Der Wissens- und Nachrichtendurst im 16. Jahrhundert, im Zeitalter der Reformation, unterscheidet sich kaum von dem heutigen. Wie frustrierend mag es da gewesen sein, dass dieser damals nicht so leicht gestillt werden konnte: ohne Internet und Telefon, ohne regelmässige Zeitungen; selbst der Postverkehr war nur in ersten Ansätzen vorhanden. Der Nachrichtenfluss im 16. Jahrhundert war also vor allem eines: langsam. Wer sich weiter als über den sprichwörtlichen Gartenzaun austauschen wollte, musste zu Papier und Feder greifen. Doch Lesen und Schreiben konnten nur wenige, und so profitierte zunächst auch nur ein kleiner Bevölkerungsteil von der neuen und teuren Technologie des Buchdrucks. Im Laufe des Jahrhunderts wurde aber sowohl der Postverkehr als auch der Buchdruck stetig verbessert und ökonomisiert, so dass grössere Teile der zunehmend lese- und schreibkundigen Bevölkerung Zugang zu mehr Informationen hatte: Das Medienzeitalter begann. Die von Luther ausgelöste Reformation hätte kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt stattfinden können und sollte Europa binnen weniger Jahre für immer verändern.

Buchdruck

Nach frühen Versuchen in Asien und vereinzelt auch in Europa nahm der moderne Buchdruck in Europa erst mit der Erfindung der Druckerpresse und auswechselbaren Metalllettern durch Johannes Gutenberg in Mainz im Jahr 1450 seinen Anfang. Die dort 1454 fertiggestellte 42-zeilige Bibel läutete die Ära des Buchdrucks ein. In nur wenigen Jahrzehnten breitete sich das Druckgewerbe zunächst über das ganze Heilige Römische Reich deutscher Nation aus, zur Jahrhundertwende waren Druckerpressen bereits an über 200 Orten in ganz Europa in Betrieb. Schätzungsweise sind von diesen sogenannten Inkunabeln (Wiegendrucken), d.h. zwischen 1454 und 1500 gedruckten Texten, weltweit etwa 27’500 Werke mit einer Gesamtzahl von 550’000 Exemplaren erhalten. Dabei stammten etwa zwei Drittel der Buchproduktion aus zwölf bevölkerungsreichen, zentral gelegenen Städten, während Druckereien in kleinen, entlegenen Orten nur in bescheidenem Umfang produzieren konnten und oft aus wirtschaftlichen Gründen wieder schliessen mussten.

Viele Drucker endeten im Ruin, so auch Gutenberg

Die Offizinen bekannter Drucker entwickelten sich bald zu Zentren der intellektuellen Elite, man denke etwa an Aldus Manutius in Venedig, zu dessen Kreis eine Zeit lang auch Erasmus von Rotterdam gehörte. Der Buchdruck wurde schnell zu einem eigenen Berufs- und Wirtschaftszweig. Der Drucker war zunächst für alles selbst zuständig. Er musste Geld beschaffen, um Pressen, Drucker und Papier zu finanzieren, Texte und Autoren finden, die Höhe der Auflagen festlegen, anfangs auch seine Produkte selbst verbreiten. Das war nicht einfach und noch dazu kostspielig, gerade beim Druck umfangreicher, grossformatiger, womöglich mit Holzschnitten und Gravuren illustrierter Werke. Viele Drucker endeten im Ruin, so auch Gutenberg selbst. Erst nach mehreren Jahrzehnten hatten die Drucker ihre Arbeit optimiert und einen Weg gefunden, ihr Gewerbe rentabel zu machen. Grosse Folioausgaben waren noch immer zeitaufwändig und teuer, Flugschriften und Einblattdrucke hingegen konnten kostengünstig und schnell produziert werden. Mancher Drucker hielt sich mit der Massenproduktion von Einblattdrucken wie Ablassbriefen oder Kalendern über Wasser.

Gedichte, Lieder, Prophezeiungen, Missgeburten und Wunder wurden en masse gedruckt

Gepaart mit dem Bedürfnis nach Informationen, das den Menschen der Frühen Neuzeit zu eigen war, wurde der Buchdruck im frühen 16. Jahrhundert immer mehr zu einem Massenmedium. Die Produktion von kurzen Flugschriften überschlug sich: Gedichte, Lieder, Prophezeiungen, Werbezettel, aber auch konkrete Ereignisse und solche aus der Welt der Sensationen – Himmelsphänomene, Missgeburten, Wunder usw. – wurden en masse gedruckt und unters Volk gebracht. Damit wurden Nachrichten erstmals Teil der Unterhaltungsindustrie – auch der frühneuzeitliche Mensch gierte nach Spektakel. Und schon damals nahm man es im Hinblick auf die Verkaufszahlen mit dem Wahrheitsgehalt nicht immer so genau. Gerade aufgrund der fortschreitenden Konfessionalisierung und nationalistischen Abgrenzung waren die Darstellungen oft parteiisch, die Helden der Geschichten waren Protestanten oder Katholiken, oder eben Deutsche, Franzosen oder Italiener.

Exakte Zahlen zu den verschiedenen gedruckten Werken und ihrer Auflage lassen sich aufgrund fehlender Angaben meist nur schwer ermitteln, zudem überlebten Kleinstdrucke wie Ablasszettel aufgrund ihres physischen Erscheinungsbildes nur in vergleichsweise geringer Anzahl. Auch fehlte es lange an transnationalen Bibliographien, die die Gesamtheit der Drucke aus der Frühen Neuzeit umfassen. Erst jetzt erlaubt der «Universal Short Title Catalogue» einen Überblick über den frühneuzeitlichen Buchdruck: Für die Zeit bis zum Jahr 1601 führt die Datenbank über 364’000 Titel in 1.5 Millionen Exemplaren an. Viele dieser Werke sind äusserst selten; von etwa 30% der aufgeführten Titel ist nur ein einziges Exemplar bekannt.

Luther sprach erstmalig das Volk an

Luther, der die Bewegung verursachte, die später «Reformation» genannt und deren Beginn auf die berühmte Thesenverteidigung vom 31. Oktober 1517 festgesetzt wurde, war nicht nur ein begabter Theologe. Er verstand es auch, die sich ihm mit dem Buchdruck bietende Chance zur raschen Verbreitung seiner Ideen über ein grosses Gebiet zu nutzen. Er schrieb wenig theologische Wälzer auf Lateinisch, die nur einer handvoll Gebildeter zugänglich waren. Stattdessen verfasste er vor allem gut verständliche, kurze Schriften, die von den Druckern schnell produziert und von der Bevölkerung (die sich diese Abhandlungen oft vorlesen liess) relativ günstig gekauft werden konnten. Zudem schrieb er oftmals auf Deutsch, so dass nun auch Laien Zugang zu theologischen Themen hatten. Durch die Zusammenarbeit mit Lucas Cranach, der aussagekräftige Titelillustrationen, Initialen und Holzschnitte für Luther schuf, und dank den Druckern in seiner Heimatstadt Wittenberg, die Luthers Marktwert und dessen Bedeutung für ihren eigenen Erfolg schnell erkannten, wurden seine Schriften rasch bekannt. Luther und der Buchdruck sind somit untrennbar miteinander verbunden. Dies war zuvor schon der Fall bei Erasmus’ Werken gewesen, die aber hauptsächlich an die Gelehrten gerichtet waren – Luther sprach erstmalig das Volk an.

Dank der neuen Technologie wurde die Reformation laut dem britischen Historiker Andrew Pettegree zu «Europe’s first mass-media news event». Doch dies hatte auch eine Kehrseite: Angesichts der zunehmenden Flut an volkssprachlichen Schriften, die der Masse leichter zugänglich waren und nicht nur zum Abfall vom katholischen Glauben, sondern durchaus auch zur Rebellion anstacheln konnten (z.B. im Bauernkrieg 1525), beobachtete die Obrigkeit das neue Medium kritisch, denn es war auch eine polemische Waffe. So kam es zu Bücherverbrennungen und zur Einführung der Zensur.

Nachrichtenwesen

Besonders in den ersten 50 Jahren des Druckzeitalters diente das gedruckte Buch weniger der Übermittlung von Nachrichten, sondern mehr der Tradierung von Wissen. Die Frühdrucke waren häufig bekannte, grosse und teure lateinische Bücher, oft aus dem Bereich der Theologie, der Medizin, der Geschichte oder des Rechtswesens. Nachrichten hingegen wurden lange in traditioneller, mündlicher Form übermittelt. Nur die Kirche, Regierungen und wenige reiche Händler konnten sich ein eigenes Botensystem leisten oder hatten Zugang zu einem solchen. Ein eigentliches Postwesen – und in der zweiten Hälfte des 16. Jh. auch ein Zeitungswesen – entstand allmählich in den Handelsstädten Italiens, im Heiligen Römischen Reich, den Niederlanden, England und Frankreich, und nach und nach in anderen europäischen Staaten. Das Volk musste sich auf die kostenlos und zufällig zugänglichen Nachrichten beschränken, die etwa im Wirtshaus oder auf dem Marktplatz ausgetauscht oder in grösseren Orten allenfalls durch einen offiziellen Herold laut verlesen wurden. Die Kommerzialisierung des Nachrichtenverkehrs setzte die Drucktechnik voraus und bildete sich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts aus. Mit den sog. «Avvisi» in Italien und den Fuggerzeitungen in Deutschland entwickelte sich im 16. Jh. allmählich eine Art Nachrichtenwesen. Die Meldungen in nüchternem Telegrammstil, anfänglich von Hand und später maschinell vervielfältigt, dienten der Obrigkeit zur Information, dem einfachen Volk aber waren sie kaum zugänglich oder nützlich.
Problematisch war nicht nur die Übermittlung von Nachrichten, sondern auch deren Glaubwürdigkeit. Bis eine Mitteilung aus einem anderen Teil Europas eintraf, konnte es Wochen, ja Monate dauern. Einem Bericht allein, egal ob in mündlicher oder schriftlicher Form, konnte man kaum trauen. Erst wenn eine Information durch mehrere Berichte bestätigt wurde, schien diese als wahr anerkennbar zu sein. Manche Quellen wurden zudem verlässlicher als andere eingestuft. Oft glaubte man den Mitteilungen aus dem Munde oder der Feder von respektablen Ehrenmännern mehr als gedruckten Nachrichten. Dies ist auch ein Grund dafür, warum der Buchdruck ältere Kommunikationsformen wie mündliche oder handschriftliche Mitteilungen nicht verdrängte.

Briefwesen

Schreibkundige im 16. Jahrhundert griffen auch zur Feder, um Nachrichten zu versenden und zu verifizieren. In einer Zeit, in der das Reisen mühsam, zeitaufwändig, teuer und nicht selten gefährlich war, war der Brief meist die einzige Möglichkeit zur Pflege von Kontakten. Das stilvolle Briefschreiben gehörte auch zur humanistischen Schulbildung. Das Knüpfen von Kontakten, Fachgespräche und der Austausch von Nachrichten über die Stadtgrenzen hinaus standen in einer Zeit ohne Massenkommunikationsmittel nur den Personen offen, die Briefe schrieben: «Networking» im 16. Jahrhundert war normalerweise nur per Brief möglich.

Bullingers Korrespondentennetzwerk reichte von England bis nach Weißrussland und von Dänemark bis nach Italien

In Zürich haben wir in der Person des Reformators Heinrich Bullinger (1504–1575) ein herausragendes Beispiel hierfür. Der Nachfolger Huldrych Zwinglis hinterliess neben zahlreichen theologischen Werken eine riesige Korrespondenz von ungefähr 12’000 Briefen, die einen Zeitraum von 50 Jahren umspannen. Diese werden am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte an der Universität Zürich in chronologischer Reihenfolge ediert und in Buchform herausgegeben; die Briefe bis Mai 1546 sind auch online zugänglich. Um die 10’000 Briefe sind an Bullinger gerichtet, die übrigen 2’000 stammen aus seiner eigenen Feder. Damit stellte er auch die schreibwütigsten seiner Kollegen in den Schatten: Aus der Korrespondenz Zwinglis etwa sind nur ca. 1’300 Briefe erhalten, aus der von Luther nur ca. 4’200 Stücke. Da davon auszugehen ist, dass der äusserst gewissenhafte Bullinger auch alle Briefe beantwortete, ist die Gesamtzahl seines Briefcorpus auf über 20’000 anzusetzen. Etwa 80% der Briefe sind auf Latein verfasst – damals die internationale Korrespondenzsprache wie heute das Englische. Die restlichen Briefe sind auf Frühneuhochdeutsch geschrieben, das dem heutigen Schweizerdeutsch recht ähnlich ist; in manchen Briefen kommen auch beide Sprachen vor. Die Pfarrer und Gelehrten unter sich schrieben meist auf Latein, während Nachrichten, die für Laien wie Bürgermeister und Ratsherren bestimmt waren, auf Deutsch geschrieben wurden.

Bullinger benutzte seine Briefe auch bewusst als Mittel, um die Entwicklung von Politik und Kirche in anderen Städten und Ländern zu steuern. Er selbst verliess kaum jemals das damals an die 5’000 Einwohner zählende Zürich, aber durch seine Briefe machte er die Stadt trotzdem für lange Zeit zum Zentrum der reformierten Welt. Sein Korrespondentennetzwerk reichte von England bis nach Weißrussland und von Dänemark bis nach Italien. An die 1’100 Korrespondenten hatte Bullinger, die den verschiedensten Gesellschaftsschichten entstammten: Neben Königen und Fürsten sind es vor allem normale und eher unbekannte Leute, wie Pfarrer, Händler, Lehrer, Künstler und Studenten. Übrigens zählten auch Frauen zu Bullingers Korrespondentenkreis, was im 16. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich war. Die Themenvielfalt ist gross. Neben persönlichen und theologischen Themen geht es vor allem um politische Neuigkeiten. Briefe, besonders die von wichtigen Persönlichkeiten, wurden sehr geschätzt. Man las sie anderen vor, schrieb sie ab und leitete sie weiter. Manchen Briefen wurden auch kurze, handschriftlich verfasste Nachrichtenüberblicke, «newe zytungen [= Nachrichten]» genannt, beigelegt, die dann im Original oder in Abschrift weiterversandt wurden.

In brisanten politischen Lagen war die Übersendung von Nachrichten gefährlich für Boten oder Schreiber

Dank guter Kontakte zum Zürcher Rat konnte Bullinger manchmal seine Briefe mit dem offiziellen Ratsboten schicken, nutzte aber auch die Dienste anderer Boten, die er dafür bezahlen musste. Oft wurden die Schreiben auch reisenden Händlern mitgegeben, die dann bei ihrer Rückkehr eine Antwort mitbrachten. Ein beliebter Austauschort von Briefen war auch die halbjährlich stattfindende Buchmesse in Frankfurt. Der bedeutendste Zürcher Drucker, Christoph Froschauer, der auch die meisten Bücher Bullingers druckte, diente den Zürchern dabei sehr oft als Bote. Ein Brief von Zürich in das ca. 70 km entfernte Konstanz etwa brauchte ein bis zwei Tage; Mitteilungen aus anderen Regionen konnten mehrere Wochen, ja Monate unterwegs sein. Gerade in brisanten politischen Lagen war die Übersendung von Nachrichten, etwa über gegenteilige religiöse oder politische Lager, auch gefährlich für Boten oder Schreiber, so dass man daher oft die Anrede und Unterschrift wegliess oder Abkürzungen oder eine Geheimschrift verwendete.

Auch wenn der Transfer von Wissen und Nachrichten im 16. Jahrhundert deutlich langsamer und komplizierter war, so lechzten die Menschen damals genauso nach Informationen wie heute. Der Erfolg des Buchdrucks, der einerseits wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Luthers Reformation war, und einerseits durch ebendiese Bewegung revolutioniert wurde, zeichnete den Beginn der Ära der europäischen Massenmedien.

Alexandra Kess-Hall studierte in Erlangen und München Anglistik/ Theologie und promovierte in St. Andrews in Geschichte der frühen Neuzeit. Seit 2004 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Bullinger-Briefwechsel-Edition am Institut für Schweiz- erische Reformationsgeschichte der Universität Zürich.

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