Die Premiere der Schokoladenwaffenfabrik war ursprünglich Anfang März geplant. Vier Monate später kommt das Stück von Michela Flück und Philippe Heule nun vor Publikum auf die Bühne. Wir haben die Bühnenbildnerin und den Regisseur zum Gespräch getroffen.

Noemi Parisi: Wie geht es euch?

Philippe Heule: Ich freue mich auf die Aufführung in der Roten Fabrik. Endlich unsere Premiere nach so langer Zeit.

Michela Flück: Zum ersten Mal seit einem Jahr sehe ich wieder Licht am Horizont. Für mich und viele andere ist es extrem wichtig, dass ab nächster Spielzeit der Betrieb wieder einigermassen normal funktioniert.

Philippe, wir haben uns bereits im Februar zu einem kurzen Interview getroffen. Da war noch offen, ob die Premiere mit Publikum stattfinden kann, was am Ende dann nicht möglich war. Habt ihr sie in irgendeiner Form doch durchgeführt?

P: Ja, wir haben alles gegeben, dass wir eine schöne interne Premiere haben. Uns war allen wichtig, das Stück an einen Punkt zu bringen, an dem wirklich nur noch das Publikum fehlt. Das ist uns gelungen, wir haben die Produktion mit einem guten Gefühl abgeschlossen.

M: Während der Pandemie ist das Wort «Geisterpremiere» entstanden. Es war aber trotzdem ein sehr schöner Moment, als wir das Stück premierereif hatten und wir es vor einem kleinen, internen Publikum aufführen konnten. So haben wir bereits Feedback bekommen und wissen nun auch, wie es ist, wenn das Stück auf Publikum trifft.

Wie ist es für vier Monate später das Stück wieder hervorzuholen?

P: Ich freue mich und gleichzeitig ist es speziell: Anfang Juli wären die Theater ja normalerweise bereits in der Sommerpause. Die Aufführungen im Sommer haben aber auch ihre Vorteile: Die Rote Fabrik am See ist der optimale Ort, um diese Zeit mit dem Team zu verbringen. Es passiert öfters, dass Produktionen mal ein paar Monate brach-liegen und dann wieder aufgenommen werden. Der Unterschied aktuell ist, dass wir zwar eine Premiere hatten, aber dann nicht wirklich ins Spielen gekommen sind. Es ist, wie wenn zwei Wochen vom gesamten Prozess abgetrennt und verschoben wurden.

M: Wir Theaterschaffenden sind nach einem Jahr Corona ja ziemlich auf Verschiebungen und nicht lineare Produktionsprozesse konditioniert. Wir sind einfach glücklich, wenn etwas nicht auf unbestimmte Zeit verschoben oder gar abgesagt wird. In der freien Szene kommt es oft vor, dass die Produktion dann später nicht mehr ins Programm passt, oder dass die Schauspieler*innen in anderen Produktionen stecken.

In der Schokoladenwaffenfabrik bringt ihr zwei kontroverse und problematische Schweizer Produktionszweige zusammen. Wie kamt ihr dazu, die Waffen- und Schokoladenproduktion zu verbinden?

P: Die Schokoladenwaffenfabrik ist eine Metapher für die Schweiz. Ich beschäftige mich schon länger mit der Schweiz und ihrer Verstrickung in globale Gewalt- und Ausbeutungszusammenhänge. Wie können wir diese oft unsichtbaren und schwer zu greifenden Mechanismen in eine Bildhaftigkeit übersetzen? Die Schokoladenwaffe entstand sehr intuitiv: Eine Waffe, von der nicht ganz klar ist, ob es eine Süssigkeit oder ein Tötungsinstrument ist. Ob es ein süsser Mantel ist, der sich um etwas sehr Gefährliches legt, oder ob die Schokolade selbst nicht auch etwas ist, in das Gewalt eingeschrieben ist. Schokolade ist enorm identitätsstiftend für die Schweiz, aber dass der Rohstoff durch postkoloniale Zusammenhänge zu uns kommt, wird im kollektiven Bewusstsein eher ausgeklammert – fast so, als würde Schokolade in den Bergen wachsen.

Wollt ihr mit dem Stück die Kolonialgeschichte der Schweiz mehr ins Bewusstsein der Zuschauer*innen bringen?

M: Uns war wichtig, dass der Abend extrem undidaktisch und nicht wie eine Lectureperformance wird. Wir kreieren im Stück eine Welt, die wir als Realität setzen. Dabei entsteht ein Flow, indem die Themen der kolonialen Vergangenheit immer wieder auftauchen.

P: Die Hoffnung ist, dass viele Assoziationen angetriggert werden, wobei wir keine exotisierende und rassistische Stereotypen reproduzieren. Natürlich ist dem Stück eine lange Recherche vorausgegangen, diese zeigen wir aber nicht. Es ist eine überspitzte Welt, die wir erschaffen, mit der wir Denkprozesse anstossen wollen.

Wie würdet ihr diesen Kosmos der Schokoladenwaffenfabrik beschreiben?

M: Es erinnert an eine Showmanufaktur, die Teil einer grossen Industrie sein könnte, wobei dem Publikum nur ein kleiner Teil öffentlich zugänglich ist. Es ist eine hyperkünstliche Vergnügungspark-Show. In den Bildern und Texten stecken viele Zitate, an die das Publikum andocken kann.

Wo seht ihr die Möglichkeiten vom Theater an politischen Diskursen teilzunehmen?

P: Für mich ist die Kernkompetenz von Theater Bilder, Atmosphären und Realitäten zu schaffen. Theater ist keine Bildungsinstitution, bietet aber die Möglichkeit der kritischen Reflexion. Ich habe grosse Lust auf sinnliches Theater. Wenn ich das Gefühl habe, irgendwer will mir was erklären, dann lande ich schnell in einer Abwehrhaltung und Passivität. Ganz anders ist es, wenn mir Lücken und offene Fragen präsentiert werden, die ich aktiv schliessen kann.

M: Die politische Haltung kann für mich bei jeder Herangehensweise und jeder Theaterform sichtbar werden. Ob das eine Stückentwicklung ist wie bei uns, oder ein Stoff oder Text aus dem Kanon. Es geht immer darum, als Theaterschaffende im Prozess das eigene Verhältnis zur Welt zu finden und dieses sichtbar zu machen. Bei uns äussert sich das in einem sehr bildhaften Umgang, der nicht viel Sprache braucht, um etwas zu transportieren. Unsere Haltung und Kritik sind auch so deutlich lesbar.

Die Schokoladenwaffenfabrik ist eure erste Zusammenarbeit. Wie kam es zu dieser?

M: Wir haben uns im Master an der ZHdK kennengelernt. Ich war im Bühnenbild und Philippe in der Regie. Bald hatten wir die Idee, miteinander zu kollaborieren und nun ist es endlich dazu gekommen.

P: Als ich Michela von der Grundidee erzählt habe, wussten wir gleich, dass dies nun die optimale Grundlage bietet für diese Art der Zusammenarbeit, bei der Raum, Text, Atmosphäre und Körper gleichwertig miteinander agieren.

Nun ist es noch ein guter Monat bis zur öffentlichen Premiere. Habt ihr bereits wieder angefangen zu proben?

P: Nein, die Wiederaufnahmeproben machen wir erst kurz vor der ersten Aufführung.

M: Das Gute ist, dass das ganze Stück eine einzige grosse Choreographie ist, die die Performer*innen verinnerlicht haben und über das Körpergedächtnis bestimmt wieder schnell abrufen können.

Noemi Parisi (sie/ihre) studiert visuelle Kommunikation und Bildforschung. Sie setzt sich besonders mit Fragen der Macht von Sprachen auseinander.
Die Schokoladenwaffenfabrik wird vom 2. bis 10. Juli im Fabriktheater aufgeführt. Reservationen sind unter fabriktheater@rotefabrik.ch möglich.
Die Schokoladenwaffenfabrik wird vom 2. bis 10. Juli im Fabriktheater aufgeführt. Reservationen sind unter fabriktheater@rotefabrik.ch möglich.

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