Das langgezogene, niedrige Gebäude sieht aus wie ein Fenster, das man verschieben wollte, während der Computer sich aufgehängt hat. «Herzlich willkommen» Aus der Öffnung blickt dem Ehepaar ein etwa 1 Meter 50 großer grauer Zylinder entgegen, der in der Körpermitte eine Ausbuchtung hat, etwa wie bei einem Kaffeeautomaten, und oben einen schräg befestigten Bildschirm. Auf dem Bildschirm sieht man einen Mann Mitte fünfzig mit glänzend grauen Haaren und einem einzelnen Ohrring. Dieser hat eine Kaffeepause hinter sich, die er allerdings allein mit einem Krümeltee verbracht hat, da ihm sein Arzt von Kaffee und vergleichbaren Getränken streng abgeraten hat. Seine Kollegen haben auf die Pause verzichtet, um früher Schluss zu haben. Das Ehepaar wechselt einen Blick.

«Hallo», sagt Maria übermässig deutlich. Der Bildschirmmann nickt langsam. «Wir würden gern etwas aus unserem Lagerraum holen», übernimmt Derek. Die Selbstverständlichkeit von diesem «Wir» löst bei Maria einen gewissen Ekel aus, den sie aber sofort unterdrückt. Immerhin ist in diesem Zusammenhang das «Wir» nur richtig und angebracht. Sie haben den Lagerraum vor zwei Jahren gemeinsam gemietet und jetzt, da sie schon fast vergessen haben, was sich darin befindet, und sie ihren gemeinsamen freien Tag dafür opfern, mal durch die Sachen zu gucken und den «Keller» ordentlich zu entrümpeln, kann von nichts anderem als von «Wir» die Rede sein. Und dennoch. «Ja, natürlich», tönt es aus den scheppernden Lautsprechern des Empfangsroboters; es ist fast, als käme das Geräusch ganz tief aus seinem Inneren und müsste sich erst den Weg durch das ganze billige Plastik kämpfen. «Halten Sie bitte Ihren Ausweis vor die Kamera, und ich führe Sie zu Ihrem Abteil.»

Die wirklich routinierten Lagerraummanager reden natürlich nicht emotionslos und (haha) roboterhaft daher, sondern schlafen, beten und essen mit einem freundlichen Lächeln. Während Derek in seiner Hosentasche kramt, schaut sich Maria im Innern des Gebäudes um. Der Eingangsraum ist weitgehend leer, bis auf eine Plattform auf dem Boden, die mit einem Kabel an die Steckdose angeschlossen ist. Da steht wohl der Roboter, wenn er nicht gebraucht wird. Unwillkürlich stellt Maria sich vor, wie er jeden Abend mit einem Glas warmer Milch auf die sanft erhöhte Plattform steigt und noch ein bisschen in einer Zeitschrift blättert, bevor der Bildschirm endgültig schwarz wird. Ihr Ehemann hält nun seinen Ausweis vor die Kamera, wie immer fällt ihr auf, dass er mit langen Haaren furchtbar aussieht. Der Roboter dreht sich mit einem kurzen «mir nach» um und fährt zur Tür, die sich vor ihm automatisch öffnet. Anfangs hat es dem silberhaarigen Mann Spass gemacht, die Türen und Tore aus der Entfernung zu öffnen und vor der Webcam Grimassen zu schneiden, wenn die Kunden ihn gerade nicht sehen konnten, weil der Roboter mit dem Rücken zu ihnen gedreht war. Heute steht ihm nicht der Sinn danach. Sie folgen ihm durch einen langen Gang mit vielen Toren. Irgendwann hält er vor einem, das ihnen kein bisschen bekannt vorkommt, und verkündet mit seinem eindringlichen Lächeln «da wären wir, schauen Sie sich um und rufen Sie mich, wenn Sie fertig sind.» Mit diesen Worten entfernt sich der Roboter und mit ihm der Mann, der ihn kontrolliert, der überhaupt das ganze Lagerhaus kontrolliert, der sich in den letzten Jahren ganz gut an seine Tätigkeit angepasst hat, so gut, dass er an manchen Tagen in Hausschuhen zur Arbeit kommt. Er schiebt das Bild der Webcam zur Seite und öffnet Facebook. Das Ehepaar betritt ihren Lagerraum.

Eine Viertelstunde vergeht. Der zuständige Fernmitarbeiter hat einen der Kopfhörer abgesetzt und sich lässig auf seinem Bürostuhl zurückgelehnt. Gerade schaut er ein Video auf Facebook, in dem ein sehr optimistischer Mann über die Vorteile von Smarthouses spricht. Im Zuge seiner Tätigkeit als Lagerraumkoordinator, hat der Silberhaarige eine ganze Menge an Innovations- und Technikseiten auf Facebook abboniert; ein Thema, das ihn zwar inhaltlich nicht besonders interessiert – er gehört zu den Menschen, die Toast noch in der Pfanne machen – das er aber trotzdem mit Faszination verfolgt. Irgendwas ist an diesen Robotern, Online-Heizungen, Bewegungserkennungsmülleimern und WLAN-Toastern dran. Es sind nicht mal die Geräte an sich. Eher die Art und Weise wie sie besprochen werden.

Die Menschen reden in den Kommentarspalten und Bewertungsseiten mit fast kindlicher Begeisterung von ihren Gadgets, stürzen sich in Ausführungen und Berichte darüber, wie sehr der Staubsaugerroboter ihr Leben erleichtert. Plötzlich hört er etwas anderes aus den Kopfhörern. Ein Knall. Aus einem der Lagerräume. Er steckt wieder beide Kopfhörer rein und manövriert den Roboter in Richtung des Raumes, in dem sich das Ehepaar befindet. Ganz langsam und ohne seine eigene Webcam anzuschalten, er weiss, Menschen, die in ihrer Vergangenheit wühlen, wollen nicht gestört werden. In Hörweite hält er an. Er schaut sich im Büro um. Er ist allein. Seine Mitarbeiter sind gegangen, die Lagerräume, in denen sie arbeiten, werden jetzt bedient von anderen Menschen, hunderte Kilometer entfernt, und die Bildschirme der fahrenden Zylinder zeigen andere Gesichter. Er ist allein. Er dreht die Lautstärke hoch.

«Nein, das kann nicht sein. Das KANN nicht sein. Ich weiss, was ich gesagt hab.» Derek klingt sehr gereizt. Wahrscheinlich hat er keinen Staubsaugerroboter. «Jaa natürlich. Wie könntest du so etwas vergessen. Wir führen ja auch nicht zum hundertsten Mal dasselbe Gespräch.» Marias Stimme ist deutlich besser zu verstehen. «Es ist nicht dasselbe Gespräch. Wir reden jetzt gerade über unser Gespräch beim letzten Mal. Das hätten wir beim letzten Mal gar nicht tun können, weil da ja das Gespräch erst am stattfinden war.» Touché. «Na toll. Jetzt reden wir schon wieder darüber wie wir darüber reden. Ich hab das so satt.» «Toll, gut, dann reden wir doch darüber, worüber wir wirklich reden sollten.» «Aha.» «Ja, warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass du mit diesem Typen weggehst?» «Es stört dich also doch!» «Nein, du verstehst das nicht. Es stört mich nicht, dass du mit ihm weggegangen bist, es stört mich, dass du es mir nicht gleich gesagt hast.» «Ja und beim letzten Mal, als wir darüber geredet haben, hat es dich nicht gestört. Da hast du gesagt, es wäre in Ordnung und du könntest es verstehen. Oder hast du das damals nur so gesagt?» «Nein, ich… ich hab das nicht nur so gesagt.» «Du bist so ein Heuchler. Du hebst deine alten Liebesbriefe auf, und ich sage auch nichts. Was für ein Cliché, das passt überhaupt nicht zu dir.» «Wie du sagst nichts? Du sagst auch nichts? So hat doch das Gespräch überhaupt angefangen. Du hast gesagt, dass du nichts wegen meiner Liebesbriefe sagst, und ich deswegen auch nichts sagen soll, dass du dich mit deinem alten Lover triffst.» «Meinem alten Lover!» Der Mann hinter dem Bildschirm wechselt den Tab und klickt auf den Smarthouse Werbefilm. Er ist ohne Ton, aus den Kopfhörern kommt immer noch das Gespräch. «Ja, wie soll ich ihn denn nennen?» «Er ist mein alter Mitbewohner. Wir sind Freunde! Ich muss mich überhaupt nicht vor dir rechtfertigen.» «Aber ihr habt miteinander geschlafen, oder nicht?» «Jetzt halt mal die Luft an! Ich sag auch nichts wegen deiner Scheissbriefe, obwohl du mir nie geschrieben hast, dass ohne mich die Sonne nicht aufgeht.» «Da war ich zwanzig!» «Ja, und du warst verliebt.» Auf dem Bildschirm sieht man gerade, wie ein Ehepaar vor dem Kamin sitzt und mit einem Sprachbefehl das Feuer ausmacht. «Soll ich mich jetzt für meine Gefühle entschuldigen?» «Nein, nein, natürlich nicht, warum solltest du dich für irgendwas entschuldigen.» Die Frau im Video streichelt zärtlich eine Pflanze und verschiebt den Luftfeuchtigkeitsregler etwas nach oben. «Hör doch mit dieser passiv-aggressiven Scheisse auf.» «Schrei nicht so.» «Ich schreie, wann ich will. Hier hört mich eh keiner.» Ein freundlicher brünetter Mann mit gut gepflegtem Bart hat seinen Sohn (warum auch immer einen blonden) auf dem Schoss und erklärt ihm das Konzept von Wärmeisolation und Energieeffizienz. «Jetzt haben wir einen Tag frei und fahren in dieses beschissene Lagerhaus. Ich hasse es hier. Wahrscheinlich wolltest du mir deine beschissenen Liebesbriefe unter die Nase reiben. Fick dich. Du kannst deine Scheisssachen alleine entrümpeln. Lover. Echt mal. Ich kann mir das nicht mehr anhören.» Während Marias Schritte immer leiser werden, sitzt die ganze Familie im Smarthouse am Esstisch und verschlingt Pasta mit Fischstückchen. Als sie fertig sind, drückt die Mutter etwas auf dem Tisch und die Spülmaschine geht auf. Die letzte Einstellung sind die beiden Eltern, die im Halbdunkeln im Bett liegen. Dann schwingt der Mann die Decke über seinen Kopf und den Kopf der Frau, das Licht geht selbstständig aus, und die Werbung ist zu Ende.

Anton Artibilov studiert Szenisches Schreiben in Berlin.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert