Bonaparte, das sind die, zu denen jeder Festivalgänger schon mal schweissüberströmt die Zeltbühne abgerissen hat, sich zu den Evergreens «Anti, Anti», «Too much» und «I can’t dance» vom Nachbarn auf die Füsse hat springen lassen, während auf der Bühne ein nacktes Pferd und ein Legomännchen tanzen. Aber das neue Album ist ruhiger und die legendäre Zirkusshow vorerst vorbei. Wir führen Gespräche über die Schweiz, fremde Länder und die Frage «Ist das noch Punkrock?»

Es fängt damit an, dass ich am Flughafen Zürich warte. Vereinbart ist ein kurzes Interview im Zug nach Bern, bevor die Band abends im Zug auftreten wird; eine Aktion vom Radio Virus und der SBB.

Erstmal kommen Bonaparte aus der Glastür in die Ankunftshalle 1 spaziert: Ein kleiner Mann mit strähnig gelbem Haar und einer Gitarre, fast so gross wie er selbst, und ein langer Dunkelhaariger mit einem Gepäckkarren voller Koffer und einem unförmigen Kasten, in dem das Keyboard steckt – genannt «the dildo». «Why did we start calling that the dildo?» – «Honestly, no idea. Because it’s big and black?» Darf ich vorstellen: Tobias Jundt und Uri Gincel.

«Also, der Plan ist so: Wir fahren jetzt nach Bern, da sind wir dann eine Stunde, dann fahren wir nach Interlaken und bauen unser Set auf, dann fahren wir zurück nach Bern, machen Soundcheck, dann spielen wir von Bern nach Basel und um halb eins sind wir wieder zurück in Zürich. Was machst du schon wieder? Ah, ein Interview. Komm doch mit uns mit, das ist viel lustiger!» Also schnell alle weiteren Termine abgesagt und los geht die Reise.

Wir warten auf den Lift, Tobias hüpft herum, schlägt auf das Notausgangsschild und tritt gegen die Lifttür. «Ich versueche, de Lift mit Aggression z’hole», sagt er zu einer wartenden Frau. Seine quäkige Stimme hüpft in Gesprächen unbeschwert zwischen Englisch, Hochdeutsch und breitestem Berndeutsch. Tobias, der Kopf der Band und einziges festes Bandmitglied, scheint auch energetisch die treibende Kraft der Band zu sein. Ein steter freudiger Redefluss begleitet seine ausholenden Schritte, wobei er rasch zwischen ausgiebigem Luftschlösserbauen, reinem Unsinn und ernsten, wohlüberlegten Worten wechseln kann.

Wir nehmen den Zug nach Bern, Bonaparte fährt 1. Klasse.

Zum Kontrollör, der ein wenig ratlos mein 2. Klasse Ticket zwischen den Fingern wendet, sagt Tobias in bester freundlicher Schweizer Manier: «Si isch nume gschnell anegsesse zum es Schwätzli halte.» Der Kontrollör nickt und sagt: «Aber nicht zu lang, gelled Sie.»

Der Mann im Abteil neben uns setzt sich nach wenigen Minuten weg. «Das ist wegen meiner Stimme», sagt Tobias. «Was denn, die ist nun mal nicht angenehm. Das ist schon okay, sonst wär ich ja nicht Sänger geworden.»

Am Bahnhof Bern ist die erste Mission, den Gepäckberg zu Tobias‘ Vater zu bringen. Auch dieser hat früher in einer Band gespielt. Später am Abend beim Auftritt wird er mit einem pink-schwarzen Anti-Anti-Shirt in der ersten Reihe sitzen und begeistert mit dem Kopf wackeln.

Ich flaniere mit Uri durch Bern im erfolglosen Versuch, etwas Zahlbares zu Essen zu finden, später nur noch Kaffee, noch später Kaffee ohne Sojamilch, die im Gegensatz zu unserer Hauptstatd in seiner neuen Heimat Berlin allgegenwärtig ist. Uri Gincel, bei Bonaparte Uri Gaga, stammt ursprünglich aus Israel. Neben Bonaparte spielt er bei gefühlt tausend Nebenprojekten, vor allem Jazz – unter anderem beim Uri Gincel Trio. Wir finden Kaffee, den man aber nicht mitnehmen kann. Wir finden Kaffee zum Mitnehmen, können aber nicht mit Karte bezahlen. «This is provincial, Uri!», erklärt Tobias. «Things that are normal can’t be expected around here. Everything is much slower. That’s beautiful.»

Im Zug nach Interlaken treffen wir auf Bekannte von Tobias. Eine davon hat ihr Kind dabei und verwickelt Tobias in ein Gespräch über seine zwei Kleinen – «es chäferet richtig!» Offensichtlich behagt ihm die Rolle als Familienvater genauso wie die verrückten Auftritte.

Im Speisewagen, wo es Züri Geschnetzeltes und Riz Casimir gibt, hält er ein munteres Schwätzchen mit einer Frau, die eigentlich nur ein Foto machen will, sich dann aber als Frau eines alten Freundes herausstellt, «de hett no mini Gitarre!» Sie freuen sich und lassen viele Grüsse ausrichten. «Der hat früher mit Polo Hofer in der Band gespielt. That’s a really great Swiss musician», erklärt er Uri. «I totally should do a song with Polo.» Man merkt nicht nur am Akzent, dass hier der Ort ist, an dem Tobias geboren wurde.

Trotzdem musste ich hier weg, erklärt er, die Leute verstehen mich einfach nicht. Alle sind so kleinlich, ich habe hier nicht richtig reingepasst.

Dabei bringt er doch immer wieder eine strahlende Freude über die Schweiz auf, «look Uri, this is so beautiful!», gefolgt von Kindheitserinnerungen wie der Zugfahrt nach Interlaken, wo er jedes Wochenende in der Blaskapelle gespielt hat. «I did that too», sagt Uri, «it was the only way to make music with other people, to play in a big band orchestra.» «Es gab aber nur Blasinstrumente, überhaupt keinen Rhythmus oder sonst was.» Was Tobias noch erzählen möchte, ist, wie sich der Zug im Tunnel dreht: «Then you get outside the tunnel and suddenly you’re riding the other way round! Und da oben, da haben meine Grosseltern gewohnt, ganz oben auf dem Berg. And look at this lake, it’s so beautiful. That’s where I got married.»

Dann dreht sich das Gespräch um Russland, wo sie einige Tage nach unserem Gespräch spielen werden, darum dass sie nicht sicher sind, ob das bei der jetzigen Stimmung gut sei, da hinzufahren. «Ne Menge Leute haben gesagt, wir sollen das nicht machen, das dürfe man nicht unterstützen dort. Ich find das ja auch gut, ein Statement setzen. Aber ich meine», schliesst er bescheiden, «wen kümmert das denn, we are not Radiohead.»

Beim Zigarettendrehen am Bahnhof Interlaken frage ich Uri, was ihr schlimmster Auftritt bisher war.

«There was one where all of our equipment went missing on the flight, and one where the tourbus started to burn, or one on a ship with all just business people that didn’t get the music at all. In four years of touring you get a lot.»

Dann wird aufgebaut. Das Konzert findet im Speisewagen statt. Es ist sehr eng und improvisiert. Alles wird schön mit Tape festgeklebt und fällt mindestens einmal auf der Fahrt wieder herunter. Ein Radiomann vom Virus schlägt mit roten Abwaschbürsten probehalber auf das Schlagzeug ein, mangels Drumsticks und mangels Drummer. Der steckt noch in Deutschland fest mit 240 Minuten Verspätung.

Die Radiomenschen haben auch eine App gebastelt, die Zugdurchsagen nachmachen kann, so dass während der Fahrt Sprüche wie: «Nächster Halt, Bonaparte» oder « Wir bitten Sie, richtig abzugehen» durch das Abteil hallen.

Nun ziehen sich die beiden für den Auftritt um (der Drummer ist noch immer nicht angekommen); statt pompösen Kostümen und Schminke, wie man Bonaparte von früher kennt, gibt es ein schlichtes weisses Unterhemd und Jeans für Tobias und einen Jeans-Overall für Uri, der seine langen schwarzen Haare über der Stirn zusammenbindet, wodurch er aussieht wie eine Mischung aus Schulmädchen und Automechaniker. «Du kannst zwischen den Mikrophonen herumrennen», erklären die Radioleute Tobias, der versucht, zwischen dem ganzen Stellage herumzuhüpfen, ohne alles umzuwerfen.

Vor dem Auftritt wird eine letzte Zigarette auf dem Perron geraucht, in letzter Sekunde springt auch der Drummer in den Zug vor eine bereits versammelten Menge Teenies. Der Auftritt ist gewohnt energiegeladen, die kleine Crowd kann treu die alten wie auch die neuen Songtexte mitbrüllen und stolpert bei jeder Kurve dem Nachbarn in die Arme, wonach gemeinsam umschlungen weitergetanzt wird. Man merke: Im fahrenden Zug tanzen und springen entspricht einer grossen Menge Alkohol auf festem Boden. Und Bonaparte begeistert auch ohne Zirkusrummel.

Nach dem Auftritt twittert einer den Bonapartes: Ist das noch Punkrock? Ein dermassen kommerzieller Werbeauftritt – und dann noch für die SBB. «Jeder Auftritt ist doch irgendwie kommerziell», findet Tobias. «Man bekommt ja Geld dafür. Ist das noch Jazz, wenn mehr als fünf Leute zuhören?» Der Kontrollör, der mit dem Scheitel beinahe die Zugdecke berührt, lenkt Tobias ab. «Sie, Entschuldigung, wie gross sind Sie? Weil, das Beste an dem Auftritt war das Stagediving, da konnte ich an der Decke laufen! Aber irgendwie müsste die Decke dazu noch höher sein.»

Dann kommen wir in Zürich an. «Wir sollten noch etwas machen, alle zusammen! Etwas, was wir alle nicht können, wie Salsa tanzen.», ruft Tobias.

Doch die Begeisterung springt nicht mehr über; der Rest geht nach Hause. Und so macht sich auch der kleine Kaiser auf, sein Hotel in Oerlikon zu suchen: «Ich bin ja eigentlich auch müde.»

Bonaparte spielen am 23. Oktober in der Aktionshalle der Roten Fabrik.

Sophie Steinbeck, *1994 in Lenzburg, studiert Dramaturgie in Leipzig, davor Sprachkunst in Wien. Arbeitet als Autorin und Dramaturgin in den Theaterkollektiven «saft» und «Rohe Eier 3000».

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