorien als Wissenschaft definieren und abgrenzen von der Verschwörungsesoterik. Dann kannst du seriöser Verschwörungstheoretiker sein, dich auf Wikipedia und wissenschaftlichen Seiten einlesen in Verschwörungen, Theorien zu Verschwörungen entwickeln, und das alles, ohne schief angeschaut zu werden. Oder du bist Verschwörungsesoteriker und glaubst halt was immer dir Spass macht und deiner ganz subjektiven Überzeugung nach korrekt ist, das ist natürlich auch erlaubt.

Ich selber, ich bleibe Verschwörungspraktiker. Gleich morgen trage ich den Abfall runter. Spätestens aber am Mittwoch. Ich habs verschworen.

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