Ich habe mich oft gefragt, was Feminismus eigentlich ist. Für viele Frauen ist das ein empfindliches Thema, egal ob sie Feministinnen sind oder nicht. Ich wurde schon oft als Feministin bezeichnet und allein beim Verfassen dieses Texts erschleicht mich schon wieder das Gefühl, dass ich mich damit in Teufels Küche bringen könnte. Schwarze Frauen meiner Generation, ebenso wie die Generationen davor, hatten keine Zeit für solche Angelegenheiten, wie etwa Männer auf ihren Platz zu verweisen oder uns mit ihnen zu messen.

Die Sechzigerjahre gelten gemeinhin als Geburtsstunde der Frauenrevolution, aber ich glaube, dass diese viel früher begonnen hat, für weisse Frauen mit der Frauenbewegung in Europa, die sich für die soziale Gerechtigkeit der Geschlechter einsetzte. Die Anfänge in Afrika liegen im frühen zwanzigsten Jahrhundert, als sich Schwarze Frauen in den Befreiungsbewegungen zu engagieren begannen, die überall auf dem Kontinent aufkamen, um die afrikanischen Nationen in die Unabhängigkeit zu führen. Diese standen für Gleichberechtigung, Sensibilisierung, Rassengleichheit. Und so stehen im Zentrum des afrikanischen Feminismus die speziellen Bedürfnisse und Probleme der afrikanischen Frauen.

Ich erinnere mich an den Schwung, den die Sechzigerjahre in die Frauenrechtsbewegung und den Kampf für Gleichberechtigung brachten – an Frauen, die sich weigerten, einen BH zu tragen. Ehrlich gesagt, war ich ein wenig irritiert und auch verärgert, dass mir diese Frauen mein Gefühl, meine Lebensweise im Hinblick auf Männer absprechen wollten. In unserer Kultur war es eine Frage des Respekts, einen Mann an unserer Seite zu haben, beziehungsweise ein paar Schritte hinter ihm zu gehen, ihn den ersten Schritt machen und das letzte Wort haben zu lassen. In der damaligen Zeit und Kultur war es normal, dass er mich behandeln durfte, wie er wollte. Es war sein Recht, Macht über mich zu haben – mental wie auch körperlich. Ich hatte nichts zu sagen, und das war für mich in Ordnung, denn so kannten wir es.

Ich hatte keinerlei Interesse an frustrierten Frauen, Männerhasserinnen, Frauen, die lieber Männer sein wollten, die mit unrasierten Achseln und Beinen auf die Strasse gingen, sich nicht für die Männer zurechtmachten. Ich empfand damals eine gewisse Abneigung gegen sie. Nicht ein einziges Mal hörte ich mir wirklich an, was sie zu sagen hatten oder warum sie öffentlich demonstrierten unter Androhung von Polizeigewalt, Tränengas, Stockschlägen oder sogar Gefängnisstrafen.

Als ich in der Schweiz ankam, arbeitete ich sieben Jahre lang als Gogo-Tänzerin, in einem Job, in dem Männern das Gefühl gegeben wurde, ich wäre ihr Eigentum. Ich wurde immerhin dafür bezahlt, sie zu unterhalten, und hatte keine eigenen Ansprüche zu stellen. Ich war umgeben von Männern, die das Recht hatten, mich zu begaffen und zu kritisieren.

So lernte ich auf die harte Tour, was mein Frau-Sein und meine Weiblichkeit bedeuten und worum es beim Womanismus geht: Selbstwert und Selbstbewusstsein, die Kontrolle über meinen Geist und Körper zu haben – das wurde für mich immer attraktiver, und ich signalisierte der Aussenwelt immer mehr, dass ich kein wehrloses Miezekätzchen mehr war. Am Anfang fiel mir das schwer, denn kaum eine Schwarze Frau beschäftigte sich damals mit ihrem weiblichen Selbstbewusstsein oder setzte sich mit dem missverstandenen und so stark aufgeladenen Wort Feminismus auseinander. Die meisten Schwarzen Frauen tauschten sich auch nicht über dieses Thema aus, es war tabu. Männer sagten mir, ich sei zu stark, zu aggressiv, zu laut und heftig. Und fast glaubte ich ihnen, ohne in all diesen Jahren zu verstehen, dass ich das Kleid und die Hosen anhatte, dass ich Schwarz und eine Frau war.

Was bedeutet Feminismus also heute für mich? Für mich geht es um Freiheit – Womanismus, Feminismus steht für Freiheit. Es geht darum, diese Befreiung endlich in mir drin zu spüren, nicht mehr der Fussabtreter, das Spielzeug, von irgendeinem Mann zu sein, sondern ebenbürtig in meinem Selbstwert, und die Gesellschaft aus einer feministischen Perspektive zu betrachten. Feminismus ist eine Entscheidung, und diese Entscheidung wird von einer Frau getroffen, die ihre eigene Kraft erkannt hat und sich nicht unterkriegen lässt, weil sie genau die Person ist, die sie sein möchte. Schlussendlich müssen wir im Einklang mit unserem Geist, Körper und unserer Seele leben können, denn das da draussen ist keine Männerwelt mehr, es ist unsere Welt.

Paula Charles
www.paula-charles.ch

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

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