König*innen schweifen im Schloss Neuschwanstein, in der Reality- und Castingshow Germany’s Next Topmodel und im Wald von Schneewittchen umer. In «Egotopia» beleuchtet die Regisseurin Nele Jahnke zeitgenössische Phänomene wie Vereinzelung und Auflösung eines traditionellen Gemeinschaftsgefühls. Aus Bühnenbild, Kostümen, Video und Texten der Autoren*innen Heinz Helle, Gianna Molinari und Julia Weber entsteht ein assoziativer Abend. Das Team antwortet hier auf die Frage: Was macht ihr in diesem Stück?

Matthias Brücker, Schauspieler
Ich spiele Ludwig II. Ich spiele Ludwig II. sehr gerne, weil ich mag mit Lukas Kubrik zusammenspielen. Weil er kein Down Syndrom hat. Spannend, dass er normal ist. Ich habe ein Down Syndrom. Ich mag die Klassik von Ludwig. Mir gefällt die Musik. Die Klassikmusik. Ludwig hat keinen Bart. Er hat lange Haare. Aber meine Haare würde ich nicht wachsen lassen. Ich möchte gerne meine Haare schneiden. Ich muss gar nicht wie er aussehen. Ich würde gerne aussehen wie er. Er sieht aus wie ein Militär. Auf der Bühne: Ich sitze nur herum. Ich liege. Ich rede Texte. Ich rede Text von Ludwig II. Heinz hat die Texte geschrieben. Ich würde lieber mit meinen Wörtern sprechen. Das ist einfach nicht so schwierig. Ich habe ein Handy, ich könnte darauf reden. Es ist viel besser, als auf dem Blatt Papier lernen. Ich muss es immer mitnehmen. Ich finde es blöd, Texte zu lernen. Ich mag lieber Impro, einfach was gerade passt. Ich würde gerne Texte suchen. «Ich bin der König, ich habe Gehirn, ich habe Füsse, ich habe Bein». Anstatt aussagen will ich lieber spielen. Dass ich mich besser auf das Spiel konzentrieren kann.

Ketty Ghnassia, Dramaturgin
Ich recherchiere, assoziiere, lese «Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität» vom Soziologen Richard Sennett, analysiere, spüre nach, lese das Essay «Faceworld» von Marion Zilo, suche das Gespräch mit dem künstlerischen Team, berate, denke mit, erfinde, lese die Texte von den Autoren*innen, entwickle, vernetze, schreibe Texte, zweifle, führe innere Dialoge, gehe ins Schauspielhaus, erlebe das Theaterstück «Am Königsweg», Text von Elfriede Jelinek, Regie Stefan Pucher, assoziere, esse Cashewnüsse, formuliere aus, versuche Wörter zu intuitiven Entscheidungen zu setzen, suche weiter, lese den Roman «Sigma» von Julia Deck, assoziiere, gehe in die Ferien, zweifle, schaue den Film «Der Tod von Ludwig der XIV.» von Albert Serra, lasse mich auf die Gedanken der anderen ein, schaue das Tanzstück «Crowded» von Giselle Vienne, jubiliere, vernetze, verzweifle, lasse mich auf die Bühnenmomente ein, die ausprobiert werden, ergänze, widerspreche, zweifle, assoziiere, suche Texte für die Bühne, lese den Aufsatz «Le Theatre d‘ Écho» von Didier Anzieu, kommuniziere, suche, schaue den Film «Ludwig der II.» von Visconti, spaziere, schlage die Autofiktion «Une Semaine de Vacances» von Christine Angot für die Darstellerin Sara Hess vor, es funktioniert nicht, mache Verbindung zwischen dem Neuen und dem Alten, stelle in Frage, lese «La société de consommation» von Jean Baudrillard, zweifle, suche, erfinde, verbinde, lass mich von «Die Erfindung der Kreativität» von Andreas Reckwitz inspirieren, erlebe eine Heureka-Erfahrung beim Lesen des Essays «Ich und die Anderen» von Isolde Charim, gehe schwimmen, trinke grünen Tee, verschriftliche… All dies nennt man Dramaturgie.

Simone Gisler und Fabienne Villiger, Schauspielerinnen
Wir spielen ja Zwillingstöchter. Rockband mit der Julia. Germany Top Model. Genau. Und. Rockband. Zwillingstöchter, Teenager. Das am meisten. Fotos machen, Selfies. Wir spielen Zwillingstöchter auf der Bühne. Nachmachen. Aufstehen und tanzen und Schwäne sein. Ich bin kein Teenager, ich bin eine junge schöne sexy Frau und keine Teenager mehr. Ich bin junge Frau. Ich habe ganz viel Selfies auf meinem Natel. Ich behalte die für mich. Ich mache manchmal Selfies mit dem Kopfhörer. Ich behalte die beim Handy. Man weiss nicht, was auf Facebook passieren kann. Facebook kann gefährlich sein. Es gibt andere Menschen, die etwas über mich schreiben können, und danach kommen Missverständnisse.

Nele Jahnke, Regisseurin
Ich mache Regie, das heisst, ich überlege mir, was für
ein Thema interessiert mich und passt zu unseren Spiel­ern*innen und in die heutige Zeit. Und dann schreibe ich mit Hilfe einer Dramaturgin/eines Dramaturgen ein Konzept, und frage Bühnen- und Kostümbildner*innen. Dann überlegen wir alle zusammen weiter. Und wenn die Proben losgehen, versuche ich die Bedürfnisse von allen zusammen zu bringen und genug Energie dafür zur Verfügung zu stellen.

Sabina Winkler, Bühnenbildnerin, Maskebildnerin, Kostümbildnerin
Ich mache Bühnenbild und Kostüme. Ich habe ziemlich willkürlich viele Bilder angeschaut, von all den Themen, die in unseren Konzeptionsgesprächen aufgeploppt sind. Ich habe sie mit dem Team zusammen besprochen; diese intensiven Gespräche sind für mich fast die wichtigste Inspiration, und haben unglaublich gut funktioniert und mir sehr gutgetan: zusammen losspinnen und fantasieren ohne das grosse Warum im Raum. Ich denke, ich arbeite immer sehr intuitiv ohne grosse Sinnfrage. Und natürlich hilft mir das Internet oder auch ganz persönliche Erlebnisse und Erinnerungen. Es gibt in diesem Stück verschiedene Themen, die in unserer Zeit immer in der Luft herumschwirren: Z.B. Egoismus, Egozentrik, Individualität, Selbstverantwortung, Wohlstandsgesellschaft, Gemeinschaft, neue Medien, Selbstdarstellung, Selbstbild, Oberflächlichkeit, Selbstoptimierung, Leidenschaft, Triebe… All diese Themen finde ich relevant, weil sie uns alle im Heute extrem beschäftigt, sie werden an uns herangetragen, man muss sich damit immer wieder auseinandersetzten, ob man will oder nicht.

Durch meinen Beruf schaue ich oft zu, ich beobachte, wie jemand versucht, sich oder andere darzustellen. Und ich beobachte, wie die unterschiedlichen Darstellungen auf mich wirken und wie sie auf andere wirken. Diese Beobachtungen berühren mich immer sehr, da sie mich schlussendlich auf mich selbst zurückwerfen. Wenn ich zum Beispiel die HORA-Schauspieler*innen ansehe, dann habe ich das Gefühl, dass sie die Aufgabenstellung, die sie gekriegt haben, oft über-erfüllen. In der Pause, oder wenn sie sich unbeobachtet fühlen, sind sie ganz anders. Privat. Und da beginnen für mich grosse Fragen, wie: Was ist Darstellung? Was ist privat? Was ist man? Wer ist man? Wo beginnt Darstellung und wo hört sie auf?

Julia Häusermann, Schauspielerin
Ich komme auf die Bühne, dort gibt es eine Show. Zuerst spreche ich auf English, dann auf Deutsch. Dort bin ich Moderator. Ich habe noch eine Rockband. Ich spiele Gitarre. Ich tanze und sterbe. Als Moderator komme ich auf die Bühne, ich bin dann auf der Bühne, ich zeige mich. Ich bin sehr gerne Moderator. Du kannst Sachen sagen wie im Fernsehen. Z.B. Obama: Er kommt, er redet zu den Menschen. Wie kann man und was kann man machen für die Menschen, wenn ein Problem da ist? Man kann darüber reden. Der Moderator, er hat einen Gast. Der Gast kommt und spielt mit mir. Ich stelle ein paar Fragen: «Wer ist das?» oder «Bitte Musik!» oder «Jetzt hören wir das an». Und dann fängt das Spiel an: Ihr könnt sagen, wer da singt. Dann läuft ein Lied. Man kann auf einen Knopf drücken. Der, der drückt, der weiss: z.B. den Sänger, Luca Hänni. Wenn das falsch ist, bekommt der Gegner einen Punkt. Und ich sage Texte. Etwas wie «Aus den Augen der Königin läuft das Magma». Es ist ein Text für die Königin.

Möchtest du noch etwas sagen?
Ja. Ich will nicht über Trump sprechen. Ich rede nicht gerne über Menschen, die ich hasse. Nur über Menschen, die ich gerne habe, z.B. Luca Hänni, Petro, aber nicht über Trump. Er sagt und macht Sachen, die gar nicht gehen. Z.B. über den Krieg. Er will Krieg, er will Macht. Das hasse ich ziemlich bei ihm. Seine Frau, seine Kinder, seine Familie interessiert mich gar nicht. Ich zerreisse die Seiten von der Zeitung. Einmal habe ich Bilder von seiner Familie gesehen und habe sie verrissen. Ich ertrage ihn einfach nicht.

 

Egotopia feiert am 6. November um 20 Uhr im Fabriktheater der Roten Fabrik Premiere.

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