Die Schweiz gilt europaweit als Archetyp & Vorbild für rechtspolitische Bewegungen. Wie sieht rechter Protest aus, wie manifestiert er sich heute, wo liegt die Grenze zur Hetze?

«Die Idee, dass sich in Diskussionen ‹auf Augenhöhe› das bessere Argument durchsetzt, geht nicht auf, weil der populistische Stil gar nicht auf Überzeugung abzielt. Ihm geht es um Emotionalisierung, Verschleierung, Schmeichelei gegenüber den ‹Eigenene› und Feindbildpflege in Bezug auf die ‹Anderen›.» – Dr. Bernhard Weidinger, Rechtsextremismus Forscher

Nachdem die Schweiz lange hübsch so ignoriert wurde, wie das lieb war, wird sie mit dem Erstarken der Rechten in Europa plötzlich wiederentdeckt: ein Ziegenhirten-Alpenland gegen Ausländer*innen, mit einer rechten Partei an der Spitze und rassistischen Volksabstimmungen mit hohem Erfolg. Überhaupt: da kann mensch noch Volk sagen, ohne schief angeschaut zu werden. Und im Kasperlitheater wird noch das N Wort gesagt, ohne gleich zensieren zu müssen.
Die deutsche AfD und die österreichische FPÖ beziehen sich gerne auf die Schweiz als Vorbild. «Die AfD fordert Volksentscheide nach Schweizer Vorbild auch für Deutschland», heisst es etwa in deren Parteiprogramm, «Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene nach Vorbild der Schweiz, um parallel zum Parteiensystem ein zweites Standbein der Demokratie zu installieren» und «Qualitative Zuwanderung (anstatt momentan gängiger quantitativer Masseneinwanderung) nach schweizerischem oder kanadischem Vorbild» in den «Dresdner Thesen» der Pegida; «Ausbau der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild» im 2017er Wahlprogramm der FPÖ.

Blocher, Urvater der SVP, sind diese Annäherungen gar nicht recht. FPÖ-Chef Strache sei ihm zu nahe am deutschtümelnden Nationalismus, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Und über AfD-Vizepräsident Gauland, neben den zu stellen er sich in der Arena Diskussion im November 2016 weigerte, heisst es von ihm: «Er ist Deutscher, uns muss niemand erklären, wie die Schweiz funktioniert. Und überhaupt, als Ausländer kann man die Schweiz nie wirklich verstehen!» Ganz im Schweizer Sinne von: «Nei – wir lassen uns von niemandem dreinreden, das ist dann unser Unabhängigkeitsgedanke.»
Dieses Festklammern an der angeblichen Unabhängigkeit ist ein integraler Bestandteil der Schweiz. Der Heldenmythos Blocher funktioniert ähnlich wie die Tell-Geschichte: ein starker eigensinniger Mann rettet das ganze Land mit einem Bogenschuss vor den bösen Invasoren.

Blochers Nein zur EWR 1992 prägte das Land und seine Partei wuchs zur stärksten der Schweiz, wo sie sich bis heute hält. Und was sich etabliert hat, soll sich bitteschön nicht mehr ändern und wird als «Zauberformel» verkauft. Obwohl Blocher als Politiker offiziell im Ruhestand ist, formt er die SVP immer noch massgebend; nicht nur in der rechten Weltwoche und in seiner eigenen 550 Folgen langen Sendung TeleBlocher, sondern in der ganzen Medienlandschaft ist er die präsenteste Figur der Schweizer Politik, die regelmässig zu seiner Position befragt wird, welche er mit breitem Schweizer Akzent ausbreitet. Auf ja keinen Fall Deutsch sein!
Anti-Deutschland-Nationalismus ist hierzulande auch in linken Kreisen völlig in Ordnung: Humorvoll gegen Deutsche zu haten, die uns die Jobs wegnehmen und die Wohnungen und die Studienplätze, die rabiaten, unhöflichen Deutschen, die nicht mal Schweizerdeutsch lernen wollen – das ist ungeschriebener Nationalsport. Im Tram hängen Werbeplakate mit der Aufschrift «Seien Sie mal ein bisschen weniger DEUTSCH».

Keine*r meiner Schweizer Freund*innen würde von sich sagen, Patriot*in zu sein. Das klingt ja geradewegs faschistisch. Aber wir wachsen mit einem Stolz und der Überzeugung auf, dass unser System das Beste sei; schliesslich sieht man an unserem Reichtum, dass wir alles richtig machen. Unsere ÖV sind pünktlich, unsere Strassen sind sauber, unsere Schulen sind gut. Gerne hängt mensch sich eine Schweizerfahne in den Schrebergarten oder zieht sich in den Ferien oder am Nationalfeiertag ein Schweizer Käppi an. Und obwohl die SVP auch von vielen Seiten kritisch betrachtet wird, ist mensch trotzdem schnell dabei, die Schweiz gegen aussen, das heisst gegen das Ausland, zu verteidigen.
Diesen unreflektierten Patriotismus und Nationalstolz konnten Deutschland und Österreich jahrzehntelang nicht öffentlich zelebrieren, weil sie der ganzen Welt beweisen mussten, dass sie den Faschismus überwunden haben. Das kollektive Minderwertigkeitsgefühl, das in der Schweiz vielmehr von der zwergenhaften geographischen Grösse und der vermeintlich fehlenden Anerkennung des Auslands kommt, schafft einen Schulterschluss gegen aussen – so entsteht das Narrativ eines Wir Gegen Die Anderen. In der Schweiz heisst das demnach: Wir sind nicht Deutschland, wir sind viel besser! Und in Deutschland: Wir dürfen auch mal wieder stolz auf uns sein!

Wenn rechtsextreme Gymnasiasten mir mit Begeisterung ihre Bewunderung für mein Herkunftsland kundtun, läuft offensichtlich etwas schief: Distanzierung von der EU, lasche Waffengesetze, Traditionalismus, Nationalstolz, offene ausländerfeindliche Positionen, das freut die. Mich freut es nicht; ich bin es aber gewohnt, so wie Steuern zu bezahlen oder von Männern im Klub angetatscht zu werden. Sich tagein, tagaus dagegen zu stellen, braucht Energie, die mensch nicht ständig aufbringen kann.

Ausserdem hat Blocher da natürlich recht: das ist eine einseitige Sicht, da wird sich einfach rausgenommen, was denen grad gut ins Programm passt, und viel wird ausgeblendet – wie die Rechte das eben gerne macht, Sachen in eigener Interpretation für sich benutzen, wie kürzlich gar Sophie Scholl oder den völlig unpolitischen Internetfrosch Pepe.
Es ist aber auch gut und wichtig, dass uns nun endlich mal in die Fresse gehauen wird, was bei uns in der schönen Schweiz alles falsch läuft.
Nazi ist für uns eher ein abstrakter Begriff. Eine gute, politisch korrekte Beleidigung: Nazis sind böse, punkt. Neonazis und ähnliche Feindbilder sind in der Schweiz schillernde Fantasiegestalten; ähnlich wie Proteste, die in der Schweiz etwa so wirkungsvoll und realitätsfern sind wie die Demo der jungen KPÖ, auf der drei junge gutbetuchte Studenten etwas von Fabrikarbeitern und «nicht nur Studenten» schreien. So lustige aufregende Sachen, die mensch als Jugendliche*r halt gerne mal ausprobiert.
Die SVP ist ein Alt-Männer Verein – was die «neue Rechte» ihm voraus hat, ist die Behauptung des Jungen, Neuen, Dynamischen; ein Narrativ, dass sowohl für politische Parteien funktioniert – wie man an Sebastian Kurz, «Wunderknabe» von der ÖVP sieht – aber auch für nicht stimmberechtigte Jugendliche, um die sich die Identitären kümmern. Dabei geht es nicht nur um Jugend und Coolness (worum sich schon auch sehr bemüht wird, mit feschen Mädels und neuer Heimatmode) – je weiter aussen eine Partei ist und somit ferner der etablierten Politik, desto eher bringt sie ein Versprechen nach radikalen Änderungen. Wer will schon nicht Revolution machen? Ein Aussteiger erklärt in einem Interview mit dem Onlinemagazin belltower: «Dieses Rebellische hat mich sehr fasziniert: Gegen den Mainstream zu sein.» Sich einer rechten Bewegung zugehörig zu zeigen, ist der ultimative Protest.

Die Junge SVP ist die grösste und aktivste Jungpartei der Schweiz, behauptet sie von sich selbst auf ihrer Website. In der Stadt Zürich wächst mensch eher mit einer grossen Präsenz der Juso auf. Ist das ein Bubble Phänomen? Die junge SVP hat auf Facebook 10.247 Likes, die Juso nur 8.137. Und die vieldiskutierte Nobillag Initiative entstand auf Vorlage der jungen SVP. Trotzdem haben die SVP und ihre Jugendpartei aufgrund ihrer langjährigen Etablierung und Regierungsbeteiligung keine grosse Protestwirkung; die Mitgliedschaft wird wohl eher als Erbrecht von den Eltern weitergegeben, damit die drei Autos an der Goldküste ohne schlechtes Gewissen behalten werden können.
Gemeinsam hat die SVP mit den neueren rechten europäischen Bewegungen die Mittel der Verbreitung: ein einfaches Feindbild wird erschaffen (Ausländer, die Elite, die EU); dieses wird mit einprägsamen Bilder wie schwarzen Schafen und einfachen Slogans verkauft.
Dem fügen die neuen rechten Bewegungen, vor allem die Jugendbewegungen, grosse Präsenz in den Neuen Medien und einen Sinn für Ästhetik und Intellekt bei. Immer wieder wird dort versichert, mit welch einfachen Handlungen wertvoll beigetragen kann – Flyer verteilen, Treffen besuchen. Einfaches Zugehörigkeitsgefühl und Aufstiegsmöglichkeiten werden geboten; junge Burschen dürfen endlich wieder «Männer» sein, Frauen werden an ihren zugehörigen Platz gelockt: Kinderkriegen ist das grösste!

Seit den Frauen aufgefallen ist, wie sie in der Szene missachtet werden, geht eine Protestwelle, durch den weiblichen Alt-Right Teil. Dieser stellt Martin Sellner, Chef der österreichischen Identitären, Blogs wie «radikal feminin» von «Maria und Franziska» entgegen. «Männer müssen für ihre Macht in der Welt arbeiten», heisst es da. Und weiter: «Wir bekommen unsere in die Wiege gelegt und wir sollten sie mit Verantwortung und Würde tragen. Also, liebe Frauen, werdet euch wieder eurer natürlichen Macht bewusst und strebt nicht, einfach nur aus Prinzip, nach der zweifelhaften Macht der Männer!» heisst es in der Rubrik «Feminismus zum Abgewöhnen».
Ein Kritikpunkt der Identitären besteht darin, dass Schulen, vor allem Gymnasien, und Universitäten die Studierenden mit linkem Gedankengut prägen und «national Gesinnte» gezielt unterdrücken und schlecht benoten würden. Ein Narrativ, das sowohl die SVP wie auch die AfD und die FPÖ mit ihrer Polemik gegen die «Elite» gerne bedienen. Meine persönliche Erfahrung hat dem nicht viel entgegenzusetzen: ich sitze gerade in einer Vorlesung «Die Linke und die Kunst».
Traditionellerweise fördern jedoch die Universitäten durch Burschenschaften und Verbindungen eher nationales Gedankengut; in militärisch geprägten Strukturen wird dort Unterwürfigkeit, Anpassung und Zugehörigkeit durch Ausgrenzung anderer gelehrt. Eine Tradition, die sich bis heute hält, sind doch ein Grossteil der aktuellen österreichischen Regierung und zumindest einige AfD Mitglieder ehemalige Burschenschafter oder immer noch in Verbindungen tätig.Und zwar in solchen, die durch rassistische Liederbücher Schlagzeilen machen. Aber davon wusste natürlich niemand was.
Wahrscheinlich werden die Identitären für ihre medienträchtigste Aktion, das Stören des Jelinek Stücks «Wir Schutzbefohlenen» im Wiener Audimax, demnächst alle freigesprochen . Die Zeugenaussagen seien zu widersprüchlich, heisst es, und eine Zeugin hätte scheinbar schon vor dem Zwischenfall eine Abneigung gegen Sellner gehegt. Die Richterin fand nicht viel an der Aktion auszusetzen, ausser dass sie «entbehrlich» gewesen sei. Eine Aussage, die so nicht stimmt – sie war extrem wichtig für die mediale Verbreitung und Selbstdarstellung der Identitären. Gleichzeitig war sie traumatisierend für die beteiligten Geflüchteten. Aber wie die AfD sagen würde: Gut so, Gute Heimreise.
Der traditionell in der Linken verortete Aktionismus zeigt heute auch, oder vielleicht gerade weil von der Rechten angewendet Wirkung – und die stösst bei bestehenden linken Gruppierungen auf Unmut. Eine diesbezügliche Kritik von Philipp Ruch, dem Gründer des Zentrums für Politische Schönheit, steckt zumindest der Identitären-Sellner, spielend weg: «Das ZPS fand ich mal interessant und inspirierend. Nach der Höcke-Aktion und Ruchs geistigem Prolaps (seine irre Schuldkult-Neurose) habe ich jeden Respekt verloren. Da ist null Verve, Witz und innere Distanz. Das sind verstörte Fanatiker», entegegnet er auf Twitter.

Viele angeeignete popkulturelle Phänomene distanzieren sich sofort und deutlich gegen Zusagen von Rechten wie Martin Sellner. Trotzdem funktioniert das poppige Auftreten mit Wanda Songs an Demos und Kundgebungen noch immer gut. Eine fesche junge Bewegung wie die IB hat aber natürlich auch ihren eigenen Soundtrack: den sogenannten «Neofolk», vertreten von Bands wie Jännerwein. «Kämpfe, mein Freund, und schone dich selbst nicht, und wisse: du kämpfst nicht allein!», singt eine ernste tiefe Männerstimme, während eine blonde junge Frau in neuer Heimatmode an einem wahrscheinlich österreichischen See steht und lächelt.

Sophie Steinbeck, *1994 in Lenzburg, studiert Dramaturgie in Leipzig, davor Sprachkunst in Wien. Arbeitet als Autorin und Dramaturgin in den Theaterkollektiven «saft» und «Rohe Eier 3000».

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