Baltimore, USA, 5. April 2017. Auf Twitter postet der User @YeahltsWilly unter dem hashtag #Pepsi ein Bild. Darauf ist ein etwa achtjähriger schwarzer Junge, der vor einer mit Schilden und Helmen ausgerüsteten Polizeieinheit steht, die eine Strasse absperrt. Er trägt vier Wasserflaschen und versucht im Moment der Bildaufnahme einem Polizist eine zu überreichen. Der Kommentar zum Bild lautet: «We did this in Baltimore. Nothing changed».
Die Vorgeschichte dieses Tweets ist schnell erzählt und zeigt, was u.a. Pepsi mit Protest und Werbung zu tun hat: Die in den USA seit 2013 kaum mehr zu übersehenden öffentlichen Interventionen und Demonstrationen der Black Lives Matter-Bewegung (BLM) dienten dem Brausehersteller im Frühjahr 2017 als Vorlage für einen aufwändig inszenierten TV-Werbeclip, in welchem Kendall Jenner, einem der derzeit in den USA bestbezahlten Werbemodels, die Hauptrolle zukam. Im Clip wird eine Demonstration zu Werbezwecken reinszeniert: Zahlreiche DemoteilnehmerInnen erfrischen sich – wie zu erwarten – an Pepsi-Drinks. Als die Demo auf eine einsatzbereite Polizeieinheit trifft, löst sich die Hauptdarstellerin Jenner aus der Menge, geht auf einen der Polizisten zu und übereicht ihm eine Dose des Softdrinks – der Polizist nimmt diese an, lächelt dankbar und die angespannte Situation ist befriedet, kurz: alle sind happy.
Kurz nach der Ausstrahlung des Clips erlebte Pepsi einen heftigen medialen Shitstorm, in dessen Folge jede weitere Ausstrahlung sofort gestoppt wurde. Kritisiert wurde nicht nur die «feindliche Übernahme» der Interventionen und Proteste von BLM durch Pepsi. Empörung wurde auch dadurch ausgelöst, dass durch die Besetzung des Clips mit Kendall Jenner eine illegitime Anspielung auf eine der aktuellen Ikonen des gewaltfreien Widerstands gegen Polizeigewalt vorgenommen wurde, nämlich auf Ieshia Evans. Eine während einer BLM-Demonstration im Juli 2016 in Baton Rouge gemachte Aufnahme zeigt Evans, wie sie sich alleine und gewaltfrei der Polizei entgegenstellt – als Sinnbild für mutiges und entschlossenes Handeln einer Einzelnen wurde das Foto zu einem der bekanntesten Pressefotos des Jahres 2016 und Evans dadurch zu einer Ikone des schwarzen Widerstands.
Nicht erst seit kurzem hat die Werbeindustrie die Zeichen und Symbole, Parolen und Ikonen emanzipatorischer Protestbewegungen für sich entdeckt: Che Guevara und Karl Marx, Rosa Luxemburg und Lenin, das Anti-AKW-Emblem, das Peace-Zeichen, erhobene Fäuste, rote Fahnen, fünfzackige rote und schwarze Sterne, Bilder von Demonstrationen, Sit-Ins und Blockaden, Megaphone und Graffiti; Schlachtrufe und Parolen werden rezitiert – alles dies fand und findet immer wieder Eingang in die inszenierten Bilderwelten, in die Räume konstruierter Sichtbarkeiten der Werbung. Im Folgenden soll hier eine Perspektive angelegt werden, die Alexander Kluge und Oskar Negt bereits Anfang der 1970er Jahre formulierten, wonach Werbung vor allem zeige, was ist – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Vor dem Hintergrund von 50 Jahren «1968» soll skizziert werden, wie der Protest in die Werbung kam, wie sich die Anzeigen über die Laufe der Jahrzehnte verändert haben, und was sich daraus an möglichen Rückschlüssen für die damalige und heutige Verfasstheit der Gesellschaft erkennen lassen kann.
Die systematische Durchsicht der Zeitschrift «Der Spiegel», beginnend mit Ausgaben ab den späten 1950er Jahren, stellte den Grundstock meiner umfangreichen Sammlung von Print- und Videowerbung dar, die ich im Laufe der letzten 20 Jahre zusammengetragen habe. Die erste Anzeige, die sich einer linken Protestikone bedient, findet sich in einer Ausgabe des Magazins im Herbst 1967, sicherlich nicht zufällig. Ganzseitig wirbt der Rasierapparatehersteller Remington mit Karl Marx, dessen Porträt als «Schreckgespenst des Kommunismus», als auch als Bezugspunkt kommunistischer Parteien und der sich formierenden 68er-Bewegung im Westen weithin bekannt war. In der Anzeige wurde Marx gleich zweimal gezeigt: einmal mit seinem bekannten, rauschenden Vollbart, einmal glattrasiert – sozusagen demaskiert. Der Anzeigentext kann als ironisches Andocken an die Figur Karl Marx verstanden werden, wenn der beworbene Rasierapparat in Form einer Spruchblase von Marx zwar als «ein durchaus entbehrliches Produkt kapitalistischer Gewinnsucht» bezeichnet wird, er dem Produkt jedoch auch zugesteht: «Aber er schafft was weg!»
Gleich mehrfach taucht in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren Karl Marx als Motiv in Anzeigen auf, so auch auf einer Anzeige der Fluggesellschaft Lufthansa. Unter der Headline «Verlasst unser Land. Mit 25% Ermässigung.» ist sein Konterfei neben dem von Mao inmitten einer Demonstration gut zu erkennen. Die Aufforderung, «das Land zu verlassen» bezieht sich dabei auf eine in diesen Jahren in Westdeutschland häufig zu vernehmende Beschimpfung der aufmüpfigen, rebellierenden und revoltierenden Akteure: Wenn es dir hier nicht passt, dann geh doch nach drüben – in die DDR. Zielgruppengenau wurden junge Menschen angesprochen und zwar in den Zeitschriften «Pardon» und «Twen». Nicht ohne Ironie wird im Text darauf hingewiesen, dass die Airline zum einen auch das «Kiffer-Paradies» Amsterdam anfliege, zum anderen, dass auf Wunsch eine «extra erstellte purpurrote Broschüre» in einem neutralem Kuvert zugesandt wird, der damalige Code für den Postversand von sogenannten Erotikmagazinen. Im Jahr 1978 erscheint eine Anzeige des Jeansproduzenten Mustang, die einen genaueren Blick wert ist. In der Anzeige, die in der Art eines Früher-Heute-Fotoalbums aufgemacht ist, wird laut Text ein «Uli Weber» gezeigt, der «damals» für Ho Tschi Minh und Kommunen sowie gegen Konsumterror war, heute hingegen weiss, «was er will». Auch seine Lektüre hat Uli Weber in dieser Zeit laut der Überschrift geändert, las er früher das Kapital, so ist es heute das «Capital». Eine mögliche Lesart dieser Anzeige ist: Der Junge Uli Weber hat seine revolutionäre Jugend hinter sich gelassen und ist erfolgreich seinen Weg als Oberstudienrat oder Finanzmanager gegangen. Der britische Kulturtheoretiker Dick Hebdige hat bereits Anfang der 1980er Jahre Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft auf die durch die Akteure und Praktiken der 68er bedrohte Ordnung analysiert: Durch Ironisierung und Verniedlichung ihrer Darstellung als skurrile Exoten und weltfremde Narren sollten ihre Anliegen lächerlich gemacht werden. Diese Elemente lassen sich für fast alle Anzeigen aus den Jahren 1967 bis etwa Ende der 1980er Jahre recht gut erkennen. Dass die Werbung in diesen Jahren die Zeichen und Symbole des Protest aufgreift, kann jedoch auch als eine Einmischung um die Deutungshoheit über diese Zeichen verstanden werden – und sie sind somit weit mehr als nur eine spielerische Variante von Werbung, sondern Ausdruck eines symbolischen Kampfes um die Bedeutung von Protest und seiner gesellschaftlichen Relevanz. Am Treffendsten illustriert dies eine europaweit lancierte Anzeige des Computerproduzenten Apple anlässlich der Markteinführung des ersten Homecomputers im Jahr 1984, des Macintosh. Neben Bücher von Marx, Engels, Lenin und Mao wurde ein Macintosh platziert, die Headline der Anzeige lautete: «Es wurde Zeit, dass mal ein Kapitalist die Welt verändert.»
Dass Werbung tatsächlich zeigt, was ist, lässt sich in den 90er Jahren gut feststellen. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der anschliessenden Implosion der realsozialistischen Länder des Ostblocks finden mehr und mehr Anzeigen ihren Weg in die Öffentlichkeit, die vor allem Bezug auf die hegemoniale Ikonographie des ehemaligen Ostblocks nehmen. Viele hundert Anzeigen, in denen Marx und Lenin, rote Fahnen und Arbeiterfäuste zu sehen sind, erscheinen in der Zeit von Ende 1989 bis etwa Anfang der 00er Jahre. Das Wall Street Journal veröffentlicht im Juli 1990 eine ganzseitige Anzeige des Bankhauses Solomon Brothers, die zu zwei Dritteln aus einem Bild von Karl Marx besteht.
Die Headline der Anzeige lautete: «We’re helping Eastern Europe trade Marx for Dollars». Die Deutsche Telekom zeigt Marx in einer doppelseitigen Anzeige im Jahr 1995 als versteinertes Denkmal mit einem Mobiltelefon am Ohr und lässt potentielle Kunden wissen, dass mit dem Aufbau einer modernen Kommunikationsinfrastruktur im Osten Europas jede Menge «Kapital» zu machen ist. Die Autovermietung Sixt stellt in einer doppelseitigen Anzeige im Jahr 1998 das Porträt von Marx das Bild eines Mercedes SLK gegenüber. Aus dem Marx zugeschriebenen «Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann» wird der Mercedes mit demselben Zitat bebildert, lediglich das Wort «nicht» wurde weggelassen. Derlei Anzeigen legen nahe, dass darin auch das symbolische Erbe des Realsozialismus «abgewickelt» werden sollte.
Als sich Ende der 90er Jahre erstmals globalisierungskritische Bewegungen in die scheinbare Alternativlosigkeit zum kapitalistischen System einmischen, verändern sich auch die Werbeanzeigen wieder. Bezug wird nun erneut auf die aktuell verhandelten gesellschaftlichen und massenmedial verhandelten Themen genommen. So empfiehlt 2003 der australische Fahrradhelmhersteller Met Helmets DemoteilnehmerInnen das Tragen ihrer Produkte, und der schweizerische Kleidungsproduzent Mammut veröffentlicht 2005 anlässlich der Jahrestagung des WEF in Davos seine Produkte, damit Snowboarder auch bei einem möglichen Beschuss durch einen Wasserwerfer «immer schön trocken» bleiben. Zur Bebilderung verwenden derlei Anzeigen zumeist Bilder von Konfrontationen zwischen Polizei und Demonstrierenden – ähnlich wie es aus der «normalen» Berichterstattung über Demonstrationen bekannt ist.
In den letzten 15 Jahren tritt jedoch in vielen Anzeigen eine andere Erzählung deutlich hervor: Das Andocken an neoliberale Freiheitsversprechen und individuelle Möglichkeiten der Selbstinszenierung: «Revolution in eigener Sache». Die Aufforderungen und Versprechungen zur Gestaltung des eigenen Lebens mittels Entscheidungen zu Konsumpräferenzen durchzieht die Werbewelt wie ein roter Faden. «What are you fighting for?» fragt das Modelabel 40weft 2006 unter Rückgriff auf das bekannte Motiv der französischen Revolution von Eugene de la Croix. Zahlreiche Produzenten von Kleidung, Schuhen und Produkten zur Körperpflege verwenden derlei Motive, stets mit den Appellen «individuell» bzw. «anders» zu sein: «Be your own brand!» Einen echten Hingucker liess die Autovermietung Europcar im Jahr 2002 produzieren, als sie das Konterfei von Che Guevara mit den Worten überschrieb: «Auch du kannst Grosses bewegen!» Dass im kleingeschrieben Untertitel dann zwar nur von den «günstigen LKWs» des Unternehmens die Rede ist, spielt dabei ein untergeordnete Rolle. Die zentralen Botschaften bzw. Imperative, sowohl der Anzeige als auch neoliberalen Denkens lauten: Mach dein Ding! Mach es bedeutsam! Schreib auch du Geschichte. Oder um es mit Nike auszudrücken: «Just do it!»
Ähnliches ist auch einer Anzeige von Audi aus dem Jahr 2004 zu entnehmen, wenn unter Verwendung eines ikonischen Bildes des Black Panther Movements, der schwarzen militanten Bürgerrechtsbewegung der USA, getextet wird: «Wer Politik machen will, muss viel reden». Die Anzeige ist Teil einer Fotoserie, die unter der Headline «Nach eigenen Regeln» publiziert wurde, und in der zahlreiche gegenwärtig bedeutsame Normen und Anforderungen des heutigen Lebens und Arbeitens aufgegriffen werden: Sei kreativ, sei erfinderisch, denke quer, sei anders – kurz: lebe und arbeite «nach eigenen Regeln». Dass eine solche Aufforderung jedoch in der Praxis zahlreiche Schwierigkeiten nach sich ziehen kann, soll das letzte Beispiel illustrieren. Als der süddeutsche Radiosender BigFM im Jahr 2008 unter dem Slogan «Arbeiter aller Länder. Feuert euch!» dazu aufrief, mehr Spass am Arbeitsplatz zu haben und davon dann der BigFM-Redaktion via Mail, Telefon oder im hierfür eigens eingerichteten Weblog zu berichten, fiel das Ergebnis düster aus. Nur einzelne wenige positive Botschaften erreichten den Sender aus dem Inneren von Firmen, Büros und Betrieben – vielmehr wurde massiver Unmut über unzumutbare Arbeitsbedingungen, inkompetente Vorgesetzte und sich ständig erhöhende Leistungsanforderungen geäussert.
Im Kampf um Aufmerksamkeit wird wohl auch heuer, im Jahr des 200. Geburtstags von Karl Marx sowie dem Rückblick auf 50 Jahre «68» die eine oder andere Werbeanzeige publiziert werden, die sich des Zeichen- und Symbolarsenals linker und alternativer Protestbewegungen bedient. Nicht auszuschliessen ist auch der eine oder andere Werbe-Flashmob, der dann in den sozialen Medien «viral» gehen würde – es wäre nicht die erste Intervention dieser Art. Als 2010 in Deutschland anlässlich eines Castor-Transports nach Gorleben die Autovermietung Sixt eine grössere Gruppe Menschen als Demonstrierende ausstaffierte, die sich in die Proteste einreihte und auf Transparenten «Stoppt teure Transporte» forderten, fand dies in der Anti-AKW-Bewegung keinen grossen Anklang. Ob Unternehmen sich derzeit trauen, sich in reale Demonstrationen einzumischen ist hingegen fraglich geworden – Pepsi lässt grüssen.

Rudi Maier, Ludwigshafen/St. Gallen ist Empirischer Kulturwissenschaftler und forscht u.a. seit knapp 20 Jahren zu «revolutionärer» Ikonographie in der Werbung. Seine fortlaufende Sammlung «so geht revolution / Werbung & Revolte» umfasst ca. 3500 Printanzeigen sowie ca. 150 Werbevideoclips aus den Jahren 1967 bis heute.

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