Sie knüpft ein hellgelbes Seidentuch in einer Schleife um den Hals, rollt mit flinken Fingern eine Zigarette. Die dünnen Beine stecken in Anzugshosen, ein weisses Hemd darüber. Vorsichtig lässt sie das schwarze Federcape vom Kleiderbügel gleiten und schlingt es um ihren Körper, betrachtet sich prüfend im Spiegel. Die Federn machen ein Leuchten an ihr, eine Ausstrahlung von Besonderem. Auf den Wangen klebt ein Bart aus Wollfilz, der für ein breiteres Gesicht gefertigt wurde, überlange Schnauzhaare hängen von der Oberlippe und landen mit der Zigarettenspitze im Mund. Die Zunge rollt sie hin und her, manche werden mit spitzen Fingern herausgezupft, andere landen mit dem Wein im Magen. Sie muss sich Mut antrinken, um mit dem Bart die Strassen bis zum Fest zu laufen, mit breiten Schultern und sicherem Gang, um der Rolle gerecht zu sein. Zum Trotz zeigt ein Ziehen in ihrem Bauch die verschwendete monatliche Vorbereitung ihres Körpers an, grollt «du frau du, du kinder machen».

Vor dem Fenster schüttet es aufs graue Vordach herab, im Wohnungsflur laufen kleine Rinnsale von der Decke auf die bereitgelegten Putzlappen. Auf Zehenspitzen steigt sie darüber in ihr Zimmer und legt eine Platte auf. Die Nadel kratzt und hüpft und schleift eine komisch verzerrte Musik durch den Raum.

Sie hat nur diese Nacht in diesem kratzigen Bart und dieses Herz, das in der kleinen Brust stolpert

Die Neonlampen auf der Strasse blinzeln ihr freundlich zu, sie senkt das Kinn und hebt es wieder, um sich in Geschäften zu spiegeln. Sie lacht, und das Gesicht lacht zurück und sieht schön und echt aus. Eine Autotür öffnet sich und eine Stimme sagt «schöner Mann» aus dem Innern. Sie fühlt sich beschwingt und beschämt zugleich. Gegenüber flaniert eine Gruppe junger Männer, riesige Ballone mit Kurz drauf in der Hand. Sie wünscht sich Dartpfeile, um die Ballone zu zerplatzen und mit ihnen die Wahlen und Kurz‘ Gesicht, dessen Gelhaare und Ohren von jeder Ecke leuchten und sagen: «Du darfst ja eh nicht mitmachen, deine Stimme zählt da, wo die Berge und die Banken sind, wo man schon gar nicht mehr redet, über rechte Parteien in der Regierung, weil das zur Zauberformel gehört, und meine Zauberformel lautet: Wenn du kein Geld hast, geh zum Bankautomaten». Aber der Bankautomat will ihr kein Geld geben, um sich ein Haus zu kaufen und im Alter nicht arm zu werden, sie hat nur diese Nacht in diesem kratzigen Bart und dieses Herz, das in der kleinen Brust stolpert auf dem Weg zum Fest, wo der Prinz wartet und sie schön finden muss und lustig und kreativ, damit sie sich traut. Am Morgen werden die jungen Männer Kurz zum König krönen und er wird sie zurück in die Berge schicken, mit den anderen ungewollten Eindringlingen. In Gedanken faltet sie bereits zarte Seidenblusen in ihren Koffer, schaut, dass die Kragen nicht knittern, zählt, wie viele Schuhe daneben Platz finden.

Der Prinz schnurrt zufrieden

Sie nennen sich Prinz und Künstler. Zwei unfertige Wesen, die sich an den Knöcheln halten und wie ein eckiges Rad über den staubigen Boden kugeln, kleine Zähne strahlen aus runden Kindergesichtern. Ihre Hände sind rau und schälen sich. Sie erinnert sich, wie sie den Prinzen mit dem Unterarm die Haare streichelt, die Hände voller Kreide, und der Prinz schnurrt zufrieden. Die Haare weich und golden in einem Topfschnitt. Der Prinz hat einen sanften, grosszügigen Körper und sie einen kleinen, harten, an dem man die Muskelstränge sieht, wenn sie über das Tor klettert, um den Prinzen zu besuchen.

Jetzt klopft sie an das Tor, aus dem ihr Musik und Fröhlichkeit entgegen schwappt, betritt einen Rausch aus Menschen mit aufgeblasenen Gummilippen und Giraffenhälsen, Alufolienhüte mit Sendemasten und Hasenohren auf den Köpfen, darüber baumeln sanft blinkende bunte Lichterketten. Rauch und Alkoholdunst zeichnen die Gesichter weich und gut.

Er schmeckt nach Rotwein und Bratwurst

In der Toilette steht der Prinz. Sie will schön sein, damit der Künstler sie schön findet. Sie sieht blass und zerknittert aus. Sie kneift sich in die Wangen, damit sie rot und gesund aussehen, dann überpudert sie sie mit sehr blassem Puder und pinselt Rouge darüber.

Draussen lacht der Künstler mit den anderen, bis der sorgsam geklebte Bart sich von den weingeröteten Wangen löst. Sie lässt sich Weltverschwörungstheorien erklären von den Sendehüten, grinst über die geflüsterten Witze über die neue Schwarz-Blaue Koalition und Kurz‘ Ohren, tanzt auf einem hölzernen Podest. Die Hand umklammert fest die leere Weinflasche. Das Telefon in der Hosentasche bleibt still. Sie hüpft und singt mit den Anderen, flüstert «ich muss euch heute ein Geheimnis erzählen» in tausende Ohren, entzieht sich den fragenden und festhaltenden Armen und wirft sich in neue. Die Lichter tanzen vor ihren Augen. Ein junger Mann hält ihre Hand und redet Komplimente auf sie ein. Ein Fisch, denkt sie, dabei sieht der Mann einem Fisch nicht einmal ähnlich, und sie lacht. Der junge Mann denkt, sie lacht über den Witz, den er gerade erzählt hat, und grinst zufrieden. Er nähert ihr seine feucht geschwollenen Lippen und sie lässt sich küssen. Er schmeckt nach Rotwein und Bratwurst. Ein Teil des Barts bleibt an seinem Gesicht kleben, als sie sich löst und mit beiden Beinen wieder in den Strom aus tanzenden Menschen wirft.

Es ist ein Zauber um den Prinzen wie von tausend Leuchtröhren

Dann tritt der Prinz zu ihr aufs Podest und strahlt. Es ist ein Zauber um den Prinzen wie von tausend Leuchtröhren. Sie sieht müde aus und auf ihren Wangen sind komische rote Flecken. Sie trägt ein grosses weisses T-Shirt, das dem Künstler gehört. Auf dem Nacken ist ein kleiner Fleck von Bulgursalat. Der Prinz streicht dem Künstler sanft über die verbliebenen Barthaare. In dem Rausch und den Menschen und dem Leuchten und der Musik ist ein kleiner Moment von Glück.

Da sirrt es in der Hosentasche vom Künstler. Es geht ein Ruck durch die Menge. Erste Stimmen rufen «Kurz ist König!» und «Strache ist Vize!» und «Schwarz-Blau!» Breitschultrige Polizisten drängen durch das Tor in die Menge, lassen die Musik verstummen und die Menschen sich ins Haus zurückziehen. Unbemerkt zieht sich der Künstler die restlichen Haare von den Wangen. In einem Ruck, wie ein Pflaster.

Sophie Steinbeck, *1994 in Lenzburg, studiert Dramaturgie in Leipzig, davor Sprachkunst in Wien. Arbeitet als Autorin und Dramaturgin in den Theaterkollektiven «saft» und «Rohe Eier 3000».

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