Wir entdeckten diese Gruppe auf Facebook, zehn Jahre nach seiner Gründung. Am Ende der postdigitalen Ära spielen also Menschen mit dem Gedanken den grössten Kommunikationsservice der Erde zu verlassen und erscheinen dadurch vielen als unverbesserliche Technophoben. Aber was ist denn das Problem mit Facebook und wohin sollen wir sonst?

Facebook verhalte sich wie eine Epidemie, sagen Forscher der Universität Princeton, eine Krankheit, gegen die wir jedoch bald immun sein werden: Bis Ende 2017 soll es von 80 Prozent der Nutzern verlassen sein. 13-18 Jährige verlassen Facebook schon jetzt mit zunehmender Beständigkeit. Es stellen sich also zwei Fragen. Warum sollten wir Facebook verlassen und wohin? Die aufschlussreichste Antwort bekamen wir von Johann Weichbrodt, der die Bedeutung von Facebook für sich selbst hinterfragt und in drei Benutzungsarten gliedert hat. Diese haben wir im Folgenden noch gespickt mit je einem weiteren Benutzerkommentar.

1. Facebook als Zerstreuung

Als erste Form der Nutzung ist mir aufgefallen, dass ich Facebook nutze wie früher das Fernsehen: Zur Zerstreuung der Gedanken, zur Berieselung mit (halbwegs) interessanten Inhalten, zur Ablenkung. Das kann sehr angenehm sein, wenn man z.B. den restlichen Tag mit intellektuellen Herausforderungen konfrontiert ist. Es birgt allerdings auch ein starkes Suchtpotenzial, wenn ich mal wieder zu viel im Facebook hänge, weil ich mich vor einer unangenehmen Aufgabe drücken will. Man kann im Facebook und seinen seichten Inhalten vergammeln, jedenfalls geht es mir so. Was diese Art der «Nutzung» angeht, hat es bei mir das Fernsehen komplett ersetzt. Es wäre kein grosser Verlust, die Facebook-Berieselung aufzugeben. Zerstreuung bietet das Web mehr als genug und Facebook stellt schon jetzt neben Twitter, News-Seiten, Blogs, Fotostrecken und YouTube nur einen kleinen Teil meiner Berieselung dar.

Peter Hodina: Facebook, wenn es noch langweiliger ist, als man selbst, kann Energien dislozieren: Man sucht die Startseite ab und springt von einer Langweiligkeitspfütze in die nächste. Das setzt das Niveau herab. Reißt man sich davon nicht los, wird der «Tonus» beschädigt. Facebook kann eine schlechte Gewohnheit, ein leerer Zwang werden. Facebook als solches ist bedroht vom Versacken in komplette Bedeutungslosigkeit. Viele Junge haben sich davon abgewandt bzw. spüren, dass hier nichts mehr los ist. Dass es zum Frühpensionistenverein wird. Früher beim Fernsehen war es Zapping, das war noch ruckartig, im Facebook aber ist es ein einschläferndes Gleiten.

2. Facebook als Vernetzungs-
und Koordinationsinstrument

Neben der hauptsächlich passiven Nutzung zur Zerstreuung stelle ich aber noch eine andere Art fest, wie ich Facebook nutze: Um auf dem Laufenden zu bleiben mit Personen oder Gruppen, mit denen ich auch ausserhalb von Facebook viel Kontakt habe. Beispielsweise tanze ich Lindy Hop und die meisten, aktuellsten News über Partys, Workshops etc. erhalte ich über die diversen Lindy-Hop-Gruppen auf Facebook. Es wäre sicher auch möglich, mich über andere Kanäle auf dem Laufenden zu halten, aber der soziale Aspekt ginge verloren: Die Kommentare von Freunden und Bekannten; zu schauen, wer sonst bereits zur Party zugesagt hat; die lustigen Sprüche unter den Fotos; Diskussionen die sich – zwar selten, aber manchmal doch – entspinnen. Diese Art der Nutzung und das damit verbundene Gefühl, informiert und in Interaktion zu sein, würde ich wohl am meisten vermissen.

Kai Nörtemann: Facebook fühlte sich für mich zunehmend an wie der Versuch eines persönlichen Gespräches auf einer trashigen Cocktailparty. Wird sich jemand umdrehen, wenn ich einfach so in den Raum rede? Natürlich nicht, dafür war man zu sehr damit beschäftigt, eine gute Figur zu machen. Der richtige Urlaub, die richtigen Freunde, die richtige Party, das passende Gadget. Manche schienen nur noch im Urlaub zu sein und was-auch-immer zu konsumieren. Kritische Zwischenrufe haben da nur gestört. Die Aufmerksamkeitsspanne reichte ohnehin nur noch für das „I like“ eines kurzen Katzenvideos. Also: nichts wie weg!

3. Facebook als digitales Selbst

Neben Berieselung und Koordiniation ist Facebook aber noch viel mehr: Es ist, wie bereits von vielen und vor langer Zeit aufgezeigt wurde, eine digitale Erweiterung meines Selbst. Durch die tägliche Nutzung und die Interaktivität ist Facebook kein Ein-Weg-Medium wie Zeitung oder Fernsehen. Ich gebe etwas von mir in das Medium rein. Dieser Teil von mir, ausgedrückt in meinen Vorlieben, Fotos, Kontakten, den unzähligen Likes, Gruppeninfos etc., liegt in Irland oder sonstwo auf den Servern von Facebook. Das ist an sich kein Problem, wenn sie denn sorgsam damit umgehen würden. Aber mein digitales Selbst ist für Facebook ein Rohstoff, den sie verarbeiten und verkaufen. Und verraten – an die NSA zum Beispiel. Kurz gesagt: Ich habe ihnen etwas Persönliches, Schützenswertes anvertraut, muss aber feststellen, dass man ihnen nicht trauen kann. Dieser Vertrauensbruch (wenn denn überhaupt jemals Vertrauen geherrscht hat) scheint mir der wichtigste Grund zu sein, warum ich Facebook verlassen sollte. Warum lasse ich mir es gefallen, dass so mit meinem digitalen Selbst umgegangen wird? Ich vermute, es hat mit einem generell nur geringfügig vorhandenen Vertrauen in Systeme zu tun. Den anderen Grosskonzernen dieser Welt traue ich ebenso nicht über den Weg, selbst meiner Bank nicht ganz, und der Politik (meistens) erst recht nicht. Wieso sollte also bei Facebook jetzt plötzlich Vertrauen eine Rolle spielen? Es stellt sich so eine Scheissegal-Haltung ein, die ich manchmal noch mit etwas Zynismus übertünche. Diese Haltung scheint mir der wahre Grund, warum ich noch bei Facebook bin, es aber eigentlich verlassen sollte.

Heise.de: Je mehr Facebook genutzt wird, desto schlechter fühlen sich die Menschen.

Nur wohin?

Kandidat Nr 1. für eine Totalabkehr ist Diaspora (diasporafoundation.org), ein soziales Netzwerk, das wie E-Mail auf Server unterschiedlicher Anbieter verteilt ist. Friendica (friendica.com) ist ein weiterer Ansatz, mit dem man sogar Facebook oder Twitter-Kontakten folgen kann. Jabber (jabber.org) ist  schon seit langem als dezentrale Alternative von ICQ, AIM, MSN und Skype bekannt, funktioniert sogar auf dem Smartphone und erlaubt Sprach- und Videoanrufe. Vermisst man dann aber doch die Möglichkeit von Statusmeldungen und Bildern, dann wechselt man zum auf Jabber aufbauenden Movim. Wem das dann wieder zuviel ist, der folgt Kai Nörtemann: «Ich bin seit meinem Ausstieg weniger vom sinnlosen Facebook-Rauschen abgelenkt und treffe mich lieber mit wirklichen Freunden auf ein Bier, telefoniere oder schreibe eine E-Mail.» Vielleicht führt der Weg aus Facebook also doch wieder ins physische Leben, wo deine Familie, Nachbarn und Katzen darauf warten, dass du sie fütterst.

Personen in dieser Ausgabe

Eric Poscher gründete die Gruppe « We leave
Facebook when 5000 people joined this group».

Johann Weichbrodt hat Apples iCloud+Mail verlassen und ist sooo kurz davor, Facebook zu verlassen.

Kai Nörtemann hat den Ausstieg gewagt
und benutzt wieder Telefon und E-Mail.

Peter Hodina, Tapirist und Autor der Trilogie ‹Steine und Bausteine› hat seit 2008 3’800 Facebookseiten geschrieben.

Daniel Boos versucht GMail zu verlassen.
(Google+ schläft und Docs braucht er wohl noch).

Mario Purkathofer kann sich einen Ausstieg vorstellen, wenn er seine 2000 Katzen irgendwoanders füttern darf.

Die Medienkulturgespräche sind eine Reihe des Dock18 Institut für Medienkulturen der Welt. Daniel Boos und Mario Purkathofer recherchieren monatlich aktuelle Themen der neuen Medien und sprechen mit betroffenen Menschen auf verschiedenen Kanälen.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert