Sobald es draussen ständig dunkel ist, es regnet und manchmal schneit, beginnen die Menschen hier mit seltsamen Ritualen, und das Land senkt sich langsam ins Okkulte.

Das Mystische pocht den Schweizerinnen und Schweizern seit jeher im Blut, sei es Händeauflegen im Emmental, Händeauflegen im Appenzell, Händeauflegen in Obwalden oder Ameisenbeobachten im Muothatal, wir haben viele besondere Gaben. Wir können heilen, hexen, auf Äpfel auf den Köpfen unserer Kinder schiessen, ohne dass diese Schaden nehmen, und von den Toten auferstehen. Die Fähigkeit zum Übernatürlichen ist auch der Grund für den Wohlstand unseres Landes: Wir bestehlen einander und andere mit Geldzaubereien wie Schenkkreise und Knebelverträge, dazu machen wir lässige Wirtschaftsabkommen mit befreundeten teuflischen Staaten.

Um unsere bösen Absichten zu unterstreichen, kleiden wir uns im Winter in unheimliche Kleidung. Im November rotten wir uns zusammen um, schrecklich verkleidet und mit grausig bemalten Gesichtern (oft mit Glitzereffekt), gemeinsam Lärm zu machen. Im Dezember folgt ein Brauch, bei dem unsere Kinder in dunklen Wäldern ältere Männer in Mänteln besuchen müssen. Bald darauf essen wir unter einem mit Plastik und Schokolade behängten Baum, den wir mit viel mit Mühe und knapp ohne Familientherapie im Wohnzimmer aufgestellt haben, zeremoniell Speisen wie «Fondue Chinoise» oder «Mongolenhut». Danach sollen die Kinder Geschenke auspacken, die ihnen von einem Säugling gebracht wurden. Anfang Januar backen wir in unseren Hexenöfen Kuchen, der wie Brot aussieht und in dem wir eine kleine Figur verstecken. Das Ziel dieses Brauches ist, dass möglichst viele Menschen an der kleinen Figur ersticken, am liebsten Auswärtige, ha!

Das sind lediglich die Bräuche, die in der ganzen Schweiz zelebriert werden. Was die Schweiz aber so einzigartig macht, sind ihre Kantone und Regionen mit ihren ganz eigenen, umso seltsameren Bräuchen. Seit Jahrhunderten gilt: Je grausamer die Rituale, desto schweizerischer ist man. Eifrige Bewahrer solcher Riten waren und sind beliebt in der Dorfgesellschaft und erfolgreich in der Lokalpolitik. Mittlerweile wurden ausserdem fast alle unsere okkulten Praktiken von der UNESCO zum Weltkulturerbe hochgejubelt. Warum also nicht weiterhin bösartig und rückständig sein? Ja, in der kalten Jahreszeit zeigen die Schweizerinnen und Schweizer ihre Niedertracht ganz offen und sie tun es mit Stolz.

Später, im Hochsommer, zum Nationalfeiertag, veranstaltet jede Gemeinde ihren eigenen Scheiterhaufen. Damit gedenkt man all jenen, die man in den vergangenen Jahrhunderten darauf verbrannt hat: Menschen, die sich für Wissenschaften, wie etwa Botanik und Medizin interessiert hatten: Ha! Gut gebrannt haben die. Und noch heute sind die Schweizerinnen und Schweizer sehr gut im Bräteln. So beissen wir Sommers in die in der Glut aufgeblühten Cervelat-Enden und schauen mit grossen Augen in das Feuer. Weil grosse Augen wirken unschuldig. Ja, wir sind so durchtrieben wie wir hinterhältig sind, und dabei bleiben wir ein lustiges kleines Völklein!

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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