Auf jeden Sommer, folgt der Winter, auf jedes grosse Fest folgt der grosse Kater. Nach der grössten Demo der Bewegung, an Weihnachten 1980, bei der sich rund zehntausend Personen noch einmal aufbäumten gegen die Schliessung des AJZ, die Polizeigewalt und die weihnächtliche Dekadenz des Bürgertums schlechthin, wurde es verdammt kalt. Zu Jahresbeginn hätten sich dann viele Leute die Haare abgeschnitten und eine Lederjacke zugetan, erzählt ein Punk der ersten Stunde, dessen Äusseres heute eher einem Schamanen nachempfunden ist. Plötzlich gab es nicht mehr zwanzig Punks sondern weit mehr als zweihundert. Die Lederjacke, die Kämpferstiefel und die kurz geschorenen Haare werden zum modischen Accessoire für alle, die einfach irgendwie «öpis aschisst». Die Zeitung Eisbrecher verkündet pünktlich zum Anbruch der kältesten Jahreszeit ihren Rückzug. Nicht ohne Selbstironie zeigt das Titelblatt der letzten Eisbrecher-Ausgabe eine Fotografie von Breschnew und den Funktionären des Zentralkommitees der Kommunistischen Partei. Mit einem Augenzwinkern setzt sich die Redaktion in Beziehung zu den Rädelsführern des verteufelten «Moskau» und distanziert sich mit ihrem freiwilligen Abgang gleichzeitig davon. «Wir sind nicht Radio 24, wir können auf Fans verzichten, und machen Platz für andere», schreibt die Redaktion lakonisch.

Nicht wenige aus der Bewegung ziehen sich zurück, in die eigene WG, oder sie versuchen gleich auszusteigen und sich selbst zu versorgen. Andere Szenen bilden sich, das Brecheisen löst den Eisbrecher ab – mit weit dilettantischeren Mitteln und brachialeren Worten. Die Demos und Vollversammlungen laufen sich langsam tot. Die Bewegung zersplittert, interne Streitigkeiten nehmen zu, das Drogenproblem wird grösser. Die Repression nimmt Überhand und die Bewegung verliert zunehmend ihr Mobilisierungspotential.

Auf jede kleine Revolution, und das war sie, die Zürcher «Bewegig», folgt eine Phase des Stillstands. Und der Stillstand schafft mittelfristig den Nährboden für neues Feuer. Man kann sich fragen, wie lange der Stillstand in dieser Stadt noch andauern kann, wo das Feuer geblieben ist und die Wut und wo der Soundtrack dazu. Man darf hoffen, dass die Fülle und die Lücke, die die Bewegung 1980 gleichermassen hinterlassen haben, dereinst wieder Feuer entfachen und eine neue Sprache schaffen, die sich einschreiben in die Geschichte der Bewegungen, die um ihrer Natur willen noch lange nicht zu Ende sein darf.

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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