Ich liebe Hunde aber habe nichts mit ihnen zu tun. Aus der Ferne begehrt es sich bekanntlich am einfachsten. So einfach, dass Hunde für mich die grössten kleinen Freuden des Alltags geworden sind. Wenn ich einen auf der Strasse sehe, rufe ich ihm nach wie ein dummer Macker. Während ich mich für meine Artgenossinnen kaum interessiere, möchte ich Hunde sofort anfassen und ihnen mit hoher Stimme sagen, wie süss sie sind.

Einen Hund an seiner Seite zu haben, versprach schon immer die wildesten Abenteuer. Meine erste Hundefreundschaft – und eigentlich auch die letzte, alle da­nach waren höchstens Bekanntschaften – hatte ich mit der Nachbarshündin Kaya. Sie war in Hundejahres etwa gleich alt wie ich damals, sehr jung und niedlich, mit zwei fehlenden Schneidezähnen, also bei mir. Kaya hatte alle Zähne und ein glänzendes schwarzes Fell mit einer orangen Schnauze, Augenbrauen und Pfoten. Sie war ein Rottweiler-Labrador-Mischling und ich etwas zwischen Hundeflüsterin und selbst Hund. Wir spielten verstecken und waren auf geheimen Missionen unterwegs, die nasse Nase immer weit vorn und in Angelegenheiten, die uns nichts angingen. Manchmal jagten wir Katzen durch die Siedlung oder buddelten Löcher in die Wiese und spät abends legte Kaya ihre orange Schnauze in meinen Schoss und wackelte mit den Augenbrauen. Irgendwann zog Kaya aufs Land und bellte fortan, wenn sie am Horizont ein kleines bleiches Mädchen mit langen blonden Haaren sah.

Etwa zehn Jahre später war meine gute Freundin so etwas wie eine Patentante für zwei kleine Hunde, Jacky und Wienerli. Eigentlich gehörten sie der Exfreundin ihres neuen Freundes. Jacky war ein ängstliches, weiss-braunes Energiebündel und Wienerli eine grunzende, schwarze französische Bulldogge. Ich verliebte mich sofort in Wienerli, das kleine Würstchen, das keine Treppen laufen konnte, weil es aufwärts zu an­strengend und abwärts zu steil war, sodass der Hund regelmässig mit seiner sowieso schon flachen Schnauze an die Wand prallte. Wenn wir im Sommer mit den beiden spazieren gingen, mussten wir Wienerli immer in den nächsten Brunnen tunken, damit der Hund nicht überhitzte. Leider aber konnte die Bulldogge aufgrund ihrer kurzen Beinchen nicht schwimmen, weshalb wir aufpassen mussten, dass der Badespass nicht lebensbedrohlich wurde. Das arme Schweinchen war wirklich vollkommen kaputt gezüchtet, aber liess sich davon nicht beeindrucken, wenn es mit Elan und kleinen Verschnaufpausen Jacky nacheiferte und dem Frisbee unermüdlich nachjagte. Nachts schliefen die beiden Hunde mit uns im Bett, Jacky hatte Angst vor unseren Füssen und das Würstchen pupste und schnarchte unverhohlen. 

Ich sollte mir auch einen Hund kaufen, verkündete ich einmal einem Freund, der mit zwei Polizeihunden und einem Polizeivater grossgeworden war. Er schaute mich vorwurfsvoll an und nannte mich dann ermahnend bei meinem Vornamen, den er jetzt ganz langsam und sonst nie aussprach. Damit er dich bedingungslos liebt und du nicht mehr so einsam bist, sagte er. Ja, klar, antwortete ich, obwohl er mir gar keine Frage gestellt hatte.

Leider hatte er recht, und ich wäre ich keine gute Hundehalterin. Trotz der vielen selbstbestimmten Zeit, der langen Spaziergänge, um sich das Busticket zu sparen und der fehlenden Chefs, die etwas gegen Hunde auszusetzen haben könnten. Ich schaff’s selten vor Mittags aus der Wohnung, die bereits für vier Zweibeiner zu eng ist und kann schon kaum meine eigenen Arzttermine, den Urlaub oder eben das Busticket bezahlen. 

Irgendwann kam die Pandemie und trieb die Hundelust bis an den Anschlag, nicht nur bei mir. Nach zwei Monaten Lockdown, tausend einsamen Spaziergängen und der quälenden Abwesenheit jeglicher Körperwärme war klar: das liesse sich doch eigentlich beheben, mit zwei Pfoten und einer feuchten Nase zum Beispiel. Zack einen süssen Schnuffel von Ebay bestellt. Ihr wisst, wies weiterging: Einige Monate später platzten die Tierheime aus allen Nähten. Die Menschen mussten wieder zurück ins Büro, denn sie hatten – eben – Chefs. 

Immerhin warst du nicht so blöd und hast dir wirklich einen Hund gekauft, sagte meine Schwester kürzlich, als wir an einem Dackel vorbeigingen. Ich machte Kussgeräusche in seine Richtung, er wedelte mit dem Schwanz. Aber wenn sie wüsste, wie knapp das war. Ich hatte Stunde um Stunde auf einer Webseite für heimatlose Hunde verbracht und mich durch die Inserate gescrollt. Dort begegneten mir zum Beispiel «Polly, ein Stück Liebe auf vier Pfoten», oder «der sanfte Mischling Sebastian», die ein neues Zuhause suchten. Am meisten hatte es mir Senta angetan, ein Hund mit einem Kopf wie ein Fels, einem blauen und einem braunen Auge und dem Blick, wie ihn nur Hunde haben können. Leider steht die Hunderasse, zu der Senta gehört – also eigentlich höchstens ihr Kopf – auf einer verbotenen Liste.

Wer auf dieser Liste steht, was natürlich je nach Kanton variiert, gehört zum Club der möglichen Tö­tungs­maschinen, nicht zu dem der potentiellen Schmusetiere. Natürlich ist das Quatsch, aber Gesetz. Wer einmal mit einem sogenannten Listenhund befreundet war, weiss, dass das Kopfabbeissen auf beiden Seiten etwa gleichwahrscheinlich ist. (Ich wünsche mir so eine Liste für Menschen. Zürich könnte sie zum Beispiel für Hauseigentümer machen?). Um mit Senta vereint zu sein, müsste ich also umziehen, ich könnte in den Aargau auswandern, nach Zug oder in den Appenzell. Das Leben könnte wirklich sehr schön sein, mit Hund in einer bezahlbaren Wohnung. Aber dann wiederum: der Aargau.

Die Schwester meines Schwagers wohnt in einem Kanton, in dem die allermeisten Hunde als Kuscheltiere gelten. Trotzdem hat sie sich für einen winzigen Hund mit zotteligem Fell entschieden, der sicherlich nirgendwo auf einer verbotenen Liste steht. Es ist ein Allergiehund, auch wenn er wirklich nicht so aussieht. Aber er hat Augen wie ein Mensch, ein alter Mann mit vielen Falten. Allerdings schindet das wohl keinen grossen Eindruck, wie die Schwester meiner Schwagers feststellen musste, als sie trotz Hund an ihrer Seite auf offener Strasse überfallen wurde. Hätte sie sich doch für einen Listenhund entschieden.

Ich habe also eingesehen, dass ich in naher Zukunft eher keinen Hund haben werde. Deshalb geh’ ich viel spazieren. Das geht auch ohne Hund, ist aber wesentlich öder. Bei mir in der Nähe ist der vermutlich grösste Hundepark der Stadt. Wenn man der Sihl folgt und irgendwann bei der Allmend ankommt, tummeln sich die fröhlichen Fellpakete in allen Formen und Farben. Folgt man dem Spazierweg weiter, kommt man irgendwann zu Richies Hundekiosk, ein wirklich untypischer Ort für diese Stadt. Richies Kiosk ist ein flaches Gebäude, das auch eine Umziehkabine in einem Freibad aus den 70ern sein könnte und liegt versteckt in einer Kurve direkt am Fluss. Draussen stehen reihenweise Holzbänke, daneben geparkte XXL-Autos, die Leute reden englisch und trinken Bier und Kaffee. Die Hunde sind meistens gross, passend zu den Autos.

Weil ich selbst keinen Hund haben kann, habe ich damit angefangen, fremde Hunde zu fotografieren. Meistens ist irgendein Mensch dabei, den man zuerst fragen muss. Das Gute ist, dass wirklich alle Leute geschmeichelt sind, wenn man sie fragt, ob man ihren Hund fotografieren dürfe. Die kleinen Schnuckel sind meistens der ganze Stolz der Herrchens und Frauchens und bei der Fotografiererei des Hundes muss man auch nicht so vorsichtig sein wie bei Kindern. Ich knipse also die Hunde und manchmal auch die dazugehörigen Menschen, weil es wirklich umwerfende Pärchen gibt. Die meisten Fotos mache ich allerdings nicht, weil ich keine Lust auf menschliche Interaktion habe. 

Diese Begegnungen sind das Nächste, was ich zurzeit mit Hunden zu tun habe. Aber vielleicht ändert sich das bald. Ich versuche nämlich, meiner Mitbewohnerin ein Hund unterzujubeln, oder einer guten Freundin. Das wäre ideal, denn am günstigsten liebt’s sich mit etwas Abstand. 

Von Kira Kynd

Kira Kynd ist Redakteurin bei der Fabrikzeitung und beim Onlinemagazin das Lamm. Sie arbeitet als freie Autorin und Fotografin in Zürich.

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