Eritrea spaltet die Meinungen: PolitikerInnen, Regimetreue, RegierungsgegnerInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, europäische Migrationsdienste und UNO-Organisationen äussern sich mit oft diametral entgegengesetzten Analysen. Dahinter steht die migrationspolitisch ausschlaggebende Frage: ist Eritrea ein «sicheres Land», in das Asylsuchende zurückgeschafft werden können? Und: hat die Schweiz ein «Eritrea-Problem?» Das Wochenende vom 15./16. Oktober in der Roten Fabrik liefert Antworten zu allem, was Sie schon immer über Eritrea wissen wollten.

Wenn die NZZ den im Exil lebenden eritreischen Menschenrechtsanwalt und Lyriker Daniel R. Mekonnen porträtiert, wie am 5. August 2016 unter dem Titel «Die Empörung eines Verbannten» geschehen, dann sind heftige Kommentare gewiss. Von «Polemik» ist die Rede, vom «angeblichen Frondienst auf unbestimmte Zeit», dass die Zwangsarbeits-Verordnung «möglicherweise für sonnengeschützte Bürokraten hier in Europa ein Messlatte» sei, aber sicher nicht für die afrikanische Wirklichkeit, und dass in Eritrea niemand den UN-Menschenrechtsbericht ernst nehme «inklusive der Botschafter der EU».

Was erzürnt diesen Kommentarschreiber? Daniel Mekonnen sprach in dem Artikel von einer «versteckten Hölle hinter der verführerischen Fassade» der Art-déco-Architektur Asmaras, der Hauptstadt Eritreas, sprach von «geschätzten 300 Gefängnissen, mit Folter, mit Menschen, die ohne ersichtlichen Grund von einem Tag auf den andern verschwinden», sagte, dass «die Kerker für «Regimegegner» so geheim» seien, dass nicht einmal das Rote Kreuz Zugang habe. Mekonnen sammelte Zeugenaussagen für den kürzlich erschienenen UN-Menschenrechtsbericht und forderte schon letztes Jahr, dass Präsident Afewerki vor den Internationalen Strafgerichtshof gehöre. Der berüchtigte unbeschränkte Militärdienst in Eritrea sei Sklaverei: «Das ist kein Dienst am Vaterland, sondern Ausbeutung. Und das ist keine Armee, sondern eine Mafia!»

Eritrea – «no war, no peace»

 Die Debatte über die Menschenrechtslage im Eritrea ist zugespitzt und von viel Unwissen geprägt. «Der Zugang zu Herkunftsinformationen (…) zu Eritrea ist generell schwierig, insbesondere zu Menschenrechtsthemen. Das liegt hauptsächlich daran, dass Menschenrechts-Beobachter keinen Zugang zum Land haben, dass die Forschungsmöglichkeiten für Wissenschaftler sehr eingeschränkt sind und dass es keine freie Presse gibt», musste selbst das Staatssekretariat für Migration (SEM) im EASO-Bericht, Länderfokus Eritrea, vom Mai 2015 einräumen.

Einige Fakten aber sind klar: Eritrea erlangte 1993 nach dreissigjährigem Krieg die Unabhängigkeit von Äthiopien. Es gilt als eines der ärmsten und repressivsten Länder der Welt. Im UNO-Entwicklungsindex rangiert Eritrea auf dem 182. von 187 Plätzen. Es ist eines der am stärksten militarisierten Länder, und in der Rangliste der Pressefreiheit nimmt Eritrea den weltweit letzten Platz ein; es ist seit 2001 das einzige Land Afrikas ohne private Medien, und seit 2004 gibt es keine ausländischen KorrespondentInnen mehr. Ein unbefristeter Wehrdienst ist obligatorisch. Und im Verhältnis zur Bevölkerung weist Eritrea weltweit die höchsten Flüchtlingszahlen auf – trotz Schiessbefehl an der Grenze fliehen monatlich bis zu 5’000 Menschen aus ihrem Land.

Die eritreische Regierung rechtfertigt sowohl die Abschaffung der Pressefreiheit als auch den unbeschränkten Nationaldienst mit der «no war, no peace»-Situation nach dem Grenzkrieg von 1998 bis 2000 mit Äthiopien. Genau hier wäre aber der Ansatz für eine Lösung, bei der die Staatengemeinschaft bislang bloss weggeschaut hat: 2002 sprach eine internationale Grenzkommission den symbolträchtigen Ort Badme, an dem die Kampfhandlungen begonnen haben, Eritrea zu. Doch trotz der ursprünglichen Übereinkunft, die Bestimmungen dieses Abkommens von Algier zu befolgen, verweigert Äthiopien die Zustimmung zur festgelegten Grenze.

Für Mussie Zerai, den eritreischen Priester mit der Notfallnummer für Mittelmeerflüchtlinge, ist die Lösung klar: wenn der Grenzkonflikt international geklärt würde, hätte das eritreische Regime keine Rechtfertigung mehr für seine Repression. Aber Äthiopien ist eben ein bewährter Alliierter der USA, und die EU zahlt dem Regime lieber 200 Millionen Euro für ein Projekt «zur Bekämpfung der Fluchtursachen»…

Hat die Schweiz ein «Eritrea-Problem»?

Ein Hauptanliegen von «Blackbox Eritrea» ist ein innenpolitisches: wohl noch nie wurde ein Gesetz nur wegen einer Bevölkerungsgruppe revidiert wie 2013 das Asylgesetz, welches Kriegsdienstverweigerung nicht mehr als Asylgrund vorsah, und zwar explizit wegen der steigenden Anzahl Asylgesuche aus Eritrea. Dass dies aber keine Lösung ist, hat später das Bundesverwaltungsgericht festgestellt; Rückschaffungen nach Eritrea sind heute kaum möglich.

Seit 2009 ist es dem IKRK verboten, eritreische Gefängnisse zu besuchen. 2011 mussten die letzten sechs NGOs Eritrea verlassen. Aber ein paar helvetische ParlamentarierInnen meinten gleichwohl nach einer vom hiesigen Honorarkonsul eingefädelten sechstätigen Visite des Landes feststellen zu können: alles halb so schlimm. Nur: «Aeschis Partei» – die SVP – «und die eritreische Regierung haben gemeinsame Interessen: Erstere will ein Rückschaffungs-Abkommen, letztere will Gelder für die Entwicklungshilfe», stellte Yonas Gebrehiwet vom Eritreischen Medienbund Schweiz in seiner Kolumne im St. Galler Kulturmagazin «Saiten» fest.

Die Schweiz hat kein Eritrea-Problem – mögen da helvetische PolitikerInnen der Rechten noch so laut aufschreien. Allenfalls hat die Schweiz ein Integrationsproblem mit EritreerInnen, aber das ist weder neu, noch auf Eritrea beschränkt. Gut, manchmal gibt es Schlägereien und Messergefuchtel unter Regimeanhängern und Oppositionellen. Aber das gab’s auch schon zwischen Italos, als die Eingeborenen sie noch «Tschinggen» nannten, zwischen Bürgern des ehemaligen Jugoslawiens, ganz wie es auch unter Schweizern gelegentlich vorkommt.

Die eritreische Diaspora

 Schätzungsweise eine Million EritreerInnen leben inzwischen im Ausland. Die Politologin Nicole Hirt, die sich seit 30 Jahren mit den Entwicklungen in Eritrea beschäftigt, schreibt über die eritreische Diaspora, dass die «Opposition wiederum aus 13 verschiedenen Gruppierungen» bestehe und alle «durch das Fehlen eines überzeugenden politischen Programmes sowie durch permanente Uneinigkeit» auffallen. Und genau das ist ein zweites wichtiges Anliegen von «Blackbox Eritrea»: die Vernetzung der eritreischen Oppositionsgruppen untereinander und das Herstellen einer Verbindung zur Schweizer Bevölkerung.

 Die eritreische Diaspora in der Schweiz ist mit rund 3’000 Personen eine der grössten in Europa. Es ist eine altersmässig sehr junge Diaspora, denn es sind vor allem die jungen EritreerInnen, die hier im Exil ankommen, und sie werden bis auf weiteres hier leben. Sie sind ein Teil von «uns», auch wenn es noch relativ wenige Berührungspunkte zwischen der eritreischen Diaspora und den Einheimischen gibt. Das muss nicht so bleiben.

 «Blackbox Eritrea» setzt genau dort an: Es soll ein Ort der Wissensvermittlung sein, des Zusammenkommens und des Austauschs. «Blackbox Eritrea» legt den Fokus auf Eritrea: ist es das «Nordkorea Afrikas» mit einem Diktator, der wegen Menschenrechtsverbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof gehört, wie es eine Kommission des UN-Menschenrechtsrates fordert? Oder ist Eritrea ein ruhiges friedliches Land und besteht der UNO-Bericht aus «Anekdoten von Eritreern im Exil», wie es jene schweizerischen ParlamentarierInnen nach ihrem Privatreisli suggerieren?

PS: Die erwähnten Daniel R. Mekonnen und Pfarrer Mussie Zerai werden am Samstag neben andern Fachleuten auf dem Podium sitzen und diskutieren. Vielleicht stellen sich ja auch Kommentarschreiber der Auseinandersetzung?

 

Samstag 15. Oktober:
14–19 Uhr, Einführung Eritrea (Podium, Diskussion, Kurzfilm)
19 Uhr, Eritreisches Essen
20.30 Uhr, Blackbox Zukunft, Theatergruppe Futstep
21 Uhr, Abrar Osman & Embi Nmilki (Musik und Tanz)

Sonntag 16. Oktober:
13.30 Uhr, Einführung Eritrea
14–17 Uhr, Open the blackbox – Meet the experts
17 Uhr, Eritreisches Essen
18.30 Uhr, Blackbox Zukunft, Theatergruppe Futstep
19.15 Uhr, Between Fire and Desert (Film)

Ein Kommentar auf “Blackbox Eritrea? – Annäherungen an ein kontroverses Land

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