Warum nimmt jemand Drogen, LSD zum Beispiel? Als diese Substanz auf den Nebenstrassen der Grossstädte Deutschlands auftauchte, war sie bereits von einem Mythos umgeben. Ein Elixier der Reinigung, das die Pforten zur höheren Wahrnehmung durchbrechen hilft. LSD ist eine religiöse Erfahrung, eine künstliche Psychose, schrieb Timothy Leary, der als Guru dieses Halluzinogens auftrat. Ich glaubte ihm. Als Hans mir dieses kleine, mit Acid getränkte Stück Papier auf die Zunge legte, mein erstes Mal, war das erhebender als eine Abendmahlsoblate. In der Tat, ich erlebte ein Wunder, im Sommer 67, eine berauschende, unwahrscheinlich neue Welt, ein Zusammenfliessen von Energien der Harmonie, ein bislang unvorstellbares Verstehen von Zusammenhängen, bei dem Worte versagten. Are you experienced, fragte Jimi Hendrix. Und: turn me on, I want to know, what it’s all about, sang Rotary Connection. Und ich? Ich war da so reingerutscht. Abenteuerlust, das Versprechen, das in den Schwingungen, die dieser Beat-Dichter Hans ausstrahlte, lag, die Hoffnung auf Bewusstseinserweiterung, mehr verstehen von all dem, was die Eltern und Lehrer verheimlichten: Dass es eine Welt gibt, in der Geld, Karriere, Macht keine Rolle spielen. Dass es jenseits von Beton und Plastik ein Leben gibt, das durch keine Grenze eingeengt schien. Es gehörte Mut dazu, sich dieser schönen, neuen Welt auszuliefern. Aber wir taten es, weil wir glaubten, Pioniere zu sein, Mutanten für eine neue Erde, einen neuen Himmel. Aus dem Orient drangen zugleich Botschaften. Von Erleuchtung war die Rede, tibetische Gebetsfahnen hingen in unseren Buden, die Revolution und die Evolution zu neuen Bewusstseinsstufen hin wucherten in unseren Köpfen. Es gab keine Klassen mehr, nur noch eine Szene. Was wir auf unseren Trips erlebten, war für uns ein Wunder. Der Weg nach Innen schien frei. Break on through to the other side, hin zum Inner Space, zum Inneren Universum. Was wollten die Menschen auf dem Mond, wenn unser Mond unser Unterbewusstes war. In dem so viele Geheimnisse lagen, unentdeckte Schätze, unsere DNS, unser ganz privater Code, und der Schlüssel für diesen Tresor hiess LSD. Was es eigentlich bewirkte, wohin wir auf den Trips geschleudert wurden, wir begriffen es nicht, ahnten es kaum. Aber der Flug ins innere All, auf dem wir so freigiebig waren, endete nach ein paar Stunden oder Tagen. Was brachten wir von unseren Reisen mit? Bilder des Chaos, die sich als Zauberchiffren tarnten. Erfahrungen mit Menschen, Magie und kleinen Weisheiten, die im Grunde durch die Zerstörung von Netzen im Gehirn nicht gerechtfertigt waren. Wenn du LSD nimmst, schrieb Rolf, so ist das, als ob du eine Flugzeugladung Kerosin in einen kleinen VW kippst. Wir liessen uns nur zu gern verführen von den Kräften der Droge, wurden zu ihrem Sklaven, gleich, auf welche steinerne, unfruchtbare Insel sie uns warf. LSD, das war das Neue, ein Wagnis, das nur die ganz Starken überstehen. Das, was wir auf den Trips erlebten, verkauften wir uns als mystische Erfahrung. Wir klauten ein bisschen Licht, und der Preis, den wir dafür bezahlten, war so hoch, dass wir es nicht wahrhaben wollten, dass es ihn überhaupt gibt.
Natürlich, es ist wahr, dass du auf LSD Erfahrungen machen kannst, die dir etwas Aufschluss geben über Komplexe, die du nährst, über Verschollenes aus deiner Kindheit, das wie eine Gift ausströmende Batterie in dir gelagert war. LSD war das Allheilmittel. Aber nur deswegen, weil wir kein anderes hatten. Weil uns niemand sagte, wie wir wirklich, ohne unsere Nerven zu ruinieren und unsere Gesundheit, mental und physisch, zu verunstalten, all das erfahren könnten, was uns als bislang unlösbare Fragen auf der Seele brannte. Und es gibt viele, mich eingeschlossen, die auf dem Trip tatsächlich verstanden, dass es einen Gott gibt, wir glaubten ihn förmlich zu sehen! Aber danach, danach? Du kommst immer wieder zurück. Und es wird alles schlimmer als zuvor. Nur die Wunschvorstellung bleibt: dass du beim nächsten Trip es endlich packst, dass du endlich irgendwo landest, wo alles in dir und ausser dir heil ist. Daran hast du dich geklammert. An diese kindliche Vision vom Gewinn in einem Spiel, der so hoch ist, dass du nie mehr zu spielen brauchst, wie Leonard Cohen sang.
Aber das Licht, das wir gestohlen hatten, brannte nicht ewig. Es hinterliess nur die quälende Sehnsucht, beim nächsten Mal wird alles anders. Und doch mussten wir stattdessen immer wieder bezahlen. Mit Aufenthalten im Irrenhaus, mit nervlicher Zerrüttung, Horrortrips, die niemand erklären konnte, mit Flashbacks, die noch dreissig Jahre, nachdem du zum letzten Mal LSD genommen hattest, vorkamen. Manche bezahlten, indem sie zu Drehtürpatienten der Psychiatrie wurden. Manche wurden im Wahnsinn weggesperrt, mit Psychopharmaka abgefüllt, und sie verdämmerten. Manche brachten sich um, sprangen von der Brücke, hieben sich ein Beil in den Kopf. Andere findest du lallend in irgendwelchen verfallenen Abbruchhäusern. Und manche glorifizieren die LSD-Erfahrung, als wüssten sie nicht um die Gefahren eines Trips. Denn der Selbstbetrug gehört zum Mythos dazu.
Was hingegen verlangt eine mystische Erfahrung ohne Instant-Erleuchtung durch die Droge? Und was bringt sie?
Allah lehrt uns im Quran, aufmerksam zu sein für alles, was in uns und um uns herum geschieht. Du brauchst nur innezuhalten, den mahlenden Gedankenstrom anzuhalten, unter Kontrolle zu bringen und schauend nachzudenken: Wohin fällt dein Auge und warum? Was sagt dir das, was du siehst? Was hört dein Ohr? Warum hört es diese Worte in jenem Song und was hat es dir zu sagen? Nachdenken, einfach vor Allah treten und nachdenken, heisst es im Quran. Im Sitzen und im Liegen sinne, wozu hat Gott diese Schöpfung gemacht? Was bin ich in ihr? Wohin führt der Weg, den ich gehe?
Mystische Erfahrung beginnt also mit Aufmerksamkeit, mit Wachheit, mit Selbsterkenntnis, mit dem Bemühen, Kritik an sich heranzulassen. Mystische Erfahrung muss etwas in sich haben, das dich überdauert. Das dir aus deinen Ego-Spielen, den Mind-Games, heraushilft. Sie ist verbunden mit einem Lernprozess, Vernunft ist ein guter Lotse dabei. Aber das Schauen und Betrachten und inspirierte Erkennen verlangt ständige Übung, ein ständiges Sich-Bemühen! Übungen in Geduld. Der Islam nennt dies Jihad. Jihad heisst, genau übersetzt, sich auf dem Wege Allahs anstrengen, sich um etwas bemühen. Er bezeichnet in seiner höchsten Form, dem Jihad Akbar, den unermüdlichen Kampf gegen das Ego. Selbstüberwindung als Schlüssel. Das Gebet als Betreten des Paradieses.
Wenn du in diesem Unterfangen nicht nachlässt, wirst du Süssigkeiten auf dem Weg erhalten, die aus dem Himmel kommen. Wahrträume, kleine Visionen, blitzartiges Verstehen, das deinen Gang erhellt. Auskünfte über das, was in dir schlummert, das Verborgene, und Auskünfte über das, was dir geschehen wird, Warnung oder frohe Botschaft. Wer Allah zum Freund nimmt, heisst es im Quran, hat einen festen Halt ergriffen, der kein Brechen kennt.
Mit der Zeit des Pilgerns mehren sich die Zeichen. Aber auch die Nächte. Prüfungen, das Ausbleiben von Süssigkeiten, bittere Medizin, schmerzhafte Selbsterkenntnis, Tiefen und Untiefen. Aber Allah vergisst den Suchenden nicht. Wer sich nicht in Selbstgefälligkeiten verstrickt, dem widerfährt immer wieder Wunder über Wunder. Leitung, durch die alte Wunden heilen. Schliesslich Ekstase, Tränen des Glücks.

Hadayatullah Hübsch (im Dezember 2009)

Hadayatullah Hübsch (*8. Januar 1946 in Chemnitz als Paul-Gerhard Hübsch, † 4. Januar 2011 in Frankfurt am Main). Eine wahre Inspiration!

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