Es ist zum Wiehern: Erwachsene Menschen mutieren zu Primarschulkindern, wenn es um Tiere geht. Mich eingeschlossen. Es ist mir unangenehm, das zuzugeben, aber ich liebe viralen «Cat Content» jeglicher Art. In meinem Bücherregal steht der ‹Grumpy Guide to Life›: missmutige Lebensweisheiten der berühmten Katze mit den nach unten zeigenden Mundwinkeln, und auch im echten Leben kann ich nicht an einem Büsi vorbeigehen, ohne entzückte Laute von mir zu geben, ihm den Kopf zu streicheln oder unterm Kinn zu kraulen. Besonders schlimm ist es natürlich bei Katzenbabys. Auch Hunden gegenüber bin ich sehr aufgeschlossen. Seit sich Freunde von mir einen Dackel zugelegt haben, bin ich, was die Hund-oder-Katze Debatte angeht schon wankelmütiger geworden. Aber auch bei Youtube Videos von aufgeregt zwinkernden Eulenkindern werde ich schwach… Übrigens, während ich dies schreibe, trage ich ein T-Shirt mit Pferde-Aufdruck.

Was ist bloss los mit uns Millennials, dass wir so auf Tiere abfahren?

Was ist bloss los mit uns Millennials, dass wir so auf Tiere abfahren? Tiere gehen immer, ziehen immer: Man findet sie als Sweater-Motive (da sind es meist die Exoten, wie Panther, Papageien, Tiger), auf Wohnaccessoires jeglicher Art (Eulen, Eulen und nochmals Eulen), Glitzer-Sticker mit Katzen, Eseln, Einhörnern, you name it, werden nicht nur auf Pausenhöfen getauscht, sondern dienen längst Volljährigen zur Abdeckung apfelförmiger Firmenlogos auf Notebooks und Smartphones.

In Berlin Neukölln gibt es seit einiger Zeit ein Katzencafé, welches neben Cupcakes und Katerfrühstück (ha, ha) eben auch die Anwesenheit von zwei Katzen bietet. Diese verwandeln das Café ins Ersatzwohnzimmer für alle Grossstädter, die kein Haustier halten können. Davon gibt es vermutlich viele, Katzenliebhaber, die aufgrund ihrer Wohnverhältnisse (etwa ohne Garten, dafür mit allergischen MitbewohnerInnen und in Autobahnnähe) auf die Anschaffung einer eigenen verzichten müssen. Auch Dog-Sharing, also geteiltes Hundesorgerecht, ist ein Thema geworden. Wer zu wenig Zeit und oder Geld hat, um fulltime Hundebesitzer zu sein, muss trotzdem nicht auf die Zuneigung des besten Freund des Menschen verzichten. Sharing Partner sucht man einfach via Internet-Forum.

Dass wir auf alles mit Kindchenschema-Proportionen anspringen, ist wohl genetisch bedingt; grosse Augen lassen uns schwach werden, egal ob sie zu einem Menschen- oder einem Tierkind gehören. Für manche ist die Beschäftigung mit Tieren vielleicht eine Art Übung zur potenziellen Elternschaft. Die gemeinsame Anschaffung eines Haustiers als Testlauf zum Kinderkriegen sozusagen. Man übt sich in Geduld, Fürsorge und einseitiger Kommunikation, wird aber mit Zuwendung und Unterhaltungswert belohnt. Ähnlich wie Kleinkinder sind Tiere durch ihre vermeintliche Unbeholfenheit und Tollpatschigkeit oft unfreiwillig komisch. Allerdings vermag die Grosszügigkeit Tieren gegenüber wohl kaum wirklich Aufschluss über die generelle Fürsorglichkeit geben, zumal man ein Haustier, wenn es richtig nervt, im Zweifelsfall wieder abgeben kann. Das wird bei Menschen schwieriger…

Die Dramatikerin Esther Becker schreibt Prosa, Essays und journalistische Texte zu kulturellen Themen. Für die Fabrikzeitung untersucht sie regelmässig den Zustand des kulturellen Nährbodens.

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