«Der Mensch erscheint stets zu klein für seine Aufgaben, die gesellschaftlichen Charakter-Kostüme dafür viel zu groß.»

Im Rahmen des stadtweiten Theaterparcours zu Elfriede Jelineks Schutzbefohlenen, der von der Gessnerallee zum Jungen Schauspielhaus, zum Schauspielhaus, zum Theater Neumarkt, zum Theater Winkelwiese und zum fulminaten Abschluss in die Rote Fabrik führt, zeigt die Gruppe um Regisseur Tobias Bühlmann «Wir Schutzgebenden».

 

– Theater von privilegierten «Schutzgebenden» für privilegierte ebensolche über «Schutzbefohlene» – ihr erkennt in eurem Stück die Ambivalenz der Rolle der Kunst und des Künstlers in politischen Fragen. Was darf man im Namen der Kunst, und: wie vermeidet man Heuchelei und Selbstbeschwichtigung? Habt ihr das in eurer Performance geschafft?

Tobias Bühlmann: Also erst mal: Geschafft ist noch gar nichts, wir befinden uns mitten im Suchprozess. Weiter: für mich ist das Ganze weniger eine Frage der Vermeidung von etwas, als vielmehr ein Ertasten eines Möglichkeitsraumes – wenn das Mögliche von uns ertastet, oder, wie man so schön euphemistisch sagt, «künstlerisch erkundet», und zwar vor und mit dem Publikum erkundet wird, so kann das die Grundsteinlegung sein für eine echte politische Veränderung. Daran möchte ich glauben. Kunst soll und muss Herrschaftsverhältnisse problematisieren. Wenn sie das tut, ist sie nach meinem Begriff politisch, wenn sie das nicht tut, ist sie Schmuck.

– Was macht das Medium des Theaterparcours mit Jelineks Schutzbefohlenen?

Der Parcours als Medium zwingt einen mehrperspektivischen Blick nicht unbedingt auf, aber lässt ihn doch zumindest erhoffen. Mit Jelineks Text, den ich im Vergleich zu anderen Arbeiten von ihr relativ schwach finde und den ich zumindest für fahrig geschrieben halte, hat das wiederum wenig zu tun – aber es ist wohl sowieso auch so, dass die einzelnen Teams sehr unterschiedlich mit dem Text umgehen. Meine Entscheidung ist es, auf diesen Text zu verzichten. Zumindest in der Schweiz bezieht sich der Ursprungstext auf nichts, er beschreibt nicht einen Teil unserer kulturellen Erfahrung, vor allem schafft und erklärt er nichts, was uns auch nur ein einziges «Muggeseckli» weiter bringt in der Frage des Umgangs mit den Geflüchteten.

– Weshalb wählt asuperheroscape die Rote Fabrik für ihre Inszenierungen und nicht freien Stadtraum?

Im Verständnis von Theaterschaffenden ist das Fabriktheater auch eher eine kleinere Bühne. Freier Stadtraum wäre eine andere Möglichkeit, aber unsere Stücke haben meist im Kern einen utopischen oder zumindest märchenhaften Charakter, dieser wird erst mal über den Raum erzeugt, und das wiederum ist im offenen Stadtraum praktisch nicht hinzukriegen – ganz abgesehen davon ist auch die Bündelung von Konzentration seitens der Zuschauer ein ganz anderes Thema.

– Spielt Aktionismus, wie bei Schlingensief oder dem Zentrum für politische Schönheit, eine Rolle für euer Ensemble? Wenn ja – inwiefern ist das in der Schweiz möglich? Bei Philipp Ruchs «Entköppelung» wurde die Aktion ja schliesslich unter einer Autobahnbrücke abgehalten, statt wie geplant vor seinem Haus. Ist die Umsetzung von politisch-künstlerischen Aktionen in Deutschland und Österreich einfacher, oder sind die Schweizer Künstler nicht wagemutig genug? Oder: werden wir als Schweizer dazu erzogen, die Weltpolitischen Fragen als nicht dermassen drängend und uns betreffend wahrzunehmen?

Dazu könnte ich einen halben Roman schreiben. Erst mal könnte man in den Raum werfen, dass aktuell mit Philipp Ruch und Milo Rau die beiden umtriebigsten, um nicht zu sagen wichtigsten politisch agierenden Theatermacher im Deutschsprachigen Raum bezeichnenderweise Schweizer sind bzw. wenigstens einen Schweizer Elternteil haben. Aber damit würde ich mich aus der Verantwortung stehlen. Eine andere Antwort wäre, dass ich in der Vergangenheit mit meinen (aus meiner Perspektive) wagemutigsten Projekten gewaltigst auf die Fresse geflogen bin. Schlingensief wurde für seinen Mut bestätigt, dass kann ich so für mich und meinen künstlerischen Werdegang definitiv nicht behaupten. Das wiederum ist aber die Perspektive der beleidigten Leberwurst, die will ich nicht sein. Und zum letzten Versuch übergehend könnte man nüchtern feststellen: Zum politischem Aktionismus im engeren Sinn taugte bisher schlicht und einfach keins meiner Projekte. Ich finde das selber ein wenig schade und mache mir das in schlechten Zeiten durchaus ein wenig zum Vorwurf, aber so ist es nun mal.

– Euer Beitrag zum Theaterparcours, die «Schutzgebenden», ist eine «eigene Performance» als Antwort auf den Text von Jelinek. Welche Möglichkeiten hat die Performance, die das klassische Theater nicht hat?

Erst mal ist Performance ja so ein Modewort, und man macht in solchen Selbstbeschreibungen immer auch Werbung, die Dinger stehen nie nur für sich allein. Man kann die Unterscheidung aber auch ernst nehmen, und dann würde ich sagen, Performance steht in diesem Kontext für das Einstehen für eine bestimmte politische Haltung, explizit auch auf der Bühne. Und letztlich steht Performance auch einfach dafür, dass man seine eigene Fresse hinhält, sich selbst aussetzt, dem Thema, dem Publikum, den eigenen Ängsten, und damit auch und nicht zuletzt dem eigenen rassistischen Anteil, und sei er noch so klein. Deswegen stehe ich auch mit auf der Bühne, in diesem Sinne wird es eine Austreibung. Den eigenen inneren Köppel radikal sich selbst auszutreiben und das von meinem Gegenüber auch einzufordern: das wäre eher so mein Style von politischer Theaterarbeit.

– Bei einer Wiener Aufführung der Schutzbefohlenen vergangene Woche kam es zur Stürmung der Bühne durch die Wiener Grupper der «Identitären»(eine Gruppe junger rechtsextremer Aktivisten) bei der u.A. ein Plakat mit der Aufschrift «Heuchelei» aufgehängt wurde – was bewegt deiner Meinung nach diese Menschen, und ist in Zürich ähnliches zu erwarten?

«Solche Leute» bewegt, was uns alle bewegt: Angst vor zunehmender Prekarisierung. Im Unterschied zu, sag ich mal, «uns», die wir «nur» den ökonomischen Abstieg fürchten bzw. den höheren Konkurrenzdruck fürchten, haben die Rechten halt auch noch Angst vor kultureller Prekarisierung. Bzw. noch mal anders: Der Erfolg der Rechten ist nicht nur, aber auch eine Folge von Jahrzehntelangem neoliberalem Jederistfürsichselbstverantwortlich-Geplärre. Wäre das nicht so, wäre der Aspekt der Sorge, der Aspekt des sich-um-den-Andern-Sorgens dominanter als der Aspekt von Wettbewerb und gegenseitiger Verdrängung, dann hätten wir diese Probleme nicht.

Zum Gefahrenpotential kann ich nichts sagen. Gefühlt ist es hier kleiner als in Österreich, was auch mit Jelineks Status in unserem Nachbarland zu tun hat – aber eben, das ist ein Gefühl…

– Wie stehst du zur Schweizer Flüchtlingspolitik? Was wäre für dich ein idealer, was ein realistischer (alternativer) Zugang?

Ich glaube, dass es keinen «realistischen» Zugang gibt. Es gibt nur mehr oder weniger Menschlichkeit im Umgang mit Geflüchteten. Es ist klar, was die Rechte will, aber was will eigentlich die Linke? Was den Aspekt der Ökonomie betrifft bzw. das Argument, dass wir (Europa, die Schweiz) niemals alle Menschen aufnehmen können, die bei offenen Grenzen kommen würden, täte ich entgegen halten: Wieso nicht? Es gibt diverse Modelle von durchaus achtbaren Wissenschaftlern, die für den Fall offener Grenzen alles andere als den Kollaps von Mitteleuropa voraussagen. Aus ethischer Sicht ist es allemal Wert, es zu versuchen. Also: Give it a try, fucking time, der Untergang des Abendlandes wurde schon hundertmal heraufbeschworen, eingetreten ist er bisher nicht.

Kunst kann zumindest Wegbereiter sein für etwas, was man früher einmal Revolution nannte. Ich für meinen Teil bin nicht so der Vertreter von Todeslisten und Tribunalen, ich halte es da eher mit meinem Produktionsmusiker Hans-Jakob Mühlethaler: «Man muss nur ein paar Parameter verändern, und schon haben wir eine bessere Gesellschaft.»

 

«Wir Schutzgebende» läuft ab 21. Mai zu verschiedenen Zeiten während «Die Schutzbefohlenen». Am 24. & 25 Mai um 20 Uhr findet eine Doppelvorstellung mit «Exodus» im Fabriktheater statt.

Sophie Steinbeck, *1994 in Lenzburg, studiert Dramaturgie in Leipzig, davor Sprachkunst in Wien. Arbeitet als Autorin und Dramaturgin in den Theaterkollektiven «saft» und «Rohe Eier 3000».

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert