Denken Menschen über Technologie nach, so verwenden sie je nach Haltung eines von zwei einfachen Modellen. Waffenlobbys argumentieren beispielsweise oft mit der technolo­gischen Neutralität: «Guns don’t kill people, people kill people», lautet ihr Standardargument. Werkzeuge werden darauf reduziert, dass Menschen sich ihrer bedienen, um schon bestehende Bedürfnisse zu befriedigen. Das zweite oft verwendete Modell hingegen schreibt der Technologie die Fähigkeit zu, menschliche Bedürfnisse generieren zu können. Dieser Technikdeterminismus kommt in zwei Spie­l-arten: Einer positiven, die davon ausgeht, dass Menschen neue Möglichkeiten zur Umsetzung ihrer Wünsche nutzen. Sie wird in der Rhetorik des Silicon Valley spürbar, in der «Innovation» und «Disruption» der Gesellschaft dienen, indem sie technische Lösungen so umsetzen, dass Menschen zu besseren Menschen werden. Die überwachten, vermessenen Subjekte sind in dieser Interpretation bessere Versionen gegenüber ihren disziplinlosen, unkontrollierten Vorgängerinnen und Vorgängern. Die negative deterministische Sicht fokussiert Abhängigkeiten und Verluste, sie sieht Menschen, die auf ihre Smartphone-Bildschirme starren, statt im «realen Leben» etwas zu tun, was sie bewegt oder anspricht. Sie verfallen mächtigen Versuchungen, die ihnen die Technologie näher bringt.
Vor über 30 Jahren hat der Technikhistoriker Melvin Kranzberg leicht satirisch ein Gesetz festgehalten: «Technologie ist weder gut noch schlecht. Und schon gar nicht neutral.» Dieses Gesetz bringt ein differenziertes Verständnis davon auf den Punkt, wie Menschen mit Werkzeugen umgehen. Sie interagieren damit. Menschen bringen Veran­lagungen mit, Technologie liefert Anreize. So ergibt sich ein Zusammenspiel mit Wechselwirkungen auf beide Seiten hin. Je schlauer Maschinen werden, desto eher können sie Muster in der Verwendungsweise erkennen und sich daran anpassen. Dieser Zusammenhang ist von der Casino-Industrie erschöpfend erforscht worden. Lange bevor Menschen von ihren Smartphones in den Bann gezogen wurden – darauf wird zurückzukommen sein – haben sie viel Geld in Slotmachines geworfen. Versteht man, weshalb Menschen sich von solchen Automaten aus ihren Lebensentwürfen schleudern lassen und wie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine funktioniert, lassen sich viele Schlüsse über die Interaktion von Menschen mit anderen technischen Ge­räten ableiten.
Bevor ich die Forschung zu Slotmachines zitiere, erlaube ich mir eine persönliche Bemerkung: Die erste Begegnung mit diesen Automaten habe ich als Teenager in Dorfkneipen gemacht. Sie leuchteten in einer Ecke und gaben zuweilen Töne von sich. Wer länger daran spielte, wirkte schnell als Loser: Wie sinnlos ist es, so viel Geld in einen Automaten zu werfen, der darauf programmiert ist, weniger Geld auszu­schütten als einzunehmen? Ich warf ab und zu zwei, drei Franken rein, die ich entbehren konnte. Mit Gewinnen zahlte ich meinen Freunden eine Runde Bier, Verluste verschwieg ich. Als ich etwas Geld verdiente, verbrachte ich je nach Gele­genheit die Mittagspause in rauchigen Spielsalons. Ich dachte oft an die im Grunde sehr langweiligen Spiele und Auszahlungstabellen, legte es darauf an, möglichst lange spielen zu können. Mit Gewinnen leistete ich mir zuweilen etwas, aber sie waren selten das Ziel: Meist ermöglichten sie nur, länger vor den Automaten sitzen zu können. Und wenn ich heute in die Automatensäle von Casinos trete, betrachte ich mitleidig die vielen Menschen, die Tage, Woche und Monate vor diesen blinkenden Automaten sitzen, die fröhliche Spiele versprechen, aber letztlich die Welt auf das Drücken von wenigen Knöpfen reduzieren. Sie sind alle Verlierer, das weiss ich, trotzdem könnte ich problemlos die Seite wechseln und mich eine, zwei oder drei Stunden vor einen Automaten setzen. Glücklicherweise kann ich selbst wieder aufstehen; meine Veranlagung zur Spielsucht ist vorhanden und ich spüre sie immer wieder, sie ist aber ein Teil meiner Persönlichkeit, den ich kontrollieren kann.

In Las Vegas gelingt das zu vielen Menschen nicht mehr. Die Wohnbevölkerung der Wüstenstadt wurde von den Casi­nos schnell als zweite Einnahmequelle neben dem Tourismus erschlossen. Zwei Drittel davon spielen regelmässig, fast die Hälfte kann als spielsüchtig bezeichnet werden. Die Kulturanthropologin Natasha Schüll hat in ihrer Studie «Addiction by Design» untersucht, wie diese Abhängigkeit entsteht und wie sie sich auswirkt. Gambling ist in Las Vegas fest in den Alltag integriert, wie die Karte zeigt, die eine Spielsüchtige für die Autorin gezeichnet hat. Mollie arbeitet im Hotel des MGM-Casinos. Auf der Heimfahrt tankt sie oft bei 7-Eleven – und spielt dort gleichzeitig. Im Supermarkt «Lucky’s» kauft sie ein. Ge­schäfte sind in Las Vegas oft mit kleinen Slot-Machine-Bereichen ausgestattet. Am Wochenende spielt sie im Pal­ace-Station-Casino. Die unteren beiden Stationen zeigen die Hilfe, die sie bezieht: Die Medikamente, die sie in der Apotheke holt, sowie das «Gamblers Anonymous»-Meeting, wo sie ihre Sucht zu therapieren versucht.
In der Mitte der Karte sehen wir Mollie. Auf die Frage, wo sie sich denn befinde, antwortet sie: «That’s nowhere, that’s the zone». Diese Zone ist das Leitmotiv von Schülls Untersuchung. Die Zone macht die Attraktivität der Slotma­chine aus. In ihr ist alles andere ausgeblendet. Die Sucht richtet sich nicht auf den möglichen Gewinn, sondern auf die Zeit am Automaten, in der die Zone erreicht werden kann. Sie ist ein fragiles Flow-Erlebnis. Jede Störung wird vermieden: Die Spielsüchtigen nehmen Getränkeflaschen mit an den Automaten, damit ihnen Casinoangestellte keine Gratisgetränke anbieten. Sie vermeiden es, grosse Ge­winne auszuzahlen, damit sie ihren Spielfluss nicht unterbrechen müssen. Schüll beschreibt Fälle, in denen Slotmachines zu drastischen körperlichen Entbehrungen geführt haben: Eine Spielerin spielt vor und nach einer Geburt – mit gelähmten Beinen vom langen Sitzen und nassen Brüsten, aus denen die Milch für den Säugling rinnt. Eine ältere Frau zieht sich mehrere Hosen übereinander an, damit sie während ihren über 70-stündigen Spieltouren nicht zur Toilette muss, ein Diabetiker bricht wegen Unterzuckerung am Automaten zusammen. Wird bei Herzinfarkten Sanitäts­personal alarmiert, ist seine Arbeit zwischen den Slot-Auto­maten äusserst schwierig – vor allem, weil die anderen Spielerinnen und Spieler sich weigern, ihre Maschinen zu verlassen, obwohl in ihrer Nähe ein Mensch medizinische Hilfe benötigt.
Das Spiel an der Maschine löst den Wert von Zeit und
Geld komplett auf. Das hängt mit den differenzierten Mecha­nismen zusammen, welche die Gambling-Industrie einsetzt, um die Menschen an die Maschinen zu fesseln. Ein Game-Designer gesteht im Buch gar, dass er zu Meetings der Spielsüchtigen ging, um an Informationen zu gelangen. Da­durch löst sich der Alltag der Betroffenen auf. Sie richten ihr Leben um das Spiel herum und beginnen, in ihren Autos vor den Casinos zu schlafen. Besonders paradox ist ihr Umgang mit Geld: Sie sparen ständig mit den ausgefallensten Systemen – um dann ihr ganzes Geld in Automaten zu ste­cken, wo es in Credits und damit in Zeit in der Zone umge­wandelt wird. Diese Paradoxie ist beabsichtigt: Die Flucht aus dem Alltag ist es gerade, was Süchtige antreibt. Anders als bei den klassischen Spiel-Analysen von Goffman und anderen Soziologinnen und Soziologen, die das Spiel als eine Art zivilisatorischen «Agon», also Wettkampf, ansehen, geht es bei der inhaltslosen Interaktion mit der Maschine um einen Rückzug. Spieler wollen sich an Slotmachines nicht mit ande­ren zu messen oder Erfolg anstreben, sondern den Miss­erfolg kalkulieren. Die Maschine ersetzt die entweder zermürbende zwischenmenschliche Interaktion der Angestellten von Dienstleistungsbetrieben oder die fehlende Interaktion einsamer Menschen durch einen Zufallsgenerator, bei dem das Risiko absolut berechenbar ist. Sie präsentiert Wahlmöglichkeiten, die bedeutungslos sind – im Gegensatz zum zwanghaft freien Leben, in dem jede Entscheidung Kon­sequenzen hat. Wer an Slotmaschines spielt, weiss, dass er oder sie nur verlieren kann und verlieren wird. Die Slotma­schines lösen den Alltag auf. Deshalb funktionieren sie nur als kostenpflichtige Angebote: Ihr Reiz besteht gerade darin, dass sie Geld vernichten oder eben in Zone-Erfahrung umwandeln.
Die Industrie entwickelt eine Technologie, die von Süchtigen nachgefragt wird. Die Spielerfahrung wird durch das Design ermöglicht. Dadurch entsteht eine massive Asymmetrie von Kontrolle und Sucht, von Gewinn und Verlust und Risiko und Belohnung zwischen den Anbietenden und den Nachfragenden. Slotmachines sind das Crack des Glückspiels:
Die Möglichkeit, Kokain als Crack zu rauchen, hat die Suchterfahrung komplett verändert, weil es sie beschleunigt hat. Wenn die menschliche Interaktion mit Technologie so inten­siv wird, dass sich der Alltag auflöst und ein sinnvolles Leben nicht mehr denkbar ist, dann handelt es sich um einen Alptraum, gegen den so viel wie möglich unternommen werden muss. Schülls Buch lässt Zweifel aufkommen, ob Widerstand überhaupt möglich ist: So stark scheinen die Bedürfnisse der Spielenden und die Angebote der Spielindustrie ineinander zu greifen.
Wenn wir vom Glückspiel zu den Smartphones zurückkehren: Sind sie mit den immer raffinierteren Apps auch das Crack für die Informationsverarbeitung, für die Unterhaltung? Lotsen auch sie anfällige Menschen in die Zone, in der sie ein Flow-Erlebnis suchen, das den Alltag auflöst und zersetzt, das die Bedeutung von Zeit und Geld angreift? Tendenzen sind sicherlich erkennbar. Ingenieurinnen und Ingenieure im Silicon Valley arbeiten darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit einzelnen Apps so intensiv wie möglich wird. Viele Menschen haben hunderte Levels «Candy Crush» gespielt – und immer mal wieder einen Franken bezahlt, um die nächste Stufe freischalten zu können. Dasselbe gilt für viele weitere Spiele und soziale Netzwerke, die einen Strom von Informationen so anbieten, dass sie zwischenmenschliche Interaktion kalkulierbar machen und sie ersetzen oder simulieren können. Das ist der Grund, weshalb ganz Zugwaggons voller Pendlerinnen und Pendler den eigenen Bildschirm dem fremden Gesicht vo­rziehen. Das Bedürfnis, mit persönlichem Medienkonsum das Risiko (etwa angesprochen zu werden) minimieren zu können, ist nicht neu: Auch Bücher und Zeitungen wurden schon für den Rückzug der Subjekte auf sich selbst verwendet. Neu ist die Beschleunigung und die Intensität. Wenn ich mein Smartphone zücke, lese ich nicht nur, sondern sehe auch, was andere lesen, diskutiere mit ihnen über das Gelesene, werde von Apps ans Lesen erinnert und mit kleinen Spielen, Strategien und Statistiken motiviert, weiterzulesen.
Drei zentrale Differenzen zu Slotmachines muss eine genaue Betrachtung jedoch eröffnen: Sind die Spielautomaten eine exklusive Beschäftigung, für die Menschen sogar eigene Bewegungsprofile entwickeln, so sind die Smartphones  eine Nebenbeschäftigung. Sie füllen scheinbar leere Zeit, sie begleiten uns bei dem, was wir ohnehin tun. Selbst in der enorm kritischen Berichterstattung über Neue Medien sind keine Fälle beschrieben, bei denen Apps dazu geführt hätten, dass Menschen statt zur Arbeit oder zu Treffen sich in Handyhallen zurückgezogen hätten. Allenfalls sind sie beim Autofahren abgelenkt oder steigen zu spät aus dem Bus aus. Die Smartphones bleiben aber Second Screens.
Es herrscht eine enorme Konkurrenz. Keine App bleibt exklusiv: Sie wird durch die Nachrichten anderer Apps und Botschaften von echten Menschen unterbrochen, der Terminkalender erinnert an wichtige Treffen, selbst Anrufe könnten einen auf dem Smartphone erreichen. Die Welt kann nur temporär ausgeblendet werden, wer auf portable Bildschirme drückt, ist nicht in der Automatenecke einer Tank-stelle in Las Vegas verschwunden.
Als dritten Unterschied ist die Kreativität zu nennen, mit der besonders Jugendliche Apps nutzen. Wer 13-Jährige dabei beobachtet, wie sie Snapchat verwenden, wird zunächst denken, dass sich die Teenager selbst in Automaten verwandelt haben: So schnell und reflexartig nutzen sie eine App, die für Erwachsene kaum bedienbar ist. Dahinter stecken aber komplexe Lernprozesse, sowohl im Umgang mit Bildern und Texten als auch mit Beziehungen und sozialem Kapital. Apps werden oft gegen den Strich verwendet, Userinnen und User nutzen sie nicht so, wie sie beabsichtigt waren. Dieses Potential rufen Slotmachines nicht ab – wer damit nicht um Geld spielen will, kann wenig damit anfangen. Dies darf in Bezug auf digitale Kommunikation aber auch nicht überschätzt werden: Zu stark sind Gruppeneffekte, die schlanke Normen und Konformität erzeugen, statt einzelnen Entfaltung zu ermöglichen.
Wer befürchtet, Smartphones machten Menschen zu Zombies, unterschätzt das Bedürfnis nach Autonomie und Kreativität. Gleichwohl ist ein Unbehagen nicht falsch, weil die Asymmetrie zwischen einer Industrie, die mit wissen­schaftlichen Methoden Abhängigkeiten erzeugen und ausnutzen will, und der Widerstandskraft von Indivi­duen wie bei Slotmachines auch bei den Apps vorhanden ist, mit denen wir uns an der Bushaltestelle unterhalten.

Sie machen uns weder zu guten noch zu schlechten Menschen, aber sie verstärken Bedürfnisse, die wir haben, und bieten uns an, uns im Flow der Zone zu verlieren. Nicht umsonst wird Flow stärker mit Glücksgefühlen assoziiert als der Alltag: Menschen fühlen sich darin wohl.

Philippe Wampfler ist Lehrer, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien. Er schreibt regelmässige für verschiedene Blogs und Zeitungen über Schulen und Social Media.

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