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Im Flur befanden sich zwei Personen. Die eine eher gross, schmal, mit langen Gliedern, die andere ein drei Meter hoher, orangefarbener Ballon.

«Sie kennen mich ja schon aus dem Tutorial. Ich heisse Torry Wischer», sagte die langgliedrige Person und hielt ihrem asexualisierten Mitbürger die Hand hin.

«Ich bin weniger seriös als ich im Tutorial rüberkomme. Hab einen trockenen Humor, wissen Sie.»

«Ich bin weniger seriös als ich im Tutorial rüberkomme. Hab einen trockenen Humor, wissen Sie.»«Hm.»«Wofür interessieren Sie sich? Hobbies?»«Hm.»«Sind eher der reservierte Typ, he. Charakterfarbe blau, introvertierter Stratege. Ist mir sympathisch. Bin ich auch. Ich sitz da, schau die Situation an und dann mache ich einen Plan. Und den führe ich aus.» Torry Wischer schaute dabei erst ernst, als würde er die Verbissenheit, mit der er zukünftigen Schwierigkeiten begenen würde, pantomimisch androhen wollen, dann lachte er und schob eine Hand in die Hosentasche. Etwas unvermittelt und sehr stolz sagte er dann: «Ich bin Hundetrainer. Hab 4 Hunde, einer davon Bolle, der macht nur Scheisse, aber ist ein Champion. Wiegt 43 Kilo, in der Wettkampfsaison krieg’ ich ihn aber auf 40 Kilo runter. Wenn man Hundefrisbee auf dem neoeuropäischen Zentralplaneten recherchiert, wird man um meinen Namen nicht herumkommen. Gibt noch kein Jahr, seit dem ich im professionellen Hundesport bin, in dem ich nicht germanischer Sektionsmeister im Hundefrisbee geworden wäre.»

«Glückwunsch.»«Danke, danke. Sie sind übersexuell? Würd ich ja nie machen, aber jeder wie er’s braucht, heh. Wie machen die das eigentlich? Wird da irgendwas reingespritzt? Und tut das weh?»«Die Haut wird in Abschnitte unterteilt und aufgepumpt. Das desensibilisiert sie. Ich finde es nicht unangenehm, sondern sehr befreiend.»
Wischer nickte. Es lag keine Wertung darin. Gleichzeitig öffnete er eine Aktenmappe auf seinem Fingerscreen. «Also, Vorname Tiwaz, Nachname Algiz. Wie möchten Sie angesprochen werden?»«Holger. Holger genügt völlig. Nach meiner Desensualisierung wurde dieser Name für mich ausgesucht, aber ich bevorzuge an Orten wie diesen meinen weltlichen Vornamen. Trotzdem kein Pronomen bitte.»«Gut. Sie haben schon Teleintuitionserfahrung, wie ich sehe. Ich hab’ hier Ihre Bewerbung. Auf die Frage, ob Sie sich eher eine Tätigkeit als Standhydrauliker oder als Einfamiliengleiter vorstellen könnten, haben Sie geantwortet: «Arbeit ist Arbeit». Sie sind auch eher ein Trockener, heh. Gefällt mir. So wie ich. Jedenfalls, ich geh davon aus, dass Sie wissen, was auf Sie zukommt, ich würde Sie aber trotzdem einmal rumführen und Ihnen erklären, wie wir Dinge hier handhaben.»«Ich weiss schon, wie das in solchen Buden läuft.»«Ich glaub Ihnen, ist aber Dienstvorschrift, dass ich Sie einweise. Dann kommen Sie mal mit, bitte.»Holger folgte Torry Wischer den Flur entlang. «Ich schätze, Ihnen ist klar, dass das ein harter Job ist», sagte Torry Wischer. «Mich interessiert nicht, warum die Leute herkommen, manche haben keine andere Wahl wegen ihrer Lebensentscheidungen, manche können einfach nichts anderes. Es interessiert mich nicht. Mich interessiert, wie die Leute arbeiten und mich interessiert, dass die Leute hier bleiben. Die Leute bleiben hier, weil das Klima gut ist. Also, tun Sie Ihr möglichstes Holger, um dazu beizutragen, ja?»
«Hm».

Torry Wischer entriegelte die Sicherheitstür am Ende des Flures und die beiden betraten einen niedrigen, stickigen Büroraum. Die Teleintuitions-Apparaturen waren in mehreren nummerierten Reihen aufgestellt. In je einem der grossen, grauen Kästen war ein Mitarbeiter eingespeist. Torry Wischer lehnte sich gegen die Aussenwand der Apparatur in Reihe 2C. «Na dann, noch mal kurz zur Zuammenfassung. EMOInc ist eine Teleintuitionsgesellschaft, die 2299 in Neu-München gegründet wurde. Sie betreut zurzeit ca. 12 Millionen Servicegeräte von verschiedensten Herstellern, die in den unterschiedlichsten Branchen und Aufgabengebieten zum Einsatz kommen. Wir versorgen Zigarrettenautomaten, Haushaltsroboter, Magnetgleiter, Getränkeausschanksandroiden und unzählige weitere Servicegeräte mit den notwendigen emotional-empathischen Kapazitäten, die sich aktuell nicht künstlich herstellen lassen. Es wird also ausschliesslich der gefühlsverarbeitende Teil Ihres Gehirns belastet. Diese Belastung ist nach aktuellem Forschungsstand auch über längere Zeiträume völlig ungefährlich, wir bieten aber für unsere Mitarbeiter regelmässig neurologische Tests an, damit Sie sich selbst davon überzeugen können. Ihr Gehalt bekommen Sie nach einem empathieleistungsorientierten Punktesystem ausbezahlt, das Ihnen im Turorial ja schon erläutert wurde, genauso wie die Handhabung der Apparatur. Also – » Torry Wischer schlug dreimal mit der Hand auf den Deckel der Teleintuitionsapparatur, an die er sich angelehnt hatte. «Das hier ist Ihre Reihe. 2C. Die Mitarbeiter aus den anderen Reihen werden Sie eher selten zu Gesicht bekommen, wir arbeiten hier aus Datenschutz- und Sicherheitsgründen mit unabhängigen Computersystemen für jede Viererreihe und takten die Pausen so, dass die Viererteams sie gemeinsam verbringen. Das fördert Zusammenhalt unter den Kollegen. Gerade sind alle in der Line und kommen erst in drei Stunden zur Pause raus, ich geb Ihnen deshalb mal ein paar Tipps, damit Sie sich in Ihrem neuen Team gut zurechtfinden können. In letzter Zeit gab es hier ein paar interne Probleme, aber die sollten jetzt behoben sein. Also, das ist Wilhelm-Achim Cashew.» Torry Wischer deutete auf den ersten Kasten, in dem ein abgezehrt aussehender Mann mit einem Pferdeschwanz eingespeist war. «Der hat viel Pech gehabt. Ist seit 7 Jahren bei uns. Lassen Sie ihn einfach reden und schauen Sie, dass er sich nicht aufregt. Hier sind Astrolodid und da ist Gunni.» Astrolodid war eine untersetzte Frau mit bunt gefärbtem Haar und fleckiger Haut, Gunni ein hübscher junger Intersexeller mit glatt nach hinten gekämmtem, glänzendem braunen Haar. «Sind beide am gleichen Tag –» Plötzlich begann Astrolodids Apparatur zu summen und die gelbliche Glastür ihres Kastens öffnete sich.

«Da ist schon wieder einer weggelittten, Torry! Da ist schon wieder einer weg! Ich war ein Flughafenschalter, und dann bin ich aus der Line gefallen.» Torry Wischer runzelte die Stirn.

«Verdammt. Verdammt. Das sind keine Bugs, egal, was die in der Technikabteilung erzählen. Gehen Sie sofort zurück in die Line, Astrolodid, ich kümmere mich darum. Da sitzt irgendwas ganz tief unten im System und saugt die Verbindung ein. Da hat sich irgendwas oder irgendjemand eingenistet. Und verdammt, ich werd das finden. Das geht so nicht weiter, unsere Auftraggeber drehen durch, wenn das weiterhin passiert, das war das dritte Mal diese Woche. Gehen Sie bitte auch an die Arbeit Holger, ich muss in die Chefetage.» Torry Wischer ging schnell und entschlossen davon und liess Holger vor seiner Teleintuitionsapparatur zurück. Zum ersten Mal an diesem Tag zeigte Holgers orangenes Ballongesicht den Anflug eines Lächelns.

Lara Hajj Sleiman studierte am Schweizerischen Literaturinstitut, lebt aktuell in Leipzig.

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