Als Schwarze Mutter sorge ich mich um meine eigenen Kinder, die zwar nicht in der Schweiz wohnen, aber gleichwohl einen schwierigen, hürdenreichen Weg vor sich haben; ich sorge mich um ihre Zukunft. Aber ich sorge mich ebenso um die Schwarzen Jugendlichen, die hier in diesem Land leben. Ihre Zukunft sieht auch nicht gerade rosig aus, ihre Chancen auf einen erfolgreichen Werdegang stehen, anders als für weisse Jugendliche, eher schlecht. Egal, wie gut sie ausgebildet sind oder wie hart sie arbeiten, für Schwarze Jugendliche sieht die Zukunft häufig trostlos aus. Das ist die traurige Wahrheit und eine Realität, mit der diejenigen leben müssen, die ganz am unteren Ende der Gesellschaft geboren sind.

Diese Situation ist ihnen natürlich selbst bewusst, denn sie haben bereits erlebt, wie ihre Eltern vom Schweizer System behandelt wurden. Sie wissen, dass sie hier nicht willkommen sind, dass ihnen nicht zugetraut wird, es auf «Schweizer Art» zu schaffen. Vielen fehlt eine abgeschlossene Ausbildung, sie werden Reinigungskräfte, Fabrikarbeiter oder Verkäufer. Aber egal, wie gut sie ausgebildet sind, das Schweizer System gesteht ihnen ohnehin keinen Platz in seiner Leistungsgesellschaft zu. Ich denke an die Schwarzen Jugendlichen, die hier geboren sind, die so gut wie nichts über das Heimatland ihrer Eltern wissen – oder über ihre Wurzeln, nach denen sich die Schweizer so gern erkundigen. Ebenso wie die ältere Generation sehen sie sich immer wieder der perfiden Frage ausgesetzt: «Aber wo kommst du ursprünglich her?» Diese Frage, die suggeriert: «Du bist nicht von hier, du gehörst hier nicht hin.» Fast täglich wird uns diese Frage von irgendwelchen Fremden gestellt, als willkommene Zielscheiben für ihre Mikroaggressionen.

Es gibt natürlich auch junge Schwarze, die in diesem Land gute Jobs haben, wobei dieser Erfolg fürchte ich meistens jungen Leuten gemischter Abstammung vorbehalten ist – ihr weisser Anteil verschafft ihnen einen Vorsprung auf der Erfolgsleiter. Sie sehen auch nicht aus wie die Schwarzen Jugendlichen mit ihren krausen Haaren, sondern eher wie Europäer. Ihre Haare und ihre Hautfarbe machten sie «genehmer» für diese Gesellschaft, während die Schwarzen Jugendlichen die Verlierer in diesem Farbenroulette sind. Ich versuche den jungen Schwarzen, die ich treffe, Mut zu machen, trotz ihrer Lebensrealität, in der sie von Lehrern oft Ignoranz und Unverständis erfahren, sie nicht ernst genommen und eher wie Haustiere als wie Gleichgestellte behandelt werden, keine Unterstützung für ihre Ambitionen erhalten und ihnen eingetrichtert wird, sie sollten keine zu grossen Hoffnungen für ihre Zukunft hegen. All das und mehr höre ich immer wieder von den Jugendlichen, mit denen ich spreche.

Eine junge Schwarze Nachbarin von mir musste sich damit abfinden, dass sie als einziges Mädchen in ihrer ganzen Klasse keine Ausbildungsstelle fand. Ihre Haut ist sehr dunkel, sie trägt die Haare in Braids geflochten, ist gross und kräftig gebaut. Als ich sie auf der Strasse traf, brach sie in Tränen aus. Sie war verzweifelt und schämte sich für ihre Hautfarbe. Sie konnte nicht länger leugnen, dass die Schweizer Gesellschaft sie nie wirklich akzeptiert hatte, dass sie nie ernst genommen worden war und sie als einzige Schwarze Person an ihrer Schule wie ein Affe im Zoo behandelt worden war. Heute hat sie den Kontakt zu ihren Schulfreunden und -freundinnen abgebrochen, ebenso wie zu ihren Lehrern und Lehrerinnen – ist das nicht traurig?

Der rassistische Angiff auf George Floyd war ein beschämendes Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und hat dazu geführt, dass die Schweizer Regierung einige Projekte und Massnahmen gegen Rassismus lanciert hat. Aber ich bin es leid: Plötzlich sieht man
an jeder Ecke Schwarze Gesichter auf den
Werbetafeln. Ob Schwarze Tramführer oder Schwarze Banker, sie alle lächeln strahlend in die Kamera. Und es ist natürlich schön, dass sie diese Chance bekommen, aber ich frage mich, ob das nicht alles nur ein kurzlebiger Trend ist? Der Schweiz ist ihr Image und ihre Aussenwirkung in der Welt extrem wichtig, und man würde alles tun, um jeglichen Anschein von Rassismus in dieser angespannten Zeit in Europa und der Welt im Keim zu ersticken. Es ist jedoch an der Zeit, dass junge Schwarze tatsächliche Rückenstärkung erhalten. Sie brauchen hilfreiche Massnahmen, ja, aber vor allem brauchen sie Respekt und Akzeptanz und eine faire Chance auf Erfolg in dieser Gesellschaft. Sie verdienen es, gehört zu werden: aussprechen zu dürfen, was es heisst, Schwarz und aufgrund dessen benachteiligt zu sein. Auch sie verdienen eine Lehrstelle, die sie erfüllt und ihnen Freude macht, eine Chance, an die Spitze zu kommen, ohne vorverurteilt zu werden, Das ist alles keine Hexerei, sondern ganz einfach eine bewusste
Hinwendung zu einer vielfältigen, diversen Gesellschaft. Schweizer, hört ihr zu?

Von Paula Charles
www.paula-charles.ch

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

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